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Spieler, Untertanen, Populisten

Wollte man sich am Kanon der Literatur in diesen Tagen orientieren, so drängen sich aus meiner Sicht drei Werke auf. Zu allererst wäre das „Der Spieler“ von Dostojewskij. Dann käme, gleich danach, „Der Untertan“ von Heinrich Mann. Und, als dritte Empfehlung, „Anton Sittinger“ von Oskar Maria Graf. Wenn sie diese drei Bücher lesen, werden Sie ein großes Wiedererkennungserlebnnis durchlaufen. Jeder dieser drei Romane erfasst nämlich den gegenwärtigen Gesellschaftszustand, oder, um präziser zu sein, die drei prototypischen Protagonisten unserer Tage. Vielleicht, wenn Sie es vermeiden wollen, danach in eine tiefe Depression zu verfallen, wäre ihnen noch anzuraten, etwas zu lesen, was zumindest im Titel so etwas wie Erlösung verspricht, wie zum Beispiel „Alles wird gut“, unter dem die Erzählungen Jörg Fausers veröffentlicht wurden. 

Mit Dostojewskijs „Spieler“ wäre der Sozialtypus im politischen System zu sehen, der seinen gesamtes Lebensarrangement nach der Illusion ausrichtet, die Verhältnisse zu seinen Gunsten verändern zu können, obwohl weder sein Einfluss noch seine Fähigkeiten in irgend einer Weise relevant wären für das, was am Spieltisch passiert. Mit immer größeren Beträgen, die den eigenen Ruin beschleunigen, wird versucht, das große Spiel zu beeinflussen, ohne Aussicht auf Erfolg. Das Objektive folgt den kalten Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und wird nicht von den Sehsüchten und Wünschen derer bestimmt, die sich auf das Spiel einlassen. Was zählt, ist Mathematik und Selbstbeherrschung. Und an dieser zuletzt genannten, nicht vorhandenen Tugend scheitert der Prototyp des Spielers. Immer wieder. Gesetzmäßig. Ohne Perspektive auf Änderung.

Der von Heinrich Mann in einem der wohl ikonischsten Romane des letzten Jahrhunderts dargestellte Typus des Untertanen verrät alles über die Dehnbarkeit eines Individuums ohne inneren Kompass, ohne Haltung und Charakterfestigkeit. Der Untertan folgt stets dem Druck der ihm übergeordneten Macht. Und anstatt dabei in eine mentale Krise zu fallen, die bei gefestigten Menschen als Konsequenz der Fremdbestimmung aufträte, begibt sich der Untertan in das Labyrinth einer abstrusen Hermeneutik, die seine Illusion als die Dinge selbst bestimmendes Individuum am Leben hält, obwohl nicht die geringste Spur von Souveränität aufzufinden ist.

Und „Anton Sittinger“ ist der mentale Kleinbürger, der jede, aber auch jede Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge in sich aufsaugt, die bestimmt ist von abstruser Kausalität und irrwitzigen Feindbildern, solange er mit niemandem aneckt und bei einem Bier in den eigenen vier Wänden seinem Hass auf alles, was er aufgrund der eigenen Labilität fürchtet, ohne Sanktion freien Lauf lassen kann. Der einzige Schlag, zu dem er sich fähig sieht, ist seine Bereitschaft, mit seinem Wahlverhalten „denen da oben“ mal so richtig den Marsch zu blasen.

Ich hoffe, mit dieser kurzen Darstellung der drei Werke Ihre Lust, sich ihnen zu widmen, etwas beflügelt zu haben. Ja, ich bin der Meinung, dass in Zuständen großer Umwälzung bestimmte Prototypen, die alles andere als neu sind, das allgemeine Geschehen bestimmen. Wir sind umgeben von Spielern, Untertanen und Populisten. Eine Mixtur, bei dem nur noch ein soziales Genre fehlt. Es sind die Figuren aus Zolas „Germinal“. Doch bis jetzt spielen Revolte und Rebellion noch keine Rolle. Bleibt, fürs erste, die hier empfohlene Lektüre.   

