Schlagwort-Archive: Portfolio-Analyse

Wahlen: Kassensturz!

Die Koinzidenz ist wunderbar. Mit der anbrechenden Zeit des Spekulatius-Gebäcks ist synchron die Hochzeit für politische Spekulation zu verzeichnen. Die Informations- und Meinungsindustrie ist voll auf Speed und kann sich nichts Besseres wünschen. Drüben in den USA wurde das toxische Mahl mit der eindeutigen Wahl Donald Trumps zum Präsidenten bereits angerichtet. Dass am selben Tag noch die Bundesregierung in die Knie ging, haben sich die Auflagenjunkies nicht zu träumen gewagt. Jetzt gilt es. Jetzt wird rund um die Uhr gedeutet, spekuliert, geleakt, geschaltet und kommentiert. Interessant dabei ist, dass sich in dem publizistischen Milieu nichts geändert hat. Die Welt legt eine Pirouette hin und man selbst ist in seiner Vorgehensweise einbetoniert.

Hand aufs Herz! Was haben wir von der politischen Hofberichterstattung bisher erfahren? Betretenes Schweigen zum Thema der eigenen grandiosen Fehleinschätzung der amerikanischen Wahl, Spekulationen über die Ereignisse, die zum Koalitionsbruch in Deutschland führten und jede Menge Gewusel um die verschiedenen Möglichkeiten hinsichtlich der im Bundestag zu stellenden Vertrauensfrage und Neuwahlen. Haben Sie irgendwo etwas gelesen zu der Frage, worauf es jetzt in diesem Land ankommt? Wie man sich nicht in einer, sondern in vielen Fragen positionieren müsste? Wer welche Position tatsächlich vertritt und und als potent genug eingeschätzt wird, seine Vorstellungen zu realisieren? 

Was in allen möglichen Bereichen erprobt und vorhanden ist, sei es in Industrie oder Wissenschaft, in jeder halbwegs rational und professionell geführten Organisation, sind bestimmte Instrumentarien, derer man sich in komplexen Entscheidungssituationen bedient. Das eine ist eine Portfolio-Analyse, mit der man, in Abgleich zu den real existierenden Möglichkeiten, in der Lage ist, zu priorisieren. Das andere ist eine synoptische Übersicht, in der man, nach Themen gegliedert, ablesen kann, was verschiedene Akteure dazu anzubieten haben. Allen, die bei den bevorstehenden Wahlen nach rationalen, ihren Interessen entsprechenden Aspekten ihr Votum abzugeben gewillt sind, sei angeraten, sich mit diesen Instrumenten zu befassen und sie für sich anzuwenden. Danach kann der Kassensturz beginnen.

Die entscheidenden Kriterien, zu denen eine neue Regierung in Deutschland Position beziehen muss und aus denen sie Handlungsziele abzuleiten hat, sind Krieg oder Frieden, Energieversorgung und Standortsicherung, Bildungsentwicklung, Instandhaltung und Modernisierung der Infrastruktur, Neoliberalismus oder Sozialstaat, Rechts- oder Gesetzesstaat, Staatsbürgerschaft und Immigration, Bündniszugehörigkeit und Souveränität. Wie ersichtlich, sind das keine Petitessen, sondern gravierende, grundsätzliche Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Ein Slogan, der sich momentan ohne großes Federlesen aufdrängt, wäre der nach Frieden, Souveränität und Wohlstand.

Bei einer synoptischen Übersicht wird sehr schnell deutlich, worin sich die einzelnen Bewerber unterscheiden und in wiefern die Bundesrepublik überhaupt über eine Perspektive verfügt, um aus einer chronisch krisenhaften Situation herauszukommen. Wichtig wäre, sich anhand der aufgezeigten Kriterien auseinanderzusetzen, und nicht danach zu suchen, wer die Schuld am Bruch der Koalition trägt (wenn es nicht das Konstrukt selbst schon war und ist), wie schlimm jetzt alles durch den amerikanischen Präsidenten Trump wird, nach dem der Satan Putin bereits für viele hausgemachte Probleme herhalten musste. Neben der Versachlichung der Positionen sollte klar sein, dass dieses Land für alles verantwortlich ist, was es tut und auch für das, was es nicht tut. Es handelt sich dabei um einen alten Satz aus der Aufklärung. Jedes Problem mit irgendwelchen Feindbildern zu erklären, ist im besten Falle eine Referenz für die eigene Unmündigkeit. Und vielleicht ist damit bereits eine Frage aufgeworfen, die zu allererst geklärt werden muss. Tragen wir nicht die Verantwortung, für alles, was ist? 

