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Solidarität mit Beirut, Bagdad und Karachi! Ein Kommentar

Manche mögen es heiß. Und manche lernen es nie. Der lakonische Ton möge verziehen werden, aber die Reaktionen auf den Terror in Paris dokumentieren in vielerlei Hinsicht den Gemütszustand des Westens, und der ist doch etwas besorgniserregend. Während sich der staatlich alimentierte Journalismus in der Berichterstattung über Nichtigkeiten regelrecht ergötzt, aber somit allen Konsumenten suggeriert, sie befänden sich in der Rolle von Ermittlern, fällt die politische Analyse dessen, was im 10. Pariser Arrondissement mit voller Wucht gewirkt hat, geflissentlich unter den Tisch. Und um ehrlich zu sein: Es wäre auch fatal!

Dagegen wird der Verlust, der durch den Terror verursacht wurde, in allen Kanälen und sozialen Netzwerken regelrecht gefeiert. Denn die Geschehnisse eignen sich, zumindest in der westlichen Welt, um für eine Nanosekunde das zu begründen, was dort bereits seit langem nur noch ein schlechter Scherz zu sein scheint: Gemeinschaft. Plötzlich und für einen Augenblick sind alle Paris, und die eigenen Bilder erscheinen im Farbglanz der Trikolore. Und, um es ganz klar zu sagen: Als Suche nach Gemeinschaft und als Zeichen der Solidarität ist es menschlich und sympathisch, als politisches Signal ist es naiv.

Bereits nach dem 11. September wurde in der muslimischen Welt heftig über den so genannten islamistischen Terror diskutiert und gestritten. Hätte man im Westen gut zugehört, könnte die Welt heute ein Stück weiter sein. Die meisten Opfer des islamistischen Terrors weltweit haben die Muslime zu beklagen. Das, was am Freitag, den 13. in Paris vorgefallen ist, passiert regelmäßig in Beirut, in Bagdad oder Karachi. Die Liste der dann zu beklagenden Toten lesen die chicen Journalistinnen, die jetzt den Tränen nahe sind, wie kaltschnäuzige Broker des Todes vor. Die muslimische Welt weiß um die Zusammenhänge von Terror, den sie ablehnt, und der politischen Macht, die ihn immer wieder inszeniert und hervorbringt. Und die Bündnispartner des Westens sind zumeist diese Kräfte. Die Achse gegen den Terror, die George W. Bush nach dem 11. September schuf, war ein Who is Who des Terrorismus gegen das jeweils eigene Volk, ein Bündnis von Schurkenstaaten, das bei den moderaten, sich nach demokratischen Staatsformen sehnenden Muslimen dieser Welt nur Kopfschütteln und Enttäuschung hervorgebracht hat.

Bitte, versetzen Sie sich in die Situation derer, die mit dem Terror seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten leben. Wie gesagt, stellen Sie sich vor, sie seinen Bürgerinnen oder Bürger aus Beirut, aus Bagdad, aus Aleppo, aus Karachi oder Kabul. Sie alle haben in der Familien- und/oder im Bekanntenkreis mehrere Opfer des Terrors zu beklagen. Sie leben mit dem Terror, und sie leben sehr eingeschränkt, und obwohl sie eingeschränkt leben, schlägt der Terror immer wieder zu, ohne Ankündigung, ohne Begründung und für Sie ohne Sinn. Und nun schauen Sie Al Jazira, BBC oder CNN und sehen, was im Westen nach dem Terror zu Paris passiert. Sie hören die Erklärungen, dass das alles abscheulich und feige ist, dass dort, wo diese Schergen auftauchen, die Zivilisation am Ende ist, und dass nun der Krieg erklärt sei. Sie, die Sie das seit der eigenen Einschulung nicht anders kennen, sie hören jetzt, nach Paris, ist Schluss?

Sie, Bürgerinnen und Bürger der vom Terrorismus seit Jahren geschändeten Städte, sie werden tiefes Mitgefühl für die Opfer und deren Angehörige in Paris haben, denn Sie wissen, wie das ist. Aber je länger sie hinschauen, desto mehr beschleicht sie das Gefühl, dass sie Menschen zweiter Klasse sind. Und das ist nicht das erste Mal!

