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„Sind Sie Jemand?“

Ein guter Bekannter erzählte mir kürzlich von einer Reise in die Schweiz. Dort hatte er in einem Hotel übernachtet und dort traf er im Foyer auf eine Dame, mit der er ins Gespräch kam. Diese machte einen wohl situierten und gebildeten Eindruck. Doch kaum hatte das Gespräch begonnen, da fragte sie ihn: Sind Sie Jemand oder empfangen Sie Lohn? Mein Bekannter erzählte, dass es ihm zunächst den Atem verschlagen, er sich dann aber unter Wahrung der Etikette relativ schnell aus der Unterhaltung verabschiedet habe. Meinem Bekannten sei zugute zu halten, dass er seinerseits Unternehmer ist und insofern in den Kategorien dieser Frau sich hätte weiter unterhalten dürfen, da er zu den Jemanden gehört und von niemandem Lohn erhält. Doch das ihn an die alte aristokratische Gesellschaft erinnernde Standesdenken hatte ihn so schockiert, dass er nicht mehr mit dieser Frau weiterreden mochte. 

Als der Bekannte die Episode erzählte, tat er es mit einem Lächeln. Wir, die wir zuhörten, reagierten sehr unterschiedlich, doch alle ablehnend. Da war Unverständnis zu spüren, ebenfalls Lachen, aber auch Aggression und Wut. Interessant bei diesen Reaktionen war, dass vielen von uns, obwohl in Summe doch erfahrene Menschen, eigentlich nicht glauben wollten, dass eine solche Haltung heute, 2020, noch existiert. Sehr schnell ging es nur noch um diese Frage. Kann es tatsächlich sein, dass hinter den Fassaden einer Demokratie die alten Aristokraten, die heute Oligarchen, Plutokraten oder Couponschneider sind, mit einer näselnden Verachtung von denen sprechen, die für ihren Reichtum in gehöriger Weise mit verantwortlich zeichnen? Und, obwohl das Entsetzen groß war, kamen wir relativ zu dem Schluss, dass wir die Frage mit Ja beantworten müssen. Denn alles, was mit den zahlreichen Krisen und Skandalen zum Vorschein kommt, bringt eines zutage: Rücksichtslosigkeit und mangelnden Respekt, von einer Warte aus, die unverständlich erscheint.

Das Bild, das sich zeichnet, um die existierende Welt zu beschreiben, wird durch diese Episode ein anderes. Da arrangieren sich die verschiedenen Teile der Gesellschaft nicht durch einen Diskurs, der auf den Ausgleich der Interessen setzt, um so einen Zusammenhalt zu erreichen, der notwendig ist, um als eine größere Gemeinschaft den Herausforderungen an die soziale Existenz, die Ökologie, die Gesamtpopulation und den Frieden zu entsprechen, sondern etwas Neues, das im Grunde genommen sehr alt ist.

Es entsteht das Bild von einer Welt, in der ein bestimmtes Stück inszeniert wird, um die Köpfe zu vernebeln. Das Stück heißt Demokratie. Und in diesem Stück inszenieren diejenigen, die sich als ein Jemand empfinden und dies aufgrund ihres Besitzes auch sind, alles, was dazu tauglich ist, um von dieser grundlegenden Unterscheidung abzulenken. Da existieren Mediengruppen in den Händen der Jemands, die Meinungen produzieren, die dazu gedacht sind, denen, die Lohn oder noch Minderwärtigeres empfangen,  alle möglichen Erklärungen für ihre missliche Lage zu liefern, nur nicht die zutreffende. Da existieren politische Parteien, die entweder darauf setzen, eine unbegründete Hoffnung in die Regeln eines Spiels zu setzen, das immer nur für die gut ausgeht, die sich als Jemand fühlen dürfen oder, noch schlimmer, die darauf spezialisiert sind, Sündenböcke für das Elend derer zu benennen und die Lohnempfänger aufeinander zu hetzen. 

Ich hätte eine Bitte an die, die sich als Jemand fühlen: Es wäre von großem Vorteil, so zu reden, wie man tatsächlich fühlt und denkt. Das schafft große Klarheit und verhindert die Illusion. Es wäre sicherlich nicht lustig. Aber ehrlich.

