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Feiger Mord und politische Courage?

Wenn ein Menschenleben durch fremde Gewalt vernichtet wird, greifen Politiker, sollte es in das eigene politische Portfolio passen, gerne zu der Formulierung, es handele sich um einen feigen, brutalen und/oder hinterhältigen Mord. Wie gesagt, wenn es passt! Ich habe mich in solchen Situationen immer gefragt, ob es mutige Morde überhaupt geben kann? Lange habe ich diese Frage verneint, bis mir der Tyrannenmord in den Sinn kam. Dieses Gedankenspiel ist sogar im Grundgesetz beschrieben. Ja, darüber kann man streiten. Aber ansonsten? Zumindest kommt niemand auf die Idee, bei einem gewöhnlichen Mord von einer mutigen Tat zu sprechen.

Aber, wie es so ist, vieles hat sich in unseren Sprachgebrauch eingeschlichen, das unsinnig ist und trotzdem gerne benutzt wird. Nähme man das alles ernst,  dann würde vieles anders verlaufen. Und, wenn wir schon dabei sind, von Mut zu sprechen, wie verhält es sich mit einer Bundesregierung, die miterlebt, dass eine wesentliche Ader der kritischen Infrastruktur wie die Nord Stream Pipeline, vernichtet wird, und man alles daran setzt, um die Ursache im Verborgenen zu lassen? Man erinnere sich: der Angriff auf das World Trade Center im Jahr 2001 wurde nicht nur als ein Angriff auf die kritische Infrastruktur der USA angesehen, sondern es führte sogar zur Ausrufung des NATO-Bündnisfalls und zu einem 20 Jahre dauernden Krieg in Afghanistan, der nebenbei, völkerrechtlich nicht legitimiert war. 

Nähme man dieses Handlungsmuster, das, rückblickend betrachtet, an Absurdität nicht zu überbieten ist, und wendete es auf Nord Stream an, dann ist nicht auszudenken, was passieren müsste. Der NATO-Bündnisfall müsste ausgerufen werden, weil tatsächlich ein massiver, verheerender Angriff auf die kritische Infrastruktur stattgefunden hat. Und, vieles spricht dafür, es käme zu einem Bündnisfall innerhalb des Bündnisses. Da tanzt der Teufel natürlich auf dem Tisch und singt mit galliger Stimme zynische Lieder. Was für ein Irrsinn.

In diesem Zusammenhang sollte Vorsicht geboten sein, die Kategorie „Mut“ in diesem Kontext gegenüber der Bundesregierung zu bemühen. Die Verantwortlichen werden wissen, wie prekär die Lage ist, wenn öffentlich wird,  wie innerhalb des eigenen Bündnisses agiert wird.  Dass in diesem Kontext das Gebrüll gegenüber Russland besonders laut ist, muss, dieses Urteil liegt auf der Hand, als eine Übersprungshandlung gewertet werden. Das wissen die Beteiligten. Und deshalb halten sie auch an dem Narrativ fest, das sie täglich, ununterbrochen und bis zum Erbrechen verbreiten. Dass die so geheiligte NATO als verlängerter Arm einer zunehmend aggressiver werdenden USA (sofern eine Steigerung im Hinblick auf die Zeit nach dem II. Weltkrieg überhaupt noch möglich ist) im Wissen um Russlands rote Linien den Krieg mit verursacht haben und seitdem immer weiter eskaliert, gehört ebenso zu den Wahrheiten, die in Bezug auf die Selbstverortung existenziell sind.

Vielleicht ist das Schweigen im Hinblick auf diese Faktenlage sogar so etwas wie eine mutige Aktion. Die Akteure wähnen sich vielleicht sogar als politisch couragiert. Allerdings mit dem Risiko, dass, sollte endlich herauskommen, wer in diesem Spiel welche Rolle spielt und gespielt hat, es zu einer Entladung kommt, die sich niemand vorzustellen vermag. Wenn herauskommt, dass die Bundesrepublik Deutschland nichts anderes ist als ein Protektorat der USA, das als Einsatz im Spiel um die Weltherrschaft auf dem Tisch liegt und das mental komplett auf den Hund gekommen ist? Selbstachtung? Selbstbewusstsein? Mut? Behauptungswille? Das wäre ja alles nicht auszudenken! Wohin würde das führen?  