Schurkenstaaten

Besonders die so genannten Schwellenländer hören von der Weltbank immer wieder den Kanon von den Voraussetzungen für eine geschäftsfähige, auf Investoren Vertrauen ausstrahlende Demokratie. Dazu gehöre Rechtssicherheit, keine Korruption, und die gesetzliche Hoheit öffentlich handelnder Körperschaften. Das ist in starkem Maße überzeugend, denn wer würde schon sein Geld in Länder stecken wollen, von denen nicht klar ist, dass sie die plötzliche Inbesitznahme desselben durch herrschende Clans verhinderte, in denen die für oder mit diesem Geld Wirtschaftenden nicht das Vertrauen in ihre lokalen Versicherungssysteme und Bankhäuser hätte oder in denen Leistungen letztendlich gar keine Rolle spielten, wären die Korruptionsbeträge nur hoch genug. Vertrauen ist ein hohes Gut, wenn es um die Werte aller geht, die sie erwirtschaften. Raubt man ihnen widerrechtlich oder mangels Recht die von Ihnen erwirtschafteten Güter, ist das Vertrauen dahin.

Sollte man Länder beschreiben, die dieser Schilderung gleichkommen, dann schweift der Blick meistens sofort in die Ferne, was der Sache allerdings nicht gerecht wird. Einmal abgesehen von dem durchaus beachtlichen internationalen Ranking in der jährlich von Transparency International veröffentlichten Skala über die Rolle von Korruption existiert noch eine andere Mentalität in der herrschenden Politik, die dem Gebaren eines Schurkenstaates würdig ist. Es handelt sich um den Zugriff des Staates auf die gesetzlichen Versicherungssysteme von Krankenkassen und Renten. Vor allem letztere sind vor Ausplünderung nicht sicher. Die erste, einer Kollektivierung des Rentenvermögens bolschewistischen Ausmaßes, geschah unter dem konservativen Bundeskanzler Helmut Kohl, als es um die Finanzierung der Angliederung der ehemaligen DDR an das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland ging. Ohne die Versicherten zu fragen wurden nicht nur Rentenansprüche aus den neuen Gebieten dem Rentensystem zugewiesen, was allerdings ohne große Probleme verkraftbar und wahrscheinlich auch von den Versicherten befürwortet worden wäre, hätte man sie eben nur gefragt. Aber die zweckentfremdeten mehreren Hundertmilliarden DM zum Aufbau Ost wurden auch kurzerhand aus diesen Kassen entnommen.

Kohl glänzte in der Sonne der Vereinigungsromantik, während die Nachfolgeregierung Schröder schnell als Spielverderber galt, weil sie mit geplünderten Rentenkassen konfrontiert wurde und Lebensarbeitszeiten anhob und Ansprüche absenkte. Da es jedoch so wunderbar geklappt hat was die Verdunkelung des Vorgehens anbetrifft, hat sich anscheinend die jetzige Große Koalition schnell darauf einigen können, ein Versprechungspaket für verschiedene Zielgruppen wieder einmal aus den Rentenkassen mit jährlich 10 Milliarden Euro zu finanzieren. Gefragt wurden die Versicherten wieder nicht. Rebellieren tun sie aber auch nicht, was ein Licht auf die Atmosphäre in diesem Land wirft. Es ist ja nicht der einzige Punkt, bei dem das Durchdeklinieren der Weltbankkriterien für eine rechtssichere und solvente Gesellschaftsordnung ins Stocken geriete.

