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Die Renaissance der alten Feindbilder

Manche können sich noch daran erinnern. Die Welt hatte klare Bilder. Da gab es die Guten und die Bösen. Wer Zweifel an den fest gefügten Bildern hatte, der hatte sehr schnell ein ernstes Problem. Da war man schnell ein Brunnenvergifter. Gemeint waren damit diejenigen, die dem eigenen Stamm die Lebensgrundlage entzogen. Und wer nicht gleich dieses Stigma bekam, dem wurde zumindest geraten, doch einfach „rüber“ zu gehen. Das war das Lager des Feindes. Kurz: Die Welt war in Ordnung.

Um es zu konkretisieren! Der Russe, oder auch der Iwan, waren die Metaphern für das Böse schlechthin. Alles, was aus dem Westen kam, war gut und alles, was aus dem Osten kam, war eine bolschewistische Verschwörung. Der wohl kurioseste Begriff aus jener Periode stammte eigentlich aus der Zeit, als die Weltgemeinschaft am deutschen Wesen genesen sollte, seitdem sprachen manche bei Opposition jeder Art vom jüdisch-marxistischen Freimaurertum. Der Russe, der stand bereits vor der Tür und wartete nur darauf, bei uns in die gute Stube eindringen zu können, um unsere Mütter, Schwestern und Töchter zu vergewaltigen, unsere Autos zu beschlagnahmen und die Fabriken abzubauen und hinter den Ural zu schleppen. „In 15 Minuten“, so sang Udo Lindenberg in seiner ironischen Weise, „sind die Russen auf dem Kurfürstendamm…“

Seitdem hat sich die Welt verändert. Zwischenzeitlich glaubte man sogar in Europa, dass die alten Feindbilder der Geschichte angehörten. Deutschland durfte sich wiedervereinigen, die Sowjetunion brach zusammen und wich einer losen Staatengemeinde mit einem russischen Zentrum, die Amerikaner konzentrierten sich mehr auf den Nahen Osten als auf Europa und ein ewiger Frieden schien auf lange Sicht möglich. Zwar gab es den einen oder andren Stolperstein bei er Befriedung Europas, wie zum Beispiel auf dem Balkan, aber selbst dort, bei dem Angriff auf Serbien, waren russische und amerikanische Soldaten auf derselben Seite.

Diejenigen, die nach 1990 geboren wurden, hatten für eine kurze Periode ihres jungen Lebens das große Glück, ohne die alten, hässlichen Feindbilder aufwachsen zu dürfen. Das ging so lange gut, wie die verschiedenen Mächte, die sie ja alle blieben, versuchten, bei ihrem Handeln die Befindlichkeiten der anderen mit ins Kalkül zu ziehen. Doch dann begannen Kräfte zu walten, die sich mit dem Status Quo nicht mehr zufrieden gaben und nach mehr Einfluss lechzten. Alte, aber ökonomisch zeitübergreifende Begehrlichkeiten, wie das Streben nach neuen Märkten und die Verfügung über Rohstoffe begannen, sich der Akteure zu bemächtigen und deren Handeln zunehmend zu beeinflussen. Und plötzlich drängte die NATO und die EU stramm Richtung Osten und Russland schmiedete Bündnisse im Nahen Osten, die Westlern die Sprache verschlugen. Und so ging das dann weiter, Schritt für Schritt, auf beiden Seiten.

Während in Russland ein archaischer Patriotismus das Denken vieler Menschen bestimmt, der vieles legitimiert und sogar fordert, ist diese Form imperialer Betrachtungsweise in bestimmten westlichen Kreisen eher rudimentär vorhanden. Als Pendant oder als Nachfolge dieser Einstellung hat sich allerdings eine genauso aggressive Weltsicht etabliert. Es ist die der moralischen Überlegenheit über den Rest der Welt. Da sind nicht mehr die arischen Gene beim Streben nach Hegemonie relevant, sondern das politisch korrekte Bewusstsein. Und obwohl das alles neu erscheint, haben wir, nicht ohne innere Logik, die Renaissance der alten Feindbilder. Auf allen Seiten: Der barbarische Russe, die faulen und korrupten Südeuropäer und der arrogante Deutsche als Überzeugungstäter. Fortsetzung folgt.

