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La Légion étrangère

Es sind nicht nur Züge. Es sind deutliche Parallelen. Die Auflösung der für wenige Jahrzehnte faktische unipolaren Welt bringt vieles mit sich, das an eine analoge historische Situation erinnert. Da standen sich aufstrebende und niedergehende Mächte gegenüber. Sie schufen ein Ereignis, das als der Dreißigjährige Krieg in die Geschichte eingehen sollte. Das alte Europa lag zu dessen Ende erschöpft am Boden. Die positive Lehre aus dem Debakel, in dem sich alles getummelt hatte, was auch heute wieder an unterschiedlichen Brandherden zu beobachten ist: Warlords mit ihren Rotten, militante Sektierer und Missionare, Kreuzzügler und schlicht Söldner. Reguläre Armeen, die unter der Administration eines souveränen Staates standen, waren mehr oder weniger erst in ihrer Entstehung. Der Name Wallenstein stand für diese Entwicklung. Der gute Schluss am Ende des jahrzehntelangen Massakers war der Westfälische Frieden. Der wurde in einem Zeitraum von zwei Jahren ausgehandelt, währenddessen die Emissäre zwischen Münster und Osnabrück hin und her galoppierten und zu einem Verständnis des zukünftigen Umgangs miteinander gelangten, das als Westfälischer Frieden in die Geschichtsbücher einging und als ein Meilenstein im Zivilisationsprozesses gesehen wurde. Dort wurde paraphiert, dass jedes Land souverän über die eigenen Angelegenheit befindet, dass beim Umgang miteinander diese Souveränität respektiert werde, sprich das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung gewährt wurde und das Recht, die eigen Interessen zu vertreten, respektiert wurde. In der anglophonen Historiographie wurde seitdem von The Westfalian Order gesprochen. 

Allein bei der Lektüre dieser Zeilen wird deutlich, dass das, was dort als Westfalian Order ins Gedächtnis gerufen wurde, längst der Geschichte angehört. Wir befinden uns, so wie es aussieht, am Beginn eines Dreißigjährigen Krieges2. Heiße Kampfhandlungen existieren zur Genüge, aufstrebende und niedergehende Mächte stehen sich gegenüber, das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung und des Respekts gegenüber den jeweiligen Interessen ist passé und jede Form der Intervention wird mit Religion oder Ideologie legitimiert. Und, selbst das ist zurück: die Warlords und Söldner sind wieder da. Im Nahen Osten, wie in Russland und der Ukraine. Es ist nicht lange her, da spielte ein gewisser Prigoschin mit seinen Wagner-Verbänden eine Rolle, die an alte Räuberpistolen erinnerte. Und nun, brandneu und quasi als Geschenk an den Front National für die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen, hat Emmanuel Macron die Entsendung der französischen Fremdenlegion zur Unterstützung der Ukraine beordert. Dort, nicht dass es im Trubel untergeht, kämpfen schon seit langem Söldner aus aller Herren Länder. Für 800 $ Tagessatz direkt an der Front und 300 $ in der Etappe. Und, um den Gutgläubigen den Schlaf zu rauben, Deutsche sind auch dabei.

Dass nun ein europäisches Staatsoberhaupt einen seit 1831, von Louis Philippe I. gegründetes Konstrukt, das immer fester Bestandteil der französischen Streitkräfte war, in einen heißen Konflikt schickt, ist eine weitere Stufe der Eskalation. Ob die Légion étrangère allerdings von russischer Seite als nicht NATO-relevant angesehen wird, ist fraglich und unterliegt allein  dem russischen Gutdünken. Und ob die Verwegenen, die in Afrika so manchen Kopf abgeschlagen haben, die Invasion Richtung Moskau werden vorbereiten können, ist zweifelhaft. Auch bei Napoleons Feldzug waren sie dabei. Sie schafften es zwar bis Moskau, kamen aber, wie der bemitleidenswerte Rest, als geschlagenes, dezimiertes Häuflein zurück.  

So, wie es aussieht, erscheinen die dunkelsten Stunden Europas in ganz neuem Licht. Und sie sind brandaktuell.  

Frankreich: Von Befriedung keine Spur!

