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Gorbatschow zitiert Willy Brandt

Anlässlich von Jahrestagen, die politischen Charakter haben, ist es sinnvoll, sich die zeitgenössischen Dokumente anzusehen, in denen Hoffnung wie Skepsis über das, was passierte, zum Ausdruck kommen. Das wäre jetzt besonders wertvoll gewesen angesichts des 25jährigen Falls der Berliner Mauer. Stattdessen wurden von der BILD-Zeitung bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern Quellen aktiviert, die mehrheitlich der Glorifizierung des Augenblicks dienten und suggerieren sollten, dass nichts hätte besser verlaufen können als das letzte Vierteljahrhundert der deutschen Geschichte.

Apropros Geschichte: Eben jener Francis Fukuyama, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom Ende der Geschichte sprach, kam gerade in diesen Tagen mit einem neuen, sehr korpulenten Buch auf den Markt, das sich mit politischen Ordnungen und ihrem Niedergang beschäftigt. Auch Kissinger meldet sich mit einem Buch zur Notwendigkeit der politischen Ordnung zu Wort. Die beiden Prominenten der us-amerikanischen Selbstreflexion haben dem Triumphalismus der Jubiläumsfeiern in Deutschland einiges voraus, denn sie ziehen die negativen Entwicklungen mit in Erwägung, die die Implosion der alten Weltordnung mit sich brachte.

Aber darüber zu berichten, wer sich wo befand, als die Mauer fiel, eine tatsächliche große historische Stunde zu profanisieren, das scheint das einzige zu sein, was von den Hoffnungen aus dem Jahre 1989 geblieben ist. Die Hoffnungen derer, die sich auf die Straße gemacht hatten, um der Diktatur, die sich selbst ins Chaos gewirtschaftet hatte, den letzten Stoß zu versetzen, schwanden schnell dahin im Wind der Abwicklungspläne eines Wolfgang Schäuble, dem Architekten des Anschlusses. Die Vorstellung von einem neuen, gemeinsamen Weg, der mehr Selbstbestimmung und mehr Selbstverantwortung bedeutete hätte, wurde sehr schnell geschreddert und mit mehr als zwei Billionen Schmerzensgeld aus den Rentenkassen des Westens abgefedert. Was ist entstanden, aus dem Traum eines neuen Deutschlands?

Die gesellschaftlichen Geschäftsgrundlagen sind geblieben, wie sie vorher im Westen waren. Exklusiv. Der Osten hat eine Infrastruktur bekommen, von der viele im Westen träumen, die aber kaum benutzt wird. Großteile der ehemaligen DDR sind zwar physisch modernisiert, aber durch die Emigration der talentierten Jugend und die Etablierung xenophober Domänen exterritoriales Gebiet der Globalisierung geworden. Das ist für ein hoch industrialisiertes Exportland auf Dauer eine bedrohliche Situation, an die sich aber aus opportunistischen Gründen niemand wagt. Das politische Personal in der Berliner Machtzentrale ist das wohl am stärksten von der Vereinigung geprägteste, aber mit seinem Revanchismus aus der alten Weltordnung und dem Provinzialismus der eigenen Sozialisation für eine Weichenstellung hinsichtlich der Zukunft deutlich überfordert. Nichts gegen die Partizipation hinsichtlich der Besetzung von Positionen im Machtapparat. Gerade dort spielt die Symbolik eine weit reichende Rolle. Aber bis zur Selbstgefährdung sollte es nicht getrieben werden.

Und vielleicht wäre ein Perspektivenwechsel anlässlich der Feiern auch spannend gewesen. Wie sehen es die Länder, die damals angesichts der aggressiven, militaristischen Vergangenheit Deutschlands so große Bedenken hatten. Wie sehen sie Deutschland heute? Als positiven Impulsgeber? Als ökonomische Ordnungsmacht? Als Blaupause für die Zukunft oder als schleichende Bedrohung? Aber wer sich als Sieger wähnt, den scheint das wenig zu interessieren. Die BILD-Zeitung verteilte 42 Millionen Freiexemplare. Mit viel Pathos wird dort der Fall der Mauer gefeiert. Einmal abgesehen von dem vielen Schmu, der dort zu lesen ist, sind die beiden Grußworte von George Bush sen. und Michail Gorbatschow das Lesenswerteste. Bush appelliert vor allem an die stetige Notwendigkeit, für die Freiheit kämpfen zu müssen. Aber Gorbatschows Worte sind derartig aktuell, dass sie es verdient haben, zitiert zu werden:

„Nicht Gewalt, sondern Gespräche und Suche nach Vertrauen, das Bestreben, sein Gegenüber zu verstehen, haben das Klima geschaffen, in dem es möglich wurde, ein so düsteres Bauwerk wie die Berliner Mauer zu zerstören.
Ich muss an die Worte meines Freundes Willy Brandt denken: „Wer nicht schießen will, muss reden.“ Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen!“

Wirklich nicht!

