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Der Traum ist aus?

Was war das für ein Gefühl! Welche Aufbruchstimmung. Als in den Jahren 1989/90 der eiserne Vorhang fiel und die Menschen in unterschiedlichen Ländern den Wind der Veränderung spürten. In vielen Ländern Osteuropas wurde wieder eine Art der Befreiung gefeiert und in Deutschland erfüllte sich ein Traum, an den niemand mehr zu hoffen wagte. Zurück und vereint! Einig, auf dem Boden des Rechts und der Freiheit. Die Hymne wurde über Nacht eine Zustandsbeschreibung! Im transatlantischen Amerika sprach man vom Ende der Geschichte. Im Sinne Hegels. Es sollte die Vollendung des Gedankens der Demokratie sein.

Ich habe mir meine eigenen Aufzeichnungen und zahlreiche Dokumente aus jener Zeit noch einmal angesehen. Bei der Lektüre hatte ich das Gefühl, tatsächlich unzählige Träumer sprechen zu hören, die mit der harten Realität, die sich seitdem durchgesetzt hat, nichts, aber auch gar nichts gemein hatten. 

Das, was wir heute lesen müssen und selbst schreiben, fühlt sich angesichts des historischen Vergleiches an wie der Widerstand gegen die Verhältnisse, die damals zum Einsturz kamen. Die heutigen, zeitgenössischen Dokumente, sei es bei denen aus Regierungskreisen, seien es die einer wie auch immer gearteten Opposition, erscheinen heute wie die Texte eines Theaterstücks aus den letzten Tagen des Kalten Krieges.

Die Regierungen, ja, auch und vornehmlich die aus dem freien, demokratischen Europa, reden und führen sich auf wie die damals untergehende Nomenklatura eines geistigen wie teilweise staatlichen Totalitarismus. Sie leben in ihren Blasen, von den tatsächlichen Lebensumständen der Bevölkerung haben sie keine Idee. Sie diskreditieren und verfolgen jede Form der Kritik und unterstellen ihr, von vermeintlichen Feinden gesponsert zu sein. Und sie hängen sich gegenseitig Orden um den Hals und schmücken sich mit Preisen, die durch den Akt selbst zu wertlosem Lametta werden.

Und die unten, die legendären kleinen Männer und Frauen, was machen sie? Sie wenden sich ab in Entsetzen, sie verdrehen die Augen, wenn sie ihre vermeintlichen Vertreter reden hören und sie wissen viel mehr, als man im elfenbeinernen Turm zu glauben vermag. Auch sie sind weltweit vernetzt, sie wissen um die permanent ihnen an den Kopf geworfenen Unwahrheiten, sie reisen selbst in die Länder, die auf der Liste der vermeintlichen Feinde stehen und machen sich ihr eigenes Bild. Und sie erzählen es weiter. Und alle wissen, welches Spiel gespielt wird. 

Eine treffende Bezeichnung für das, was da gespielt wird, werden Nachgeborene noch finden. Die Analogie jedoch zu dem, was vor 35 Jahren passierte, ist offenkundig. Es ist ein Vorabend. Ein Vorabend des Zusammensturzes eines politischen Systems, das sich über eine Generation dem ungezügelten Wirtschaftsliberalismus hingegeben hat und dabei sowohl die eigene Substanz als auch die Würde verloren hat. Mit dem Märchen des Wertewestens kann man selbst in dem Areal seines Wirkens niemanden mehr bei der Stange halten. Und bei jenen, die das Treiben einer verrohten, lumpenproletarischen Politikklasse von außen betrachten, wirkt das hier aufgeführte Theater nur noch absurd. Geglaubt, geglaubt wird den Vertretern des so hoch gerühmten Bündnisses, das sich exklusiv dem Krieg verschrieben hat, nicht mehr.

Lesen Sie noch einmal Artikel, Texte, Bücher, aus jener Zeit, als der Eiserne Vorhang fiel. Lassen sie sich noch einmal berauschen von den Träumen, die viele hegten. Und grämen Sie sich nicht zu sehr, dass der große Traum von Freiheit, Frieden, Wohlstand und Selbstbestimmung sehr schnell ausgeträumt war! Wieder steht ein System vor dem Zusammenbruch. Und danach darf wieder geträumt werden.