Picknick auf dem Amselfeld

Beim Erfassen der Nachrichten, jetzt, am Ende einer langen Kette, die durchaus Sinn macht, hört es sich dennoch an wie Meldungen aus einer verkehrten Welt. Der baden-württembergische Ministerpräsident, ein Grüner, beschwert sich bei der Bundesregierung, dass die Verfahren für Asylsuchende aus bestimmten Ländern zu lange dauerten und somit Abschiebungen hinausgezögert werden. Dabei ging es ihm vor allem um Menschen aus dem Kosovo. Zur gleichen Zeit verteidigte eine Sprecherin des bayrischen Ministerpräsidenten das Land, um das es ging, den Kosovo, und bat darum dem Land Zeit zu geben, um was auch immer zu richten.

MP Kretschmann hat natürlich Recht, wenn er die Frage stellt, wieso Bürgerinnen und Bürger eines de facto EU-Staates Asyl in einem anderen EU-Land beantragen. Und MP Kretschmann ist da natürlich auch kalkuliert etwas zynisch. Denn der Kosovo dokumentiert in sehr anschaulicher Weise, wie die EU-Politik seit der Zerschlagung Jugoslawiens funktioniert hat und welche militär-strategischen Aspekte eine Rolle spielen.

Unter der Regierung Schröder/Fischer war es 1998 gelungen, quasi als Morgengabe für die internationale Politik, nicht nur für einen Krieg, der den Kern des ehemaligen Jugoslawiens zerschlagen sollte, nicht nur zu werben, sondern auch aktiv an ihm mitzuwirken. Serbien als Herzstück des ehemaligen Jugoslawiens musste geschwächt werden. Was den Bombardements auf Belgrad folgte, war die Abtrennung des Kosovo von Serbien. Ein Gebiet, dass historisch serbischer nicht sein konnte, wurde von einer internationalen Allianz segregiert und als unabhängig deklariert. Und obwohl kein klares Votum der dort lebenden Bevölkerung möglich war, bevor die nativen Serben von dort nicht vertrieben wurden, um eine demographische albanische Mehrheit zu sichern, wurde eine Regierung anerkannt, die ihrerseits eher dem Bild einer kriminellen Vereinigung denn einer demokratisch legitimierten politischen Allianz glich. Soviel auch, ganz nebenbei, zu Fragen des Völkerrechts.

Und dann kam der Goldregen. Obwohl nicht als Vollmitglied der EU anerkannt, nahm man es de facto auf, der Euro wurde als so genannte Fremdwährung eingeführt und gilt seitdem als Landeswährung. Subventionen aus Brüssel flossen pro Jahr in Höhe von 2,5 bis 4 Milliarden in die Hände eines korrupten Syndikats, das sich zunehmend als Drehscheibe für Waffen-, Drogen- und Menschenhandel etablierte. Eine europäische Öffentlichkeit über diese Verhältnisse existiert bis heute nicht, was den den Eindruck untermauert, dass hier in Europa schon längst zur Praxis gehört, was manche Romantiker immer noch exklusiv den USA vorwerfen: Das Arbeiten mit doppelten Standards, die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Lumpen, je nach dem, ob sie nützen oder nicht. Wer den Kosovo in seinem Zustand als Bündnispartner mit Subventionen am Leben erhält und gleichzeitig Verhältnisse in anderen Teilen der Welt anprangert und sogar mit militärischen Interventionen droht, der hat die Unschuld verloren. Und diejenigen, die dieser Argumentation folgen, können besten Falles noch psychopathologische Erklärungen anführen, um sich zu exkulpieren.

Die rein militär-strategische Modellierung des Kosovo war allerdings eine rein us-amerikanische Angelegenheit. Indem das Camp Bondsteel zu einem Flughafen auch für schweres Militärgerät ausgebaut wurde, existiert bereits eine Alternative, sollte die Türkei aus welchen Gründen auch immer der NATO von der Schüppe springen. So wird ein Syndikat suspekter Elemente aus dem Sack der EU gefüttert, die eigene Bevölkerung pauperisiert und terrorisiert, sodass sie Asylanträge auch in Deutschland stellt. Und Bayern bittet um Nachsicht. Die geschilderten Hintergründe im Blick, scheint die Welt doch wieder ganz in Ordnung zu sein. Ob einem das gefällt oder nicht.

