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Madame Lagarde und das Eigentum

Die veränderten Eigentumsformen vor allem in der Industrie haben die Wirtschaft mehr revolutioniert als zunächst angenommen. Der Übergang des kleinen Privatbetriebs, der von den Eigentümern geführt wurde, hin zu Gesellschaften oder anderen Eigentumsformen, in denen angestellte Manager die täglichen Entscheidungen treffen, hat zu einem erheblichen Kulturwandel geführt. Die Loyalität gegenüber dem eigenen Unternehmen, die zwangsläufig aus familiärem Privatbesitz resultiert, war dahin. Und die damit verbundene Reflexion des eigenen Verhaltens hinsichtlich des Ansehens des Unternehmens ebenso. Es war natürlich ein schleichender Prozess, sonst wäre er, im negativen Sinne, nicht so erfolgreich gewesen. Kein Eigentümer hätte es zugelassen, dass sich von ihm beauftragte Führungskräfte so aufführten, wie sie das oft tun, hätte er ein direktes Monitoring über die Außenwirkung besessen.

Große Organisationen wie die öffentliche Verwaltung und Verbände kennen das Phänomen weitaus länger. Da gab es nie die direkte Identifikation der Akteure mit der eigenen Organisation wie im Falle des Privatbesitzes. Es sei denn, der ideelle Wert der jeweiligen Funktion ersetzte die familiäre Identifikation. Die Hochachtung vor dem öffentlichen Amt und die notwendige Demut des Amtsträgers wurden bereits von Seneca unvergessen reflektiert. Ihm gelang es, die Notwendigkeit der Loyalität gegenüber der Organisation von Res Publica sehr anschaulich zu begründen. Der Lohn des Amtes, schrieb er in Bezug auf manche Stimmen, die nach höherer Vergütung riefen, der Lohn des Amtes ist das Amt selbst. Das ist wahre, gesellschaftlich verantwortliche Tiefe. Aber es ist auch lange her.

Nicht, dass hier der allgemeine Verfall der Sitten beklagt werden sollte. Das ginge zu weit. Vieles funktioniert, in großen Unternehmen wie großen Organisationen. Aber manches läuft auch schief, weil sich manche Akteure in eine Richtung entwickeln, die, wird ihrem Treiben kein Einhalt geboten, durchaus in der Lage sind, die Existenz ihrer Organisation zu gefährden. Auf sie trifft das Bonmot zu, das unter Beratern gepflegt wird: Sie führen sich auf, als sei es ihr eigener Laden. Aber im eigenen Laden führt sich niemand so auf. Das trifft es sehr genau.

Christine Lagarde, die gegenwärtige Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF), seinerseits ebenso ein Derivat der Vereinten Nationen wie die Weltbank, führte sich gestern in einer Pressekonferenz auf, wie in dem Zitat beschrieben. Befragt, ob die griechische Regierung einen IWF-Kredit über 450 Millionen Euro getilgt habe, antwortete sie: I´ve got my money back. Sie spielte dabei auf ein Zitat Margaret Thatchers an, die mit dem Satz I want my money back die EU auf die Anklagebank setzen wollte. Mit der Bemerkung ironisierte Frau Lagarde die Vertragsloyalität der griechischen Regierung und offenbarte ihre Enttäuschung darüber, dass es keinen Anlass zur Skandalisierung gab.

Es war eine kleine Episode am Rande, aber sie offenbarte etwas über das Ego derer, die zur Zeit in leitenden Funktionen wichtiger Organisationen sind. Das Geld, über das Frau Lagarde so nonchalant flapste, sind international eingesammelte Steuermittel, mit der sie treuhänderisch umzugehen hat. Das scheint ihr nicht bewusst zu sein, was nicht groß wundert, weil sich der IWF im Laufe der Jahrzehnte zu einer Propagandaabteilung marktliberalistischer Ansätze mit eigenen Projektmitteln gemausert hat. Die Rezepte sind ur-alt, sie laufen immer hinaus auf die Bezahlung gesellschaftlicher Allgemeinkosten durch die Bevölkerung und die Privatisierung öffentlicher Funktionen, sobald eine Rentabilität in sich ist. Oder einfach ausgedrückt: Es ist der Kampf von Reich gegen Arm, den der IWF zugunsten der Begünstigten organisiert. Wer das macht, verliert schon einmal die Proportionen: Schließen Sie die Augen, Frau Lagarde! Was Sie dann sehen, das gehört Ihnen!

