Schlagwort-Archive: westfalian Order

Im Geiste marodierender Heere

Schweden, Sachsen, Böhmen, Franzosen und Ungarn, Friesen und Italiener, Tiroler und Sorben, Tschechen, Wallonen und Flandern, sie alle fielen übereinander her. Mal waren es religiöse Motive, mal ging es um territoriale Ansprüche, mal um Erbfolgen und mal um Ressourcen. Das Gemetzel hatte ungeahnte Ausmaße und zog sich über dreißig lange Jahre hin. In die Geschichte ging dieser europäische Irrsinn ein als der Dreißigjährige Krieg (1618-1648). Er kam zu einem Ende, als der Kontinent nahezu ausgeblutet und verwüstet war. Kaum ein Stein stand noch auf dem anderen und kaum ein Acker wurde noch bewirtschaftet. Als das Werk der Zerstörung vollbracht war, trafen sich die Vertreter der verschiedenen Reiche und Länder in den Städten Münster und Osnabrück, um in langen, zwei Jahre andauernden Verhandlungen, etwas zustande zu bringen, das nicht nur als Westfälischer Frieden bekannt wurde, sondern auch eine internationale Ordnung hervorbrachte, die in der gesamten angelsächsischen Literatur als Westfalian Order einging und bis vor wenigen Jahren das bezeichnete, was als Grundlage für internationales Recht und die Spielregeln der internationalen Diplomatie gelten sollte.

Ein erschöpftes und ausgeblutetes Europa war zu der Einsicht gelangt, dass es nichts bringe, sich aus welchen Motiven auch immer in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, dass es vonnöten und vernünftig sei, sich auf Augenhöhe zu begegnen und dass das jeweilige Interesse an einem eigenen Vorteil legitim sei. Dass es daher wichtig sei, sich zu treffen, um gegenseitigen Vorteil zu suchen und zu finden und dass die Diplomatie immer vor der direkten Konfrontation und einem Krieg vorzuziehen sei. 

Der Zusammenbruch der Westfalian Order ist das Ergebnis jüngerer Geschichte und hatte zunächst seine Wurzeln in den Konflikten im Nahen Osten, in denen plötzlich Warlords und Stellvertreter Kriege gegen Regierungen führten, die anderen Mächten mit ihren Interessen entgegenstanden. Und in den letzten Jahrzehnten hielten sich selbst die ehemaligen Lordsiegelbewahrer des internationalen Rechts in nahezu keinem Interessenkonflikt mehr an die im Westfälischen Frieden festgeschriebenen Prinzipien. 

Es ist Faktum, dass diejenigen, die den Spirit des Westfälischen Friedens kontinuierlich kontaminiert haben, aus dem Lager derer kamen, die sich in dem Militärbündnis NATO vereinigt hatten. Vorneweg immer wieder die USA, wie mit Zucker in der Tasche nahezu regelmäßig gefolgt vom einstigen British Empire, sowie Frankreich, und, damit nicht der Eindruck entsteht, es handle sich um ein alleiniges Werk des als klassisch verstandenen Westens, von der Türkei. Von einzelnen NATO-Mitgliedern wie ab und zu im Verbund, wurde das Völkerrecht ignoriert und kriegerische Aktionen vom Zaun gebrochen und durchgeführt. Von Afghanistan über Libyen, Syrien bis hin zu einem gerade unter heutigen Gesichtspunkten besonders kritisch zu beleuchtenden Drohnenkrieg gegen zivile Ziele auf fremden Territorien stand und steht der Name NATO in einem eindeutigen Licht.

Unter diesem Aspekt ist die Entscheidung, der NATO den Preis des Westfälischen Friedens zuzusprechen, ein militanter Anschlag auf Geschichte wie Logik. Dass sich vom bundesrepublikanischen Staatsoberhaupt bis hin zu den Leitmedien ein Chor der Begeisterung vernehmen lässt, deutet auf nichts anderes, als auf den erbarmungswürdigen mentalen wie ethischen Zustand eines im Zerfall begriffenen Gemeinwesens. Wer keinen Verstand besitzt, wer über keine Scham verfügt und wer sich den Geist marodierender Heere angeeignet hat, zolle diesem erneuten Geniestreich offenen Beifall.  