Drohgebärden auf dem Balkan

Endlich fallen die Masken. Der Auftritt der EU-Emissäre im serbischen Belgrad lassen kaum noch Zweifel an der geostrategischen Dimension des Ukraine-Konfliktes. Offiziell hat die EU Serbien nun aufgefordert, sich an den Sanktionen gegen Russland zu beteiligen. Kurz zuvor, quasi als Journal für die offizielle EU-Politik, hatte Kanzlerin Merkel schon ihre Sorge in die Mikrophone gehüstelt, dass Russland seine expansionistische Politik, die sie wörtlich als Großmachtstreben bezeichnete, auch noch auf Länder wie Moldau oder den Balkan ausdehnen könnte. Prompt folgte das offizielle Brüssel. Ganz im Sinne der im Falle der Ukraine gescheiterten Politik der Nötigung wurde nun Serbien aufgefordert, wenn es Mitglied der EU werden wolle, müsse es sich an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Warum das im Falle Serbiens gelingen soll, das in puncto nationaler Einheit, historischer Tradition und dem Wunsch nach Unabhängigkeit eine völlig andere Qualität als die Ukraine darstellt, ist eine Frage, die sich die erfolgsverwöhnten Diplomaten der EU erst gar nicht mehr stellen.

Einmal abgesehen davon, dass es ein diplomatisches No-Go ist, einem Antragsteller auf Mitgliedschaft in einem freiwilligen Bündnis einen aggressiven Akt gegen Dritte vorzuschreiben, um die Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, steckt hinter dem vermeintlichen russischen Großmachtstreben das eigene wirtschaftliche Interesse. Es geht dabei nämlich um die von Russland geplante South-Stream-Pipeline, die über das Schwarze Meer, Bulgarien und Serbien nach Südost-Europa führen soll. Das will das amerikanische Big Oil ebenso verhindern wie die EU. Warum, kann man sich ausrechnen. Die South-Stream-Pipeline gefährdet das amerikanische Monopol auf dem Balkan, welches seinerseits die militärische Sicherung des europäischen Marktes auf dem Balkan absichert. Dass die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland derart unverblümt die geostrategische Karte spielt, ist eine neue Qualität. Anscheinend geht die Bundesregierung davon aus, dass die ideologische Begründung der Ukraine-Politik die Bevölkerung empfänglich für mehr vom eigenen Expansionskurs gemacht hat.

Im Kontext freundschaftlicher Beziehungen zweier Staaten, die durch lange historische und kulturelle Bande unterlegt ist und der Planung einer Pipeline von russischer Expansionspolitik zu sprechen, ist ein netter Versuch, die Realität nach eigenem Gusto zu modellieren. Mit dieser Qualität wird das staunende Publikum nun täglich bedient. Die interessante Frage, die allerdings gestellt werden muss, ist die, was denn passiert, wenn Serbien sich nicht durch die EU nötigen lässt. Einmal abgesehen von der verkraftbaren Drohung der Nichtaufnahme in die EU, was soll dann folgen als nächster Repression? Ein erneutes Bombardement Belgrads, wie als Folge des Kosovo-Konfliktes bereits geschehen? Welche Gräueltaten derer, die sich nicht beugen, werden wohl medial aus dem Hut gezaubert, um vielleicht dieses Mal endlich Leos auf den Balkan zu schieben? Nachdem die Propagandamaschinerie so richtig geölt ist, scheint der Durst nach mehr jegliches politisches Räsonnement außer Kraft gesetzt zu haben.

Die ungeheuerliche Befürchtung, dass es sich im Falle der Ukraine nicht um eine diplomatische Panne und einen außenpolitischen Unfall gehandelt hat, sondern den Charakter einer durchaus entwickelten politischen Programmatik aufweist, scheint sich mit dem nächsten Schritt auf dem Balkan als triste Realität herauszustellen. Die Bundesrepublik tritt nun innerhalb kurzer Zeit als eine internationale Macht auf, die an exponierter Stelle dabei ist, andere, unabhängige und souveräne Staaten zu bestimmten Verhaltensweisen und Taten zu nötigen. Dabei beruft sie sich auf alles Mögliche, und wenn alle Stricke reißen, dann notfalls auch noch auf das Völkerrecht. Die Bundesrepublik wirbt nicht für ihre Position mit Attraktivität, sondern sie droht mit Sanktionen. Notfalls mit militärischen.