Der Traum ist aus?

“Entweder du bist frei, oder du bist es nicht!“

Eine Frage durchgeistert viele Köpfe mehr denn je. Was braucht es, um den Menschen, das Individuum, den Staatsbürger, sich als frei fühlen zu lassen? Und was ist es, dass er oder sie sich tatsächlich auch frei fühlt? Die Regierungen in den westlichen Ländern verweisen auf ihre Verfassungen. In anderen Ländern wird Freiheit nicht als Verfassungsrecht, sondern als Naturgesetz verstanden. Dritte wiederum halten die Frage für irrelevant, solange eine wie auch immer geartete Führung es fertig brächte, das Gemeinwesen zum Prosperieren zu bringen. Und wiederum andere pfeifen auf den Aspekt der Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, solange sie selbst an der Macht sind. 

Es ist interessant, die Weltkarte nach diesen Kategorien zu durchforsten. Das für den westlichen Beobachter Überraschende wird dabei sein, entdecken zu müssen, dass die verfassungsmäßigen, verbrieften Freiheitsrechte des Individuums ungefähr nur in einem Achtel der auf der Welt repräsentierten Staaten erwähnt werden. Es sollte zu denken geben. Nicht, weil es etwas mit einer wie auch immer gearteten Wahrheit zusammenhinge. Nein, aber weil es die Orientierung der Gattung in Bezug auf seine jeweiligen Staatssysteme dokumentiert. Und in der Minderheit zu sein bedeutet, sich genau überlegen zu müssen, was man wie erreichen will. Kreuzzugsmentalitäten sind, sofern man nicht den Krieg zum Mittel aller Dinge erheben will, das wohl Dümmste, was einem dabei einfallen kann. Und, um diesen Gedankengang abzuschließen, momentan sieht es so aus, als hätte sich der Westen unter Führung der zunehmend mehr in Panik geratenden USA auf ausgerechnet die schlechtest möglichen Option eingeschworen. Wenn das so bliebe, dann werden die gerade mit ihren ersten Laufversuchen betrauten Enkelchen in den USA und Europa bis zur eigenen Ergrauung nichts mehr erfahren als Kriege.

Um ehrlich zu sein, wird es nichts helfen, sich über diese Großwetterlage in langen, fruchtlosen Debatten auseinanderzusetzen. Denn die Karten sind gemischt. Der Krieg ist allgegenwärtig und rückt immer näher. Und in welcher Regierungszentrale, bitte schön, beriete man so etwas wie die Möglichkeit von Frieden und der dazu notwendigen Architektur sowie einem Paradigmenwechsel in der Politik?

Das Einzige, was hilft, ist etwas, das es schon immer gab und das im Grunde, betrachtet man den Lauf der Weltgeschichte, die einzige Kraft ist, die in der Lage ist, dem psychotischen Machtstreben von Profiteuren der Vernichtung den Garaus zu machen. Es ist die innere Freiheit. Der einfache Satz des Rebellen, der da lautet, „entweder bist du frei, oder du bist es nicht!“ Unabhängig von den äußeren Bedingungen, die dein Handeln ermöglichen. 

Ja, der Einwand kommt sofort und immer: Kann es nicht sein, dass der Preis zu hoch ist? Und die Antwort ist ebenso klar. Ja, er kann sehr hoch sein, er kann sogar die eigene Existenz kosten. Aber das, das muss das Individuum selbst entscheiden. Die Freiheit ist nicht umsonst! Sie abhängig zu machen von Schriftstücken, von Erklärungen und unverbindlichen Formulierungen, das ist ein scheinheiliges Werk, das nichts bedeutet. Wer allerdings für sich bestimmt, dass er oder sie frei ist, der hat das Zeichen gelesen. Die eigene, innere Freiheit, die sich durch nichts korrumpieren lässt, weder durch Bequemlichkeiten noch durch Drohungen und Angst, sie ist die Voraussetzung, derer es bedarf, um den Geist von Raub und Unterwerfung zu bezwingen. 

Generationenkonflikt: Wer ist wann betroffen?