Oligarchen und Plutokraten

1991, als die Sowjetunion zusammenbrach, setzte eine Zeit der Rechtlosigkeit auf dem Territorium der ehemaligen Supermacht ein, die nicht zu vergleichen ist mit dem, was sich zum Beispiel in der ehemaligen DDR abgespielt hat. Dort wickelte bekanntlich eine Treuhhandgesellschaft die vermeintlich nicht rentablen Betriebe ab und veräußerte diese an Dritte, zumeist Investoren aus dem Westen. Das alles geschah in einer sehr ausgeprägten Atmosphäre der Euphorie, endlich war man im Westen, blühende Landschaften warteten auf die Brüder und Schwestern aus dem Osten. In Russland hingegen herrschten Depression und Angst. Der unvergessene polnische Journalist Ryszard Kapuscinski hatte in seinem grandiosen Buch Imperium. Sowjetische Streifzüge den Niedergang eingefangen. Er beschrieb, wie Direktoren von Waffenfabriken, Helden der Sowjetunion, plötzlich Kühlschränke produzieren sollten und sich stattdessen mit der Jagdflinte erschossen.

In Russland wütete Anarchie, die sich vor allem Menschen zunutze machten, die aus dem bestehenden Herrschaftsapparat kamen und ihn kannten. Sie hatten die so genannten wichtigen Netzwerke und Zugänge zu einer Armee, die ebenfalls sehen musste, was aus ihr wurde. Den Skrupellosesten dieser Kohorte gelang es, die großen, krisensicheren Geldquellen des alten Staates unter sich aufzuteilen. Das machten sie in einer Art Krieg aus, mit Waffen, Morden, Geiselnahmen und Plünderungen, aber sie setzten sich durch. Wie, so die Frage, würde man solche Leute wohl nennen, wenn sie es hier bei uns trieben? Sie jedenfalls erschienen in unserem Bewusstsein hier unter dem ominösen Begriff der Oligarchen. Oligarchie, das ist die Herrschaft Weniger. Und wie immer, wenn eine große kriminelle Dimension im Spiel ist, sorgt die Sprache für bösartige Verharmlosung. Denn, da sich Russland irgendwann konsolidierte und den notwendigen Kampf gegen die Oligarchen begann, um das Land und seine Güter zu schützen, waren immer wieder derartige mafiöse Pistoleros die Kronzeugen westlicher Außenpolitik gegen Russland.

Aber, die Vorsicht ist eine kluge Dimension der Politik, nichts sollte die Illusion bewahren, als hätte der Zerfall der Sowjetunion nicht auch etwas mit Veränderungen zu tun, unter denen der Westen zu leiden gehabt hätte. Mit dem Ende der bipolaren Welt und der damit verbundenen atomaren Kriegsgefahr sank der Einfluss der Politik und der staatlichen Apparate. Das Ende der Geschichte, wie es euphorisch proklamiert wurde, bereitete dem Wirtschaftsliberalismus einen Triumphzug sondergleichen. Und ein Grundsatz dieser Ideologie des Reichtums ist der, dass Staat zurückgebaut und staatlicher Einfluss minimiert werden muss. Besonders im ehemaligen Osteuropa wurden Blaupausen für diese Doktrin geschaffen, die noch verheerende Wirkungen zeitigen werden und die nun auch auf südeuropäische Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien angewandt werden.

Die großen Gewinner des Zusammenbruchs des bipolaren Weltmodells auf westlicher Seite waren die Plutokraten. Plutokratie meint die Herrschaft des Geldes. Es sind die Superreichen, die mit dem Jonglieren ihres Kapitals ganze Länder in die Krise stürzen und zum Abschuss freigeben können. Das haben sie unzählige Male bewiesen, sie haben die Weltfinanzkrise mit zu verantworten und sie sind dabei, erneut Länder zu destabilisieren, um politische Brände zu verursachen, die dazu dienen sollen, neues Niemandsland für den Wirtschafts- und Marktliberalismus zu schaffen.

Oligarchen und Plutokraten sind für Volkswirtschaften und demokratische Staatswesen eine existenzielle Gefahr. Weder die Gefahr noch die Gemeinsamkeit spielen im öffentlichen Diskurs unserer Tag eine Rolle. Das liegt an dem Tagesinteresse, die östlichen Oligarchen als Kronzeugen gegen die russische Politik benutzen zu wollen. Wenn etwas für die russische und gegen die westliche Politik spricht, dann ist es der Kampf gegen die Oligarchen. Wenn etwas für die westlichen Staaten spräche, dann wäre es der Kampf gegen die Plutokraten. Bis jetzt herrscht Stille.