Da gäbe es noch die Rolle der Banken zu beleuchten, die, wie die jüngste Eurokrise dokumentiert hat, mit Privatvermögen die Köder für deutsche Großinvestoren auswarfen, die ihren Schnitt gemacht haben, man betrachte nur die Waffensysteme, die man an Griechenland verkaufte. Als diese mit billigen Krediten, die aus hiesigem Privatvermögen bezahlt wurden, nicht mehr bedient werden konnten, enteignete man die Gläubiger, stellte die Schuldner unter politisches Kuratel und inthronisierte die windigen Dealer als systemisch relevant. Das entspricht in großem Maße dem Bild, das die Weltbank und unsere eigene Politik in Sonntagsreden jedem, der es nicht hören will predigt als die Faktoren, die das Vertrauen der Wirtschaft in politisches Handeln dahinrafft. Das wissen wir jetzt. Die Schurken laufen auch hier herum, so ganz ohne Kalashnikov und Augenklappe.

Deutschland und die Schurkenstaaten

Was herrscht in diesem Land für ein Konsens, wenn es an das Zerfleddern der amerikanischen Doktrin der rogue states geht. Schurkenstaaten, so nannte es vor allem die Bush-Administration, seien die, die sich nicht an Freiheit und Gesetz hielten und die verwoben seien mit kriminellen Machenschaften. Und mit Schurkenstaaten dürfe man keine gemeinsame Sache machen, sondern man müsse sie anprangern und in der internationalen Staatengemeinschaft ächten.

Recht so, sagten und sagen in diesem Kontext viele Recht schaffende Menschen, denn, so ihre logisch unbezweifelbare Schlussfolgerung, wo käme denn die internationale Staatengemeinde hin, wenn sie gemeinsame Sache machte mit kriminellen Vereinigungen im Staatsgewand. Das Dumme seitens der Supermacht USA war nur immer und immer wieder, dass ihr nur dann das Schurkenhafte eines Staates gegen den Strich ging, wenn sich die Interessen nicht mit denen der USA deckten. Das war häufig in Südamerika der Fall, wo immer pro nordamerikanische Diktaturen ihre Völker knebelten, das war lange so mit den Philippinen, wo ein Diktator Marcos Unbeschreibliches trieb, aber geostrategisch in die globalen Pläne der USA passte wie der indonesische Tyrann Soeharto, der die größte Kommunistische Partei der Welt im Blut erstickt hatte, um an die Macht zu kommen und das ist seit Jahrzehnten mit Saudi Arabien so, einem reaktionären kriminellen Sklavenhalterstaat, dem kein Kriminaldelikt in seinem Regierungshandeln fehlt, aber der den Zugriff auf die Ressource Öl garantiert.

Die Kritik hierzulande an einer derartig perfiden moralisierenden Politik ist berechtigt und es täte den USA gut, wenn sie sich davon verabschiedeten. Die Bundesrepublik Deutschland aber aufgrund dessen von Verfehlungen freizusprechen, wäre einer der vielen unverzeihlichen Fehler, die aus einem tumben Anti-Amerikanismus allzu häufig entstehen. Denn auch die deutsche Außenpolitik ist nicht schlecht in der Fraternisierung oder Duldung von Schurkenstaaten, sofern die Kasse stimmt. Das war so mit Soehartos Indonesien, dessen letzter berufsmäßiger Killer Prabowo sogar auf deutschen Militärakademien geschult wurde, solange die indonesische Flugzeugindustrie von deutschen Vertragswerken abhing und solange die Meyer-Werft exklusiv die Fähren in den Staat der 13.000 Inseln lieferte. Soeharto, dessen Putsch in den sechziger Jahren 2 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte und als Operacion Jakarta die Modellvorlage für den Staatstreich der chilenischen Militärs in Chile diente, wurde bis es nicht mehr ging von deutschen Diplomaten getragen, es waren schließlich 1998 die letzten, die das Land während dessen Sturz verließen.

Und nun reiben sich viele die Augen, als sie im Zeitalter der frei zugänglichen Informationen ganz unerwartet und plötzlich erfahren, dass im Land des billigen Urlaubs und der gemäßigten Verhältnisse Tunesien seit 23 Jahren die überaus korrupte Familie Ben Alis mit der wohlwollenden Duldung der Bundesrepublik geherrscht und das Land an den Abgrund geführt hat. Es gibt keinen Grund für eine moralische Entrüstung, sondern für eine Aufarbeitung der deutschen Beziehungen zu Schurkenstaaten.