Frankreich ist ein unruhiges Land. Und das nicht erst seit einigen Tagen, in denen nächtens mehr als 45.000 Polizisten die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten sollen. Bereits im Jahr 2005, zu Zeiten des damaligen Präsidenten Sarkozy, brannten die Vorstädte, die in Frankreich Banlieues genannt werden. Der Anlass damals waren zwei tote Jugendliche aus dem ex-kolonialen Migrantenmilieu, die auf der Flucht vor der Polizei ein Trafo-Häuschen überwinden wollten und dabei letale Stromschläge erlitten.  Heute, vor wenigen Tagen, trafen einen Jugendlichen, der sich einer Polizeikontrolle entziehen wollte, tödliche Schüsse durch die Polizei. In Nanterre, 10 Kilometer vom Pariser Zentrum entfernt. 

Das ist der eine Teil der Geschichte. Der andere spielte in den letzten Jahren im ganzen Land. Anlass waren Benzinpreiserhöhungen, die vor allem die Pendler trafen, die sich nicht mehr leisten konnten, in der Stadt zu wohnen und nun von der Peripherie nicht mehr in die Zentren konnten, wo sie ihre Billigjobs hatten. Was daraus entstand, war die so genannte Gelbwesten-Bewegung. Flächendeckend, wütend, eine soziale Rebellion, jenseits der existierenden Parteien.

Was immer noch schwelt, ist der Protest gegen eine Rentenreform der Regierung. Sie war, so die durch diesen Akt mächtig revitalisierten Gewerkschaften, ein weiterer Baustein in der neoliberalen Agenda des gegenwärtigen Präsidenten Macron. 

Letzterer war 2017 zum Präsidenten gewählt worden. Seine Wahl war ein Desaster für alle existierenden Parteien, die, egal in welcher Bündnisform, nichts gegen die von Macron gegründete Bewegung République En Marche (Republik in Bewegung) ausrichten konnten. Es war ein Aufschrei gegen das etablierte Parteiensystem und die wo auch immer verorteten Eliten. Frankreich war müde von den Attacken des Neoliberalismus und erhoffte sich von Macron einen frischen Wind. Übrigens, wie historisch so oft, handelte es sich wiederum um eine Analogie zu den Entwicklungen in der anderen präsidialen Demokratie, den USA, mit der Wahl Donald Trumps. Die Motive seiner Wahl waren analog zu denen bei der Stimme für Macron.

Dass es sich bei dem Überdruss gegen das etablierte Parteiensystem und der Entscheidung für Macron um einen Trugschluss handelte, stellte sich früh heraus. Man treibt den Teufel nicht mit dem Beelzebub aus. Macron war besser getarnt als Trump, seine Manieren unauffällig, seine Agenda war eine lupenreine Version des unverbrüchlichen Neoliberalismus. Und die Reaktion auf Widerstand bestand und besteht in einer radikalen Militarisierung der Polizei, im Inkraftsetzen von Notverordnungen und Ausnahmezuständen. Die Spaltung der Gesellschaft in unterschiedliche Zentren des Widerstands waren die Folge.

Eine Kehrtwende in der Politik des Präsidenten ist nicht absehbar. Alle Äußerungen Macrons und seiner Sicherheitsbeamten gehen in dieselbe Richtung: weitere Aufrüstung der Polizei, weitere gesetzliche Beschränkungen des Demonstrationsrechts. Wohin die Reise gehen könnte, äußerte jüngst ein in Deutschland forschender französischer Politologe, der beschrieb, was Frankreich erwarten würde, wenn bei den ständigen Auseinandersetzungen auch einmal Polizisten mit dem Leben bezahlen müssten. Dann, so der Mann, wird einem offenen, chaotischen Bürgerkrieg nichts mehr im Wege stehen.

Die Weichen, die Macron gestellt hat, führen die Gesellschaft immer weiter in den offenen Konflikt. Von Befriedung keine Spur. Nicht alle Konflikte, wie vor allem jener mit den Abgehängten in den Banlieues, sind aufgrund seiner Politik entstanden. Aber zu keinem der Problemherde hat er etwas anderes zu offerieren als seine neoliberale Agenda und die staatlich organisierte Gewalt. Die Gefahr, die bereits sehr früh, nachdem die Konturen der Politik Macrons sichtbar wurden, beschrieben wurde, dass er den Weg bereitet für den rechtsradikalen Front National (FN), ist durchaus real. 