Ackergäule, Rennpferde und die Beratungsbranche

Kennen Sie das? Da spricht ein Mensch zu Ihnen, der vieles kritisiert und die Meinung vertritt, er oder sie wüsste, wie man es besser machen könnte? Und in vielen Worten werden die Gegenstände und ihre Dysfunktionalitäten erklärt und ganz zum Schluss kommt dann die Formulierung: Aber mich fragt ja keiner! 

Eine solche Situation haben wir sicherlich alle schon einmal erlebt und, ehrlich gesagt, hinterlässt sie immer auch ein Schmunzeln. Denn dass man, auch wenn man glaubt, man wisse es besser, nicht gefragt wird, hat in der Regel damit zu tun, dass man selbst nicht in der Verantwortung steht, aus der die gegenwärtige Situation resultiert. Warum das so ist, sollte sich jeder oder jede selbst fragen. Für gesellschaftliche Zustände ist es jedoch von keiner Relevanz.

Viel interessanter ist, dass diejenigen, die in besagter Verantwortung stehen, durchaus sehen, dass sie in dem einen oder anderen Fall Hilfe benötigen. Und es existiert eine Branche, die in solchen Fällen ihre Dienste offeriert. Es ist die der Beratung. Und sie hat sich ausdifferenziert spezialisiert auf Wirtschaftsunternehmen, Organisationen unterschiedlichster Art und die Politik. 

Dass es in dieser Branche nicht nur unterschiedliche Qualitäten gibt, ist so normal wie in jedem anderen Segment, in der Arbeitsleistung erbracht wird. Dass dort U-Boote herumfahren, die unter der Flagge Beratung Lobby-Interessen durchzusetzen versuchen, ist bekannt. Und dass die unterschiedlichen Beratungsunternehmen auch mit sehr unterschiedlichen Denkansätzen unterwegs sind, kann sogar als Bereicherung angesehen werden. Und wenn Beratungsunternehmen kompetent sind und sich während eines solchen Prozesses immer ihrer Rolle bewusst sind und darauf achten, dass sie dieser treu bleiben, dann kann ein solches Engagement sehr hilfreich sein und helfen, bestimmte Probleme zu lösen. 

Entscheidend ist meines Erachtens die Frage, ob die angefragte Beratung sich gleich daran macht, die Produkte eines Unternehmens oder die Inhalte einer Politik zu beeinflussen oder ob sie sich darauf konzentrieren, die Akteure Vorgehen wie Ausrichtung selbst bestimmen zu lassen und ihnen bestimmte methodologische, soziale, kommunikative und strategische Werkzeuge in die Hand geben und ihnen helfen, diese anzuwenden. Bei letzterem, so mein Rat, im Falle dass mich jemand fragen sollte, sind die Hilfe und Unterstützung Suchenden gut beraten. Im ersten Fall, so mein Rat, geleiten Sie die Anbieter persönlich und in aller Höflichkeit direkt zum Ausgang und wünschen ihnen alles Gute.

Da wir uns in Zeiten befinden, in denen die Branche der Beratung sehr gefragt ist, ist es sinnvoll, sich genau anzuschauen, wer aus diesem Segment wo unter Vertrag steht und ob die eingesetzten Mittel tatsächlich zu einem Ziel führen. Was festzustellen ist, sind erhebliche Defizite in den Zentren der Verantwortung, die nichts zu tun haben mit den Zielen und Ausrichtungen, sondern in der Analyse des Bestehenden und der handwerklichen und methodischen Vorgehensweise. Da dümpelt vieles dahin. 

Und, zu dieser Erkenntnis bedarf es keines Beratungsunternehmens, sondern da reicht es, auf den Erfahrungsschatz des kollektiven Bewusstseins zurückzugreifen. Man kann aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen. Und bei denen, die das wissen, ist das alles andere als despektierlich gemeint.

Das heißt, wenn irgend jemand fragen sollte: Was sind die Stärken, mit denen wir identifiziert werden und die wir erhalten müssen, um Selbstwert und Identifikation wie Kraft bewahren zu können? Wo hakt es, wo ist zwar vieles vorhanden, was gut läuft, aber wo müssen wir da nacharbeiten? Des Weiteren, auf welchem Feld verkünsteln wir uns, bringen nichts so richtig zustande und vergeuden Ressourcen und sollten einen Schlussstrich ziehen? Und letztendlich, welche Ideen haben wir für die Zukunft und was müssen wir tun, um dahin zu kommen?