Die Rückkehr der Hundred Pipers

In Krisen bleibt das kollektive Gedächtnis unbarmherzig. Es erinnert sich an alles, was die Geschichte bereit hält an Demütigungen und Verwerfungen. Das ist auch jetzt der Fall im Falle Schottlands. Bekanntermaßen stehen die Schotten vor einer entscheidenden Abstimmung über den Verbleib im britischen Königreich. Das ist nicht erstaunlich. Die Geschichte Schottlands ist die Geschichte von Niederlagen gegen ein übermächtiges Britannien im Süden. Der Auslöser für die aktuellen Bestrebungen, sich von Großbritannien zu lösen hat jedoch nicht die alte Verweigerung der eignen Unabhängigkeit zur Grundlage, sondern der gegenwärtige Zustand Großbritanniens und die Perspektive eigener wirtschaftlicher Prosperität. Die Ölvorkommen in schottischen Hoheitsgewässern wären das lange gesuchte Mittel um komfortabel auf eigenen Füßen zu stehen. Es winkt eine exklusive Existenz nach dem Muster Norwegens. Klein, überschaubar und reich.

Der Beitrag, den die Macht in London zu den Abspaltungswünschen geleistet hat, hat nicht die Geschichte der Unterwerfung Schottlands zur Grundlage, sondern er liegt in einer Politik der letzten drei Jahrzehnte. Mit der großen Kehrtwende, der von der Eisernen Lady Margaret Thatcher eingeleitet wurde, ist eine der wesentlichen Grundlagen der britischen Größe endgültig zerstört worden. Nach dem Verlust der kolonialen Macht blieben dem Königreich noch exzellente Kontakte zu den ehemaligen Kolonien, die sich auch in dem Zugriff auf für die Warenproduktion wichtigen Rohstoffe niederschlugen. Mit der Krise der Kohle- und Stahlindustrie zog die Londoner Politik jedoch die falschen Schlüsse. Anstatt die wertschöpfende Industrie umzusteuern auf Leistungen und Produkte technisch hoch entwickelter Massenprodukte und innovationsfähiger Verfahren, zerschlug man die Arbeitsstätten des ältesten Proletariats Europas und ließ es dabei bewenden.

Auf der einen Seite blieb ein heute auf vier Millionen geschätztes Industrieproletariat, für das es keine Verwendung mehr gibt und das sich als ein Arsenal der Unzufriedenheit und Trostlosigkeit etabliert hat. Auf der anderen Seite unterlag man der Mystifikation, die die Domäne der Finanzspekulation, zu der sich London gemausert hatte, suggerierte. Die Produktion von Reichtum durch den Handel mit Optionen auf eine Wertschöpfung, die andernorts stattfindet, hat eine neue Klasse von Plutokraten hervorgebracht, die zwar Liquidität in Hülle und Fülle mit sich bringt, aber auch die Verluste sozialisiert und deren Verantwortung gegenüber der Gesellschaft missen lässt. Russische Oligarchen und arabische Ölmogule leben prächtig in der Metropole an der Themse. Für diejenigen, deren Arbeit das Land zum Wohlstand gebracht haben, ist aus rein monetären Gründen kein Platz mehr. Kein Land Europas hat seine Arbeiterklasse trotz der ungeheuren Krisen in den klassischen Industriezweigen so verraten wie Großbritannien. Das zahlt sich jetzt aus. Die Perspektive ist düster, warum also sollten sich die Schotten ausgerechnet dafür entscheiden?

Wenn sich große Veränderungen in der Geschichte andeuten, dann bemühen die Akteure zumeist die Vergangenheit, um ihr Unterfangen zu legitimieren. Denn in der Vergangenheit liegen die Überlieferungen, derer es bedarf, um dem Wandel emotional einen Sinn zu geben. So ist es kein Zufall, dass jetzt in der schottischen Debatte vor der Entscheidung die Geschichte eine sehr große Rolle spielt und mehr Raum einnimmt, als ihr tatsächlicher Stellenwert tatsächlich ist. Von Maria Stuart bis zu den Hundred Pipers ist die Rede. Gerade letztere, nach denen sogar ein Whiskey benannt wurde, liegen seit ewigen Zeiten auf dem Depot der Emotionen eines jeden Schotten. Es galt als ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Musiker, die vor dem Heer marschierten, für die Attacke Tabu waren. In einer der vielen Schlachten wurden sie von englischen Angreifern dahin gemetzelt. Der Grund, für die Abstimmung, die ansteht, sind sie nicht. Aber nichts bleibt vergessen. Die Hundred Pipers sind zurück.