Spaltung am Tag der Einheit

Vor einem Vierteljahrhundert war eine Situation eingetreten, die der viel zitierte Lenin mit einem wunderbaren Wort seinerseits hätte hinterlegen können: Eine revolutionäre Situation entsteht dann, wenn die unten nicht mehr wollen und die oben nicht mehr können. So einfach kann das sein. Ganz so einfach war es aber nicht. Sicher ist, dass die Bevölkerung der damaligen DDR so nicht mehr weiter leben wollte. Und sicher ist auch, dass die dort herrschende Parteibürokratie in der bewährten Weise nicht mehr weiter regieren konnte. Das Geflecht, in dem diese revolutionäre Situation entstanden war, beinhaltete allerdings Faktoren wie die beiden Supermächte USA und vor allen Dingen die UdSSR. Letztere hätte den Zusammenbruch der DDR durchaus militärisch verhindern können. Und es ist ebenso sicher, dass die andere Supermacht deshalb keinen neuen Krieg vom Zaun gebrochen hätte. Die UdSSR standen allerdings selbst vor massiven inneren Problemen und die politische Maxime Michail Gorbatschows, Glastnost und Perestroiika, heute das Motiv eines jeden Change-Prozesses, trug dazu bei, dass unter bestimmten Zusicherungen die UdSSR ihr eisernes Veto nicht abriefen. Die Zusicherungen seitens des Westens und des neuen Deutschlands bezogen sich auf Neutralitätsgarantien im mittel- und osteuropäischen Raum.

Diejenigen, die von der Öffnung am meisten profitiert haben, eine junge Elite am Rande der damaligen ostdeutschen Nomenklatura, hat es seither weit gebracht. Heute stehen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten genau die Profiteure dieser Friedens- und Gewährungsgeste in den zentralen Positionen der politischen Macht. Was beiden anlässlich der Feiern zu dem Vierteljahrhundert von sich gaben, deutet von einer Ignoranz und einem Zynismus, der erschüttert. In ihren Reden wurden keine Bezüge zu der historischen Konstellation hergestellt und es reduzierte sich alles auf den mit brennenden Kerzen vorgetragenen Widerstand dieser Tage. Das trifft einen Teil, der nicht geschmälert werden soll, aber es ist der kleinere. Und das mit Absicht.

Seit der Jahrtausendwende folgte die Bundesrepublik der aggressiven Politik George W. Bushs, die eine gezielte und planmäßige Osterweiterung der NATO zum Ziel hatte. Bislang sind es neun Staaten im ehemaligen Sicherheitsgürtel der UdSSR, die als Mitglieder aufgenommen wurden. Mit der Ukraine geht es nun um den zehnten Staat, dessen Ostteile historisch eng mit Russland verwoben sind. In diese Richtung gingen dann auch die Formulierungen Angela Merkels, die die Lehren aus dem Erfolg der Wiedervereinigung dahin gehend formulierte, dass man wehrhaft und entschlossen bleiben müsse. Das ist starker Tobak, sagt es doch aus, dass die Lehre aus der Vereinigung die Härte gegen die damaligen Befähiger sein müsse. Politisch ist das absurd, propagandistisch passt es zu dem Höllenritt, der in voller Vorbereitung ist.

Zeitgleich berichteten die Medien, dass die gegenwärtige Verteidigungsministerin bereits den Einsatz einer Bundeswehrtruppe mit Drohnenbesteck zur Überwachung der Friedensvereinbarung in der Ostukraine plane. Angefragt hat niemand, aber das scheint die trunkene Vorstellung von Proaktivität auch nicht zu erfordern. Gleichzeitig will der CSU-Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen LKW-Konvoi mit Hilfsgütern in die Ostukraine schicken, dieses wiederum ohne Absprache mit dem eigenen Auswärtigen Amt und anderen internationalen Akteuren. Wer als Kanzlerin so mit dem Ölkännchen an den Feuerstellen spazieren geht, darf sich nicht wundern, dass die hauseigenen Hasardeure aus ihren dunklen Löchern geschossen kommen und sich an dem Feuerwerk beteiligen wollen. Es sind wahre Lehrstunden, die anlässlich des Festes der Deutschen abgehalten wurden. Wieder nichts gelernt, könnte man sagen. Mit dieser Haltung wird die europäische Spaltung militant voran getrieben und die Politik diskreditiert, die zu den Erfolgen der Verständigung geführt hat.