Diese vier Fragen gehören zusammen. In der angesprochenen Branche nennt man so etwas eine Portfolio-Analyse. Gut aufgestellte Organisationen wenden diese in bestimmten Intervallen immer wieder an. Hilfe dabei zu holen, kann nie falsch sein. Das alles zu ignorieren schon. 

Ungefragt zu Papier gebracht. 

Wenn nur noch der Blick von außen hilft…

Der bulgarische Politologe Ivan Krastev, der immer wieder gut ist für einen für Eurozentristen ungewöhnlichen Blick auf die Dinge, hat in einem langen Interview auf die großen Verschiebungen im Weltgefüge hingewiesen. Das merkt nun fast jeder an Politik Interessierte und wäre keines besonderen Augenmerkes wert, wenn seine Sichtweise nicht doch gewisse Eigenwilligkeiten aufwiese. Zum einen fällt er nicht in das verbreitete Lamento, das unterstellt, alles für den freien Westen sei nun verloren. Zum anderen hütet er sich davor, in die allgemeine Mobilmachung in militärischer Hinsicht einzustimmen. Beide Versionen, die aus der Betrachtung der Veränderungstendenzen im Westen entspringen, sind aus Krastevs Sicht irreführend und nicht produktiv. Auch diese Bemerkung wäre in früheren Zeiten nicht sonderlich revolutionär gewesen, befänden wir uns hier, in der Bundesrepublik Deutschland, nicht in einem Land, in dem seit geraumer Zeit nicht eine ideologische wie tatsächlich auch materielle Mobilmachung stattfinden würde. 

Gut ist, innerhalb unserer Diskussions- und Kommunikationssphäre noch Menschen zu wissen, die ihrerseits international eine gewisse Reputation besitzen, durch ihre Arbeiten und Publikationen bewiesen haben, dass sie über einen untrüglichen Blick auf die politischen Tendenzen in der Welt haben und noch nicht durch die Fleischwölfe der hiesigen Meinungsmonopole gepresst wurden. Für jene, die alle Hoffnung haben fahren lassen, sei die Bemerkung erlaubt, dass es außerhalb des provinziell-bellizistischen Orkus hierzulande durchaus noch vernünftige Stimmen gibt, die dazu beitragen können, dass die Verhältnisse nicht in ein irreversibles Fiasko münden. Genug Potenzial für letzteres ist in der Bundesrepublik vorhanden. Die bedingungslose Befolgung transatlantischer Direktiven hat zu einem nie da gewesenen Abhängigkeitsverhältnis geführt, das den Charakter der Selbstaufgabe angenommen hat.

Allein Krastevs Hinweis, dass in den nächsten zwei Jahren weltweit über vier Milliarden Menschen zur Wahl gehen werden, sollte die Augen öffnen, dass selbst in formalen Demokratien sich etwas tun kann, welches die Konstellationen in der Welt verändern kann. Zum Beispiel auch zu einer de-eskalierenden Politik trotz unterschiedlicher Interessen. Hier sind die Claims jedoch bereits abgesteckt. Man stelle sich vor, welches Zeter und Mordio hierzulande zu vernehmen wäre, wenn in den USA ein anderer als Joe Biden gewählt würde. Trotz des unbeschreiblichen Fiaskos, in das seine Politik dieses Land geführt hat, von einem vermeidbaren Krieg bis zur De-industrialisierung, würden Tränen geweint. Und spätestens dann müsste es auffallen, dass eine eigenständige Analyse der eigenen Interessen und eine Strategie, wie diese umzusetzen sind, nicht vorhanden sind. Das von der EU seit geraumer Zeit vertretene Junktim von EU- und NATO-Mitgliedschaft, entstanden auf Anraten der USA, wird sich als das Herzstück einer selbstmörderischen Politik entpuppen, wenn der große Pate in eine andere Richtung schaut. Was er bereits macht. Wenn aber auch die symbolischen Gesten der Solidarität ausbleiben werden, wird deutlich werden, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist. 

Die Ruhe, die erforderlich ist, um quasi eine Portfolio-Analyse für das eigene Land zu machen, in der die Interessen austariert und die daraus abzuleitenden politischen Strategien formuliert werden, wird es nicht mehr geben. Und die Akteure, die einer solchen Übung fähig wären, sind nicht vorhanden. Stattdessen soufflieren mediokre Chargen aus allen möglichen Stiftungen der Politik die nächsten Schritte, während die Kameraden aus dem Medienmonopol die nächsten Treibjagden auf alle vorbereiten, die einen abweichenden Blick auf das Geschehen werfen. Wer diesen Blick noch bekommen will, der muss woanders suchen!