Frankreich: Gute Nachrichten

Nicht, dass Kommunalwahlen als das einzige Indiz für die nationale Bestimmtheit genommen werden könnten! Da spielen, wie es der Name schon zum Ausdruck bringt, die Besonderheiten vor Ort eine viel zu große Rolle. Dass Kommunalwahlen allerdings genau den Entscheid darstellen, mit dem Bürgerinnen und Bürger direkt, wohl gemerkt, in Form von Wahlen, ihren Willen zum Ausdruck bringen können, ist leider vielen nicht bewusst. Das zeigt sich immer wieder in den zu niedrigen Zahlen der Wahlbeteiligung. Und diese werden dann zudem mit einer Haltung überstrahlt, die dann doch etwas mit dem nationalen Befinden zu tun haben. Da kommen dann Stimmungen zum Vorschein, die nichts mit den konkreten Taten des lokalen Bürgermeisters, der technischen Ausstattung von Schulen, dem Ausbau einer Infrastruktur für Fahrräder oder dem Bau eines neuen Kraftwerkes zu tun haben. Da gehen dann doch viele zur Wahl, um „denen da oben“, in der Hauptstadt, in der Ferne, mal den Marsch zu blasen. Und nimmt man die Ergebnisse der Kommunalwahlen landesweit zusammen, so kann daraus durchaus ein Trend gelesen werden, der eine Bedeutung für das gesamte Land hat.

Und so ist es geschehen. Der Beau des Neoliberalismus, der so smart daher kommt und so sehr auf den Polizeiknüppel setzt, hat bei den zurückliegenden Kommunalwahlen in Frankreich eine Quittung ausgestellt bekommen, die keinen Zweifel über seine Zukunft mehr aufkommen lässt. Um die meist gebrauchte Bezeichnung, die hierzulande benutzte wurde, um den politisch Unbekannten zu charakterisieren, nämlich der Hoffnungsträger, ihm wurden die Leviten gelesen und sein Stern wird verglimmen wie die letzte Kippe. 

Erstens wäre es lästig, die Vergehen dieses Parvenüs noch einmal aufzuzählen, weil sie so schamlos und dreckig sind. Und zweitens soll man bekanntermaßen den Tag nicht vor dem Abend loben. Denn es kann als ziemlich sicher gelten, dass die vielen Gummigeschosse und die großen Mengen Tränengas, die zu seinem Investitionsprogramm gehörten, noch zum Einsatz kommen sollen, bevor er gehen muss. Aber dennoch: das Ablaufdatum steht ihm auf der Stirn geschrieben. 

Die Französinnen und Franzosen, die an den Kommunalwahlen in ihrem Land teilgenommen haben, man spricht von 40 Prozent der Berechtigten, haben der Partei des Präsidenten nicht nur kein Vertrauen mehr geschenkt, sondern sie haben sie schlichtweg abgewählt. Und das Interessante ist, dass die von vielen befürchtete Abkehr von den klassischen Parteien einher gehen wird mit der Zuwendung zum Front National, der in Frankreich ohnehin schon starken radikalen Rechten, hat sich nicht eingestellt. Es war immer das letzte Argument, um für den gegenwärtigen Präsidenten zu plädieren. Auch hier hieß es, wenn er scheitere, dann falle das Land den Rechtsradikalen zum Opfer. Das klang stets nach der Maxime, „auch wenn ihr jetzt verprügelt werdet, nehmt es hin, es könnte noch schlimmer kommen!“ 

Der kommunale Trend sieht anders aus. Die Mehrheiten gingen vor allem an Grün oder eine Koalition von Grün und Sozialisten. Inwieweit lokale, aus der Gelbwestenbewegung entstandene Bündnisse eine Rolle spielten, muss sich noch herausstellen, darüber wurde bis jetzt nicht berichtet. Jedenfalls ist eindeutig, dass, sofern man es als eine Willensbezeugung wertet, die als Botschaft an den Präsidenten gedacht war, er in der Zukunftsplanung keine Rolle mehr spielen wird und die Suche nicht im Lager des Nationalismus gesucht werden wird. Das sind außerordentlich gute Nachrichten aus dem geliebten Nachbarland!