Ein Bäcker, irgendwo in Norddeutschland, hat die Zeichen der Zeit erkannt. Neben den von der inflationären Preisentwicklung betroffenen Brotsorten, die alle weit über 4 Euro lagen, kreierte er ein von ihm als Inflationsbrot bezeichnetes Mischbrot, Gewicht 750 Gramm, Preis 2.60 Euro. Was als Anekdote durch manche Journale ging, ist ein von den Gewinnern der Krisen belächeltes Faktum. Ja, es ist Realität, dass immer größere Teile der Bevölkerung dem gnadenlosen Prozess der Verarmung unterliegen, während, auch das eine Schlagzeile, auch vor den Niederlassungen von Luxusmarken lange Schlangen gesichtet werden. Die immer wieder so gerne geleugnete Tatsache der Spaltung der Gesellschaft hat sozial seit langem stattgefunden. Dass daraus auch eine mentale Entzweiung resultiert, ist folgerichtig.
Ob Finanzkrise, Corona oder Ukraine-Krieg, eines haben diese Ereignisse gemeinsam zur Folge: Die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer. Die Politik, die zu dieser Entwicklung geführt hat, ist die der Gewinner. Mache sich niemand darüber Illusionen. Wenn unter dem Strich immer nur eine Gruppe profitiert, dann ist es diese Gruppe, die die Politik bestimmt. Darüber sollten weder irgendwelche Einmalzahlungen, Benzinsubventionen oder 9-Euro-Tickets hinwegtäuschen. Während die Endverbraucher blechen müssen und zusätzlich zahlen sollen wie bei der Gasumlage, während eine Übergewinnsteuer Tabu bleibt, wird der Prozess der neoliberalistischen Bereicherung auf Kosten derer, denen die Wertschöpfung zu verdanken ist, weitergetrieben.
Die mentale Verwahrlosung der Claqueure dieser Politik ist soweit fortgeschritten, dass sie an den Vorabend der Französischen Revolution erinnert. In den Volksgerichtshof gleichen Polit-Talk-Sendungen werden nicht nur in billigen Frame-up-Verfahren alle, die Zweifel an der sozialen Vertretbarkeit dieser Politik hegen, mit Freislerscher Intonation niedergebügelt, sondern die Leitartikler der großen, monopolisierten Gazetten greifen auf ein Vokabular zurück, das die Dekadenz der untergehenden Royalisten im vorrevolutionären Frankreich noch in den Schatten stellt. Da wird ein Großteil der Bevölkerung als Mob oder Pöbel bezeichnet und niemand in Politik und Medien, aber auch der Justiz sieht eine Veranlassung, sich dagegen zu positionieren. Dass da dann auch noch eine Außenministerin, die weder durch ihren Charme noch durch ihre Tragik an die unglückselige Marie-Antoinette erinnert, sich dennoch deren rhetorischen Figuren zu eigen macht, belegt das fortgeschrittene Stadium der Dekadenz. Wie die auf der Guillotine gelandete französische Königin, die dem Volk, das nach Brot schrie, riet, doch stattdessen Kuchen zu essen, so gab die Ministerin aus dem Jahr 2022 allen, die sich über hohe Benzinpreise beklagten, den Rat, dann doch lieber E-Autos zu fahren. Der Zynismus der Satten scheint universal zu sein.
Le pain est le droit du peuple, das Brot ist das Recht des Volkes. Mit dieser wirkungsvollen Parole, die sich aus der tatsächlichen Not der Bevölkerung speiste, bekam die Französische Revolution den Schwung, dessen es bedurfte, um die Monarchie vom selbstherrlichen Thron zu stoßen. Das Brot des norddeutschen Bäckers ist ein Verweis auf die existierenden Bedingungen, die politisch gelöst werden müssen. Es geht nicht nur um Brotpreise, sondern um eine Politik, die sich exklusiv dem Wohl derer verschrieben hat, die nichts anderes im Sinn haben, als ihren nicht mehr in Zahlen zu fassenden Reichtum durch Raub und Plünderung ins Astronomische zu vergrößern. Mit ihrem Zynismus erinnern sie täglich mehr an jene, die in der Französischen Revolution in großer Zahl auf der Guillotine landeten. Auch sie waren bis zum letzten Moment arrogant und fühlten sich sicher. Le pain est le droit du peuple!