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Es kommt, wie es kommen muss!

„Da steh ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor!“ Die Chinesen, so hört man immer wieder, lesen Goethe, um das Wesen der Deutschen besser verstehen zu können. Den Deutschen scheint es in Bezug auf die Chinesen zu reichen, ab und zu den Tiraden eines in den Massage-Salons Pekings wohl bekannten windigen Journalisten zu lauschen. Mehr braucht man eigentlich nicht, um einem Phänomen auf die Spur zu kommen, unter dem das Gros in diesem Lande leidet. Es handelt sich einerseits um ein sich immer selbst bestätigendes Weltbild, das davor bewahrt, sich bemühen zu müssen und das davor schützt, bittere Wahrheiten zu identifizieren. Das, was einmal als die Fähigkeit kritischer Betrachtung bezeichnet wurde, hat sich in anderen Jahrhunderten abgespielt, ein Kriterium des momentanen Zustandes ist es nicht. 

Im Hinblick auf die anstehenden Wahlen lässt sich das Zitat aus dem Faust sehr gut anwenden. Nie war öfter zu hören, man sei einfach ratlos, was die Entscheidung für eine Partei beträfe. Eine Erklärung dafür ist gar nicht so schwer. Denn das, was viele Menschen bewegt, war gar nicht Gegenstand dessen, worüber ununterbrochen berichtet wurde. Dabei wäre es einfach gewesen, auf den richtigen Pfad zu kommen. Spitzenreiter der Sorge, das zeigen Umfragen deutlich, ist die soziale Ungleichheit und die daraus resultierende Spaltung der Gesellschaft. Irgendwann danach kommt die Frage des Klimawandels. Was ausgespart bleibt, ist das Thema Krieg und Frieden. Da schweigen sich die Parteien wie die Bevölkerung unisono aus, wahrscheinlich aus Furcht, das Auge des Hurricans könnte das ganze Wunschgebäude einer gesicherten Existenz mit einem Zug zerschmettern. Diese Furcht ist berechtigt.

Am Lohntag, so höhnten einst die patriarchalisch auftretenden Kapitalisten, am Lohntag wird sich zeigen, wer gebummelt hat. Angewendet auf das eigene Vorgehen, sind wir genau an diesem Punkt angelangt. Es ist Lohntag, und es zeigt sich, wo überall gebummelt wurde: In Bezug auf die erschreckend um sich greifende Armut, in Bezug auf die veraltete Infrastruktur, in Bezug auf die Bildungsinstitutionen und ihre Inhalte, in Bezug auf die Konzentration der Medien, in Bezug auf Krieg und Frieden, in Bezug auf Investitionen in neue Technologien und in Bezug auf einen Ausbau demokratischer Autonomie. Alles, was ein souveränes Gemeinwesen ausmacht, das dem Sturm großer Veränderungen ohne Furcht entgegentreten kann, wurde unterlassen. Stattdessen hat man auf das alte protestantisch-preußische Diktum von Regel und Sanktion gesetzt.

Wer da nicht fundamental etwas ändern will, der hat in der Zukunft nichts zu suchen. Das Beruhigende dabei ist, dass nicht Wahlen so etwas entscheiden, sondern die Geschichte. Und die ist dabei, ihren Lauf dramatisch zu beschleunigen. Insofern können alle, die sich derweil über die täglich wiederholten Phrasen aus einem langweiligen Wahlkampf beklagen, sehr schnell erlöst werden, denn alles das ist schon ab kommenden Montag Makulatur. Ob sich etwas an dem Zustand ändert, wie in den letzten Jahren regiert wurde, ist zweifelhaft. Was fehlt, und zwar überall, ist der Wille, den harten Realitäten ins Auge zu sehen und daraus eine Strategie abzuleiten, die den Modus des Auf-Sicht-Fahrens hinter sich lässt. Neben der Verdrängung der essenziellen Themen von Krieg und Frieden im Innern wie im Äußeren ist man sich in einem Punkt allerdings einig: Wenn es schief läuft, dann waren es immer die anderen.   

Die Chinesen, die so gern und eifrig Goethe lesen, kennen selbstverständlich auch Konfuzius. Unter anderem lehrte der, dass eine unstete, brüchige und fragwürdige Lebensführung des Individuums in Summe zum Chaos im Gemeinwesen führt. Und ist auch der Mephistopheles aus besagtem Faust ein Begriff: 

„Ich bin ein Teil von jener Kraft, 

Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. … 

Ich bin der Geist, der stets verneint! 