Im Geiste marodierender Heere

La Légion étrangère

Es sind nicht nur Züge. Es sind deutliche Parallelen. Die Auflösung der für wenige Jahrzehnte faktische unipolaren Welt bringt vieles mit sich, das an eine analoge historische Situation erinnert. Da standen sich aufstrebende und niedergehende Mächte gegenüber. Sie schufen ein Ereignis, das als der Dreißigjährige Krieg in die Geschichte eingehen sollte. Das alte Europa lag zu dessen Ende erschöpft am Boden. Die positive Lehre aus dem Debakel, in dem sich alles getummelt hatte, was auch heute wieder an unterschiedlichen Brandherden zu beobachten ist: Warlords mit ihren Rotten, militante Sektierer und Missionare, Kreuzzügler und schlicht Söldner. Reguläre Armeen, die unter der Administration eines souveränen Staates standen, waren mehr oder weniger erst in ihrer Entstehung. Der Name Wallenstein stand für diese Entwicklung. Der gute Schluss am Ende des jahrzehntelangen Massakers war der Westfälische Frieden. Der wurde in einem Zeitraum von zwei Jahren ausgehandelt, währenddessen die Emissäre zwischen Münster und Osnabrück hin und her galoppierten und zu einem Verständnis des zukünftigen Umgangs miteinander gelangten, das als Westfälischer Frieden in die Geschichtsbücher einging und als ein Meilenstein im Zivilisationsprozesses gesehen wurde. Dort wurde paraphiert, dass jedes Land souverän über die eigenen Angelegenheit befindet, dass beim Umgang miteinander diese Souveränität respektiert werde, sprich das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung gewährt wurde und das Recht, die eigen Interessen zu vertreten, respektiert wurde. In der anglophonen Historiographie wurde seitdem von The Westfalian Order gesprochen. 

Allein bei der Lektüre dieser Zeilen wird deutlich, dass das, was dort als Westfalian Order ins Gedächtnis gerufen wurde, längst der Geschichte angehört. Wir befinden uns, so wie es aussieht, am Beginn eines Dreißigjährigen Krieges2. Heiße Kampfhandlungen existieren zur Genüge, aufstrebende und niedergehende Mächte stehen sich gegenüber, das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung und des Respekts gegenüber den jeweiligen Interessen ist passé und jede Form der Intervention wird mit Religion oder Ideologie legitimiert. Und, selbst das ist zurück: die Warlords und Söldner sind wieder da. Im Nahen Osten, wie in Russland und der Ukraine. Es ist nicht lange her, da spielte ein gewisser Prigoschin mit seinen Wagner-Verbänden eine Rolle, die an alte Räuberpistolen erinnerte. Und nun, brandneu und quasi als Geschenk an den Front National für die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen, hat Emmanuel Macron die Entsendung der französischen Fremdenlegion zur Unterstützung der Ukraine beordert. Dort, nicht dass es im Trubel untergeht, kämpfen schon seit langem Söldner aus aller Herren Länder. Für 800 $ Tagessatz direkt an der Front und 300 $ in der Etappe. Und, um den Gutgläubigen den Schlaf zu rauben, Deutsche sind auch dabei.

Dass nun ein europäisches Staatsoberhaupt einen seit 1831, von Louis Philippe I. gegründetes Konstrukt, das immer fester Bestandteil der französischen Streitkräfte war, in einen heißen Konflikt schickt, ist eine weitere Stufe der Eskalation. Ob die Légion étrangère allerdings von russischer Seite als nicht NATO-relevant angesehen wird, ist fraglich und unterliegt allein  dem russischen Gutdünken. Und ob die Verwegenen, die in Afrika so manchen Kopf abgeschlagen haben, die Invasion Richtung Moskau werden vorbereiten können, ist zweifelhaft. Auch bei Napoleons Feldzug waren sie dabei. Sie schafften es zwar bis Moskau, kamen aber, wie der bemitleidenswerte Rest, als geschlagenes, dezimiertes Häuflein zurück.  

So, wie es aussieht, erscheinen die dunkelsten Stunden Europas in ganz neuem Licht. Und sie sind brandaktuell.