Afghanistan, Ukraine: Lesen Sie die politische Bilanz!

Es häufen sich die Berichte über die aus westlicher Sicht untragbaren Zustände in Afghanistan. Hauptaugenmerk gilt dabei dem Schicksal der Frauen, die unter der Herrschaft der Taliban und ihrer Auslegung der Scharia besonders zu leiden haben. Daran gibt es nichts zu relativieren. Und dennoch muten diese journalistischen Beiträge verwegen an. Sie gleichen denen, die vor zwanzig Jahren platziert wurden, als man dabei war, dem Land ohne völkerrechtliches Mandat und auf einen bloßen Verdacht hin mit einer Allianz der Willigen den Krieg zu erklären. Konkret ging es um eine Gruppe von Personen, denen die USA die Planung und Beteiligung an den Anschlägen auf das World Trade Center anlasteten. Vor allem der Anführer dieser Gruppe, Osama Bin Laden, war weder Afghane noch von der afghanischen Regierung zu einer solchen Tat autorisiert, aber das spielte keine Rolle. Man erklärte dem Land kurzerhand den Krieg, weil man vermutete, dass sich Teile von Al Quaida dort versteckten. 

Irgendwie musste man es der jeweiligen Bevölkerung schmackhaft machen. Der damalige Verteidigungsminister der Bundesrepublik erhöhte die kriegerische Verbrecherjagd zu einer Verteidigung der Demokratie am Hindukusch und die bereits vor zwanzig Jahren zahnlosen Medien erzählten von den untragbaren Verhältnissen im Land und vor allem von der Rechtlosigkeit der Frauen. Das sollte die emotionale Unterstützung durch die hiesige Bevölkerung sichern. Mit den tatsächlichen Motiven hatte es nichts zu tun. Als Beleg sollte die unbedachte Äußerung des damaligen Bundespräsidenten Köhler gelten, der davon sprach, in Afghanistan ginge es auch um Seltene Erden. Wenige Tage später musste er zurücktreten.

Und nun, nach zwanzig Jahren kriegerischer Präsenz, die selbstverständlich der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge als eine Periode der Demokratiebildung dargestellt werden, wiederholt sich die Geschichte. Dem Land geht es immer noch schlecht, die Frauen werden weiterhin unterdrückt und die Auslegung der Scharia durch die Taliban ist immer noch ein Fiasko. Aus historischer Perspektive betrachtet, ähneln sich die Zustandsbeschreibungen sehr und man könnte den Versuch machen, die historischen Reportagen heute noch einmal zu senden und darauf zu achten, ob das dem Gros der Konsumenten überhaupt auffällt.

Die letzte Verteidigungsministerin der Bundesrepublik hatte ihrerseits kurz nach ihrer Vereidigung angekündigt, dass es erforderlich sei, den 20jährigen Einsatz der Bundeswehr nach dem überstürzten Abzug aus Afghanistan zu evaluieren. Doch dann kam, wie immer in den letzten Jahrzehnten, sehr viel dazwischen. Russland marschierte in die Ukraine ein, die Ministerin entsprach nicht mehr der erneuten folgsamen Politik gegenüber der Führungsmacht USA und erlaubte sich die eine oder andere Unzulänglichkeit und wurde durch einen nassforschen Mann ersetzt, der am liebsten selbst die Panzer an die Front bringen würde. 

Und auch dieses Mal geht es um die Demokratie, genauer gesagt die liberale Demokratie, die am Donbas und vor der Insel Krim verteidigt wird. Und wieder haben die USA und die von ihr administrierte NATO die Finger im Spiel gehabt und, so wie es aussieht, wird es wieder zu einem Ausgang kommen, bei dem die verheerenden Opfer in keiner auch nur rechnerischen Relation zu dem stehen werden, was erreicht worden ist.

Wenn etwas aus den militärischen Konflikten, die in der nibelungentreuen Folgsamkeit gegenüber den amerikanischen Bellizisten mitgetragen wurden, gelernt werden sollte, dann ist es das Lesen der politischen Bilanz dieser Kampagnen. Und liest man diese Bilanz, dann verbietet sich jede Art der Wiederholung, weil die eigene Existenz auf dem Spiel steht. 

Weltpolitische Turbulenzen: Spielen Sie Schach!