Und das mit Recht, denn alles, was entsteht, 

Ist wert, dass es zugrunde geht; 

Drum besser wär´s, dass nichts entstünde. 

So ist denn alles, was ihr Sünde, 

Zerstörung, kurz das Böse nennt, 

Mein eigentliche Element.“

Aber was soll’s! Wir haben Ulf Röller und Maybrit Illner! Wird schon gut gehen.  

„Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft?“

Ganz so edel waren die Ursprungsmotive nicht, aber genauso berechtigt wie die jetzige politische Aussage. Die Wissenschaftler, die als Reaktion auf den Präsidenten Donald Trump in Washington auf die Straße gingen, protestierten gegen die drastischen Kürzungsmaßnahmen für alle Arten der Forschung, die Trump angekündigt hatte. Es ging also um Geld und Arbeitsplätze. Also eine individuell existenzielle Bedrohung, die sich schnell ausweitete auf die Frage einer gesellschaftlich existenziellen Bedrohung. Denn wir erleben das Paradoxon einer Epoche, die sich auf die Allverfügbarkeit des Wissens beruft und gleichzeitig die Bedingungen, derer es bedarf, um Licht in die dunklen Geheimnisse dieser Welt zu bringen, gnadenlos privatisiert. Das ist kein neues Phänomen, das mit Donald Trump aufgetaucht ist, sondern eine Begleiterscheinung des Wirtschaftsliberalismus, der entgegen seiner programmatischen Aussage im Namen knallhart aus der Freiheit der Wissenschaften den Zwang zur Auftragswissenschaften geformt hat.

An den Hochschulen der freien westlichen Welt ist seit Jahrzehnten eine Entwicklung zu beobachten, die auf Ökonomie, Technik und Recht setzt und alle Formen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu marginalisieren trachtet. Die materiellen Bedingungen sind entlehnt aus dem Modell des Prekariats. Die meisten Forschungsbereiche sind zeitlich limitierte Projekte, die Wissenschaftler erhalten folglich Zeitverträge, die dann immer wieder so lange unterbrochen werden, bis die Klausel des Kettenvertrags nicht mehr greift. Und diejenigen, die das Geld aufbringen, bestimmen, in welche Richtung geforscht wird.

Die systematische Instrumentalisierung der Wissenschaften, um Markt affine und Markt kompatible Einsichten zu gewinnen, hat ihren immer auch latent vorhandenen subversiven Charakter erheblich reduziert. Eine Erkenntnis, die die bestehenden Verhältnisse weder als Endzweck noch als Erstrebenswertes darstellt, ist nicht gewollt. Das Dilemma, in das die zunehmend im Verborgenen operierende kritische Wissenschaft geraten ist, sind die mangelnden Möglichkeiten der Disseminierung ihrer Erkenntnisse. Das Bildungssystem und seine Absicherung gegen einen breiten Bildungserfolg haben dazu geführt, dass die Form von Kritik an den bestehenden Verhältnissen, die aus wissenschaftlicher Sicht einer breiten Massen zugänglich wäre, entweder von dieser nicht mehr gefunden oder nicht mehr verstanden wird.

Und so ist es auch ein Zeichen der bereits seit Jahren um sich greifenden Mystifikation, dass die ganze Wut gegen diese Entwicklung, die nun Donald Trump entgegentritt, den Regierungen der eigenen Länder gebührt, die es verstanden haben, die Wissenschaftsbetriebe zu Appendices der Industrie umzuwandeln und in ihren Schulsystemen zu garantieren, dass sich dort nur die nach oben durchsetzen, die aus den Stämmen und Clans der Verwertung stammen, einige Ausnahmen eingeschlossen.

Die Verhältnisse, die in den Demonstrationen für die Wissenschaft angeprangert werden, sind zu kritisieren. Mehr noch, sie sind zu bekämpfen. Im Arsenal der Aufklärung liegen noch Instrumente, die dabei behilflich sein können.

„Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht!“

Die Radikalität, mit der Mephistopheles in Fausts Studierzimmer sein Verständnis formuliert, ist in diesem Unterfangen durchaus angebracht. Und wer sich dann fragt, wie das in den Zusammenhang passt, der findet die Antwort an des Teufels literarische Figur natürlich bei Karl Marx, der schrieb in einem jener berühmt gewordenen Briefe an Kugelmann die Antwort nieder:

„Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft? (…) Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände.“