Der Tod ist die Illusion

Jörg Fauser. Die Tournee. Roman aus dem Nachlass

Was hat sie ihn gemobbt! Die vereinigte und etablierte Literaturkritik. Die Mahnwache der bürgerlichen Gesetztheit. Und da kommt so ein Rotzlöffel daher, ein Zivi, der an der Nadel hing und sich im Rohstofflager Istanbul den nächsten Schuss besorgte. Und schrieb einen Hammer nach dem anderen. Für die im Literaturbetrieb Gesetzten war er ein Affront. Und für die Underdogs, die auf einen kulturellen Paradigmenwechsel hofften, war er ein Stern am Himmel. Umso entsetzter waren die gesellschaftlichen Outlaws, als er viel zu früh und unter dramatischen Umständen am Morgen seines 43. Geburtstags sein Leben verlor. Oder beendete. Bis heute ungeklärt.

Die Rede ist von Jörg Fauser. Dessen bekannteste Werke die Romane Rohstoff, Der Schneemann und Das Schlangenmaul sind. Und manchmal hört man noch den Spieler, gedichtet für den Rocker Achim Reichel. Ansonsten haben die mehr als drei Jahrzehnte seit seinem Tod das Tuch des Schweigens über Jörg Fauser gelegt. Dass es noch etwas zu entdecken gab, wussten die Herausgeber einer Gesamtausgabe dennoch. In einer vom Alexander Verlag Berlin erschienenen aus dem Jahr 2007, Band 9, (und auch bei Diogenes als TB) findet sich noch Die Tournee. Ein Romanfragment aus dem Nachlass.

Neben der dringenden Empfehlung, die bereits genannten Romane noch einmal zu lesen, sei die Lektüre der Tournee unbedingt angeraten. Denn dort scheint noch einmal auf, mit welchem Giganten das Literaturhandwerk es da zu tun hatte. Lässig, wie ein Mixer gesellschaftlicher Zustände, mit stechenden Raubtieraugen, steht der Autor hinter der Theke und schüttelt die unterschiedlichen Milieus durcheinander. Da keuchen abgehalfterter Galeristen durch windige Kneipen, da tingelt eine Schauspielerin, deren Stern nie aufgegangen ist, durch die Kurorte in der Provinz, da changiert eine indonesische Bardame durch die Milieus, da tanken Politiker in heilsamen Bädern wieder auf, da tarnt sich ein skrupelloser Drogendealer als Geistlicher auf einem Katholikenkongress. Alles ist möglich und alles hängt miteinander zusammen. 

Das, was die etablierte Literaturkritik Jörg Fauser so gerne vorgeworfen hat, dass er nämlich nichts anderes als ein Kriminalautor gewesen sei, ist in Wahrheit seine Stärke. Das kriminelle Potenzial der profanen Geschäftsprozesse einer bürgerlichen Gesellschaft mag den mittlerweile ebenfalls ausgestorbenen Bildungsbürgern entgangen sein. Die Gegenwart, mit der wir es heute zu tun haben, hat uns eines Besseren belehrt. Der Stoff, aus dem die Träume sind, verleitet alle dazu, sich auf das dünne Eis des Vabanque zu begeben. Die Tournee, das Fragment, ist so aktuell wie nie, während die hohe Kunst, die man Fauser so gerne vor das Gesicht als das Maß aller Dinge hielt, längst in Vergessenheit geraten ist.

Und natürlich. Fauser bleib sich Zeit seines Lebens treu. Auch seine Helden scheitern alle. Das war das Extrakt, aus dem seine Geschichten sind und waren.  Es gibt kein Entrinnen aus dem Circulus vitiosus. Sowohl die Spieler, die redlichen wie die Ganoven, als auch die Bank – sie alle schlagen über kurz oder lang aufs Pflaster. Und sie bleiben liegen. Keiner hebt sie auf. Und während sie erkalten, geht nebenan ein greller Scheinwerfer an und zeigt auf ein Spiel, das gerade wieder beginnt. Mit dem gleichen Ende. Fauser wusste das. Die neuen Spieler nie. Ihr Tod war die Illusion. Und sie wird es immer sein.