Wenn es schon nicht das Mittel einfacher Logik ist, dann sollte es zumindest der Geruchssinn sein. Denn es stinkt vor allem, wenn der Wind aus dem Osten kommt. Wenn er über den Hindukusch hierher weht oder antike Städte im heutigen Irak oder in Syrien berührt. Denn alles, was aus Richtung Ukraine noch kommen wird, ist bereits bei diesen Winden zu riechen. Da kommt der ganze Gestank gescheiterter Kreuzzüge eines von sich selbst überzeugten Zivilisationskolonialismus herüber. Zwar erleben es die in diese Maßnahmen verwickelten Menschen selbst als Desaster, nämlich Politiker wie Soldaten, aber eine Reflexion über das sich wiederholende Elend findet nicht statt, schlimmer, sie ist weder vorgesehen noch erlaubt. 

Die gegenwärtige Verteidigungsministerin der Bundesrepublik, deren Amtsbezeichnung seit langem  einen Euphemismus darstellt, hatte bei ihrem Amtsantritt noch versprochen, dass die zwanzigjährige Operation Afghanistan auf jeden Fall evaluiert werden müsse. Sie hatte das große Glück der russischen Intervention in der Ukraine, denn seitdem ist Afghanistan Geschichte. Sie liegt unbewältigt wie unbewertet in den Archiven oder als Krankenakte von manch traumatisierten Soldaten in den Praxen von Psychotherapeuten. In Afghanistan herrscht allerdings wieder der Status quo ante, da ist die Militärpräsenz als eine weitere Episode des Kolonialismus längst in Vergessenheit geraten und es herrscht, wie vorher, ein prähistorischer Tribalismus. Der hatte zuvor schon die Armee des britischen Empire und des sowjetische Imperiums so gedemütigt, dass beide danach in die Knie gingen.  

Vielleicht ist es auch diese historische Erfahrung, die doch eine Rolle spielt. Der die Weltordnung nach seinen Regeln erhalten wollende westliche Imperialismus hat sowohl in Syrien wie in Afghanistan seine Schranken gezeigt bekommen und sich in einer Situation, die als dramatische taktische Defensive beschrieben werden muss, zu einem Denken verleiten lassen, dass jede Auseinandersetzung mit Kräften, die die eigene Dominanz geostrategisch gefährden könnten, als eine finale Entscheidungsschlacht ansieht.

Die Ukraine ist ein großes europäisches Land, das historisch wie kulturell auf immer, übrigens unabhängig davon, wie dieser Krieg ausgeht, verbunden bleiben wird. Die geostrategische Bedeutung des Landes ist immens, die ökonomische ist nicht zu unterschätzen. Dennoch ist sie eine Figur auf dem großen Schachbrett des amerikanischen Imperiums. Gegenwärtig hält dieses Imperium die Figur, vom Schachbrett genommen, in der Hand und überlegt, welcher Zug der klügste ist, in der Auseinandersetzung mit Russland. Wird sie zum Bauernopfer, oder an eine Stelle auf dem Brett gestellt, wo sie zwar nicht gerissen werden kann, aber kaum mehr eine Rolle spielt? Matt setzen kann man Russland mit der Ukraine nicht. Für die Ukraine ist das ein Debakel, für das Imperium Tagesgeschäft. 

Ach ja, da war auch noch Corona. Und, sieht man genauer hin, dann hat dieses durchaus als historisch zu bezeichnende Ereignis wohl ein ähnliches Schicksal wie der militärische Einsatz in Afghanistan. Von Evaluierung keine Spur. Was auffällt, ist, dass die Summen, die bei einer Verbesserung des Gesundheitssystems fehlten, nun in potenzierter Form als Waffen in die Ukraine überwiesen werden. Prioritäten sind gesetzt. Dafür ist gesorgt.

Immer mehr Menschen schlagen bei diesen Ereignissen, die eine ganz andere Wucht haben als die kleinen Winde davor, die Hände über dem Kopf zusammen und fragen sich, was da eigentlich gespielt wird? Meine Empfehlung: Machen Sie es wie die beschriebenen Schachspieler, entfernen sie sich mental vom Brett und werfen einen Blick auf das Ganze. Nehmen sie mal hier, mal dort eine Figur in die Hand, und räsonieren darüber, ob sie sie opfern oder in die Bedeutungslosigkeit entlassen wollen.