Momentan wird in meiner Stadt eine Diskussion um die Notwendigkeit eines neuen Fußballstadions geführt. Wie immer in solchen Fällen gibt es gute Gründe dafür wie dagegen. Doch darum geht es mir nicht. Mir fiel bei dem Thema eine Episode aus meiner Kindheit ein. Auch damals ging es um eine neues Stadion. Meine Großmutter fragte uns, wie groß das denn werden solle, und als wir ihr das Fassungsvermögen nannten, schaute sie uns ungläubig an, rechnete im Kopf und sagte dann, dass sei ja die dreimalige Einwohnerzahl ihres Heimatortes. Sie vermutete eine Schelmerei unsererseits. Als wir ihr jedoch beteuerten, sie habe richtig verstanden und sie fragten, was sie denn davon halte, gab sie uns eine Antwort, die aktuelles Gewicht hat. Sie sagte, sie werde sich dazu nicht äußern, denn ihre Lebenszeit fiele nicht mehr in die Nutzung dieses Projektes. Um es noch zu erwähnen: sie war eine gutmütige wie gütige Frau, deren Leben durch harte Arbeit geprägt war. Und, wie die Antwort zeigt, war sie auch weise.

Die Haltung, sich nur noch in die Auseinandersetzungen einzumischen, die eine Wirkung auf das eigene Mitwirken und Erleben haben, erfährt durch die demographische Entwicklung in unserem Land eine besondere Dimension. Die meisten politischen Diskussionen, die geführt werden, beziehen sich nämlich auf Weichenstellungen. Sieht man sich die Bilder derer an, die bei Zukunftsprojekten zugegen sind und vehement Partei ergreifen, lässt sich feststellen, dass zumeist diejenigen, in deren Leben dieses Projekt eine Rolle spielen wird, sich in der Minderheit befinden. Und diejenigen, deren Zeitbudget der aktiven gesellschaftlichen Teilnahme überschaubar und in naher Zukunft endlich ist, machen die Majorität aus. 

Einmal abgesehen von den Unkalkulierbarkeiten in großen Umbruchphasen, und in einer solchen befinden wir uns, wäre es mehr als angebracht, genau zu unterscheiden, bei welchen Themen die eigene Existenz noch eine Rolle spielen wird und bei welchen nicht. Es gibt Themen, die immer brandaktuell sind, egal zu welcher Alterskohorte man gehört, wie zum Beispiel Krieg und Frieden, Freiheit, Würde und Gerechtigkeit. Aber es existieren ebenso Themen, von denen man genau wissen müsste, dass sie einen nicht mehr betreffen.

Wir leben in einer Zeit, die auf drei bis vier Jahrzehnte des hemmungslosen Wirtschaftsliberalismus zurückblickt, in der das wachstumsbesoffene „Forever Young“ kultiviert wurde und gleich mehrere Generationen von Ego-Shootern sozialisiert wurden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die einfache, wie kluge Frage einer alten Frau aus der Provinz heute von den meisten Menschen gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Wird mich das, worüber gerade gestritten wird, selbst noch betreffen? Oder wäre es nicht ratsam, den Diskurs denen zu überlassen, die mit Sicherheit davon betroffen sein werden?

Deklinieren Sie dieses Szenario einmal durch! Wie viele der Themen, die momentan eine Rolle spielen, wären davon betroffen! Und mit Sicherheit nähmen manche Diskussionen einen ganz anderen Verlauf! Und kommen Sie nicht mit dem Argument, es ginge auch um die Verantwortung für die Zukunft. Zumeist handelt es sich um Selbstüberschätzung, Eigenliebe und Egoismus. 

Will diese Gesellschaft nicht in eine unversöhnliche Spaltung zwischen den Generationen hinabgleiten, dann wäre es ratsam, sich die Frage nach der jeweiligen eigenen zeitlichen Betroffenheit für die politischen Projekte, um die es geht, ausdrücklich zu stellen. Selbstverständlich freiwillig. Aber es entstünde eine neue Dynamik, die befreiend wäre. Und, als kleiner Hinweis an die Alten: Krieg und Frieden, Freiheit, Würde und Gerechtigkeit, diese Themen bleiben, und sie sind Aufgabe genug!