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Von der Mythendeutung zum politischen Journalismus
Rolf Hosfeld. Heinrich Heine. Die Erfindung des europäischen Intellektuellen
Heinrich Heine ist brandaktuell. Er war nie aktueller als heute. Warum? Weil er an der Schwelle zur Moderne vieles von dem aufbrach, was gesetzt zu sein schien und weil er politische Tendenzen witterte, die weit über sein Leben, nämlich bis heute, wirken sollten. Dem Phänomen Heine, das vielleicht am besten mit den Überschriften des politischen Journalismus, des Exils und der Mythendeutung überschrieben werden können, geht der Journalist und Verleger Rolf Hosfeld in einer Biographie in sehr pointierter Weise nach. Die Komplexität der Person, die voller Widesprüche steckte und gerade daraus das Modell einer Lesart der sich zu seinen Lebzeiten bahnbrechenden Moderne ermöglichte, wird in dieser Biographie sehr gekonnt nachgezeichnet. Der Titel „Heinrich Heine. Die Erfindung des europäischen Intellektuellen“ verrät den Akzent, der auf dem Ganzen liegt. Es geht nicht um eine zumeist praktizierte Nachzeichnung von Biographie und Werk, was auch geschieht, sondern um die neue existenzielle Formgebung, für die Heine steht.
Drei wesentliche Akzente seien aus dem gut lesbaren Werk Hosfelds herausgegriffen. Wichtig und bis heute zumindest in der zeitgenössischen Rezeption unterschätzt ist die Entschlüsselung der gedanklichen Identität der Deutschen, die zu seiner Zeit noch um eine nationale Identität kämpften. In seinen Schriften unter dem Titel „Elementargeister“ dechiffrierte Heine den geistigen und mythologischen Horizont, in dem sich der werdende europäische Riese bewegte. In der für ein französisches Publikum verfassten „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ griff Heine auf diese frühen Arbeiten zurück und erklärte den langen Weg vom blutrünstigen Mythos zur Aufklärung. Und in der dem Nationalrevolutionär „Ludwig Börne“ gewidmeten Schrift polemisiert Heine gegen den aus den „Elementargeistern“ in die Moderne hinübergeretteten Puritanismus und Dogmatismus der Befreiung, der bis in unsere Tage reicht und ein deutsches Spezifikum darstellt.
Einen zweiten Schwerpunkt stellt die eigene Existenz als Schriftsteller dar. Dabei ist die Namensgebung Schriftsteller im klassischen Sinne bereits eine Verfälschung der realen Existenz. Denn Heine hat mit der Art und Weise, wie er sein Geld mit dem geschriebenen Wort verdiente, den Beruf des Journalisten vorgezeichnet. Dass er seit den ersten Tagen seines Pariser Exils mit einem Honoré de Balzac befreundet war, zeigt die räumliche wie spirituelle Nähe dieser neuen Form des Berufs. Mit den vor allem in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Berichten über Frankreich (Französische Zustände, Lutetia), England (Englische Fragmente) und Deutschland (Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland) wurde ein neues Genre aus der Taufe gehoben, dass als politische Prosa bezeichnet werden kann und die bewirkte, dass ein breiteres Publikum in die Wirkmechanismen von Politik Einblick erhielt.
Und schließlich der Visionär eines neuen Europa, das über die Nationalstaaten hinaus konzipiert werden müsse. Das entspräche vielleicht sogar der Diktion und Doktrin heutiger EU-Bürokraten, hätte Heinrich Heine damit nicht die Frage verbunden, wie eine Demokratie von unten zu gestalten sei. Er identifizierte einen gesamteuropäischen Klassenkampf, der das Movens zu einer Einigung darzustellen hätte. Das konterkariert alle Narrative über eine EU, die a) nicht Europa ist und b) zum Zwecke von Partikularinteressen funktioniert.
Die Biographie Hosfelds spart nicht die lyrischen Werke Heines aus, die zu seinem Weltruhm beitrugen, die wesentlichen Komponenten bei der Etablierung des neuen Typus eines europäischen Intellektuellen sind jedoch in den existenziellen Bedingungen eines politisch schreibenden Literaten und in der Art und Weise des Brückenschlags von Mythendeutung, philosophischer Textanalyse und aktueller Aufbereitung zu suchen.
Ein Europa der Klassen und nicht der Nationen?
Heinrich Heine, einer der europäischen Vordenker, hat bei dem ganzen Tamtam vor den Wahlen zum europäischen Parlament bei keiner Partei eine Rolle gespielt. Alle, die für den Status Quo oder den Ausbau des Status Quo warben, haben sich auf alle möglichen historischen Figuren berufen, der Bundespräsident in Verkennung des historischen Kontextes sogar auf den Briten Winston Churchill, aber bei niemandem kam der Name Heinrich Heine über die Lippen. Das wäre rätselhaft, wenn da nicht das revolutionäre Denken des im Pariser Exil Verstorbenen wäre. Niemand im 19. Jahrhundert hat sich so zu dem europäischen Gedanken bekannt wie er, aber niemand hat auch den Gedanken so zugespitzt wie er.
Um es deutlich zu sagen: Heine sprach davon, dass das Europa der Nationen Geschichte sei und an dessen Stelle nun – wir sprechen von der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts! – nur noch die Wahl zwischen zwei Parteien sei. Die der Nationalisten, Monarchisten und Reichen und die der Arbeitenden. Das ist ein Vermächtnis, das erst einmal verkraftet werden muss. Europa war für Heine eine Klassenfrage.
Und nun, stellen wir uns einmal vor, dass genau diejenigen, die von einem „Mehr“ von Europa sprachen, würden mit dieser These konfrontiert. Dann müssten sie offenlegen, für welche Partei sie denn mehr wollen. Für die Reichen, die Großkonzerne und Monopole, oder für die abhängig Beschäftigten. Eine Reise durch den von der EU beherrschten Kontinent genügt, um festzustellen, die Politik welcher Partei die Regie derer, die die EU-Mandate wahrnehmen, für die Version Europas gestanden hat, für die geworben wurde.
Der Neoliberalismus, die Expansionspolitik Richtung Osten, die Bereitung neuer Märkte durch Subvention potenzieller Käufer mit Steuermitteln, die Wegsanierung funktionierender Gemeinwesen und die Planung kollektiver Rüstungsprojekte sind nicht unbedingt das, was die Arbeitenden auf dem EU-dominierten Kontinent als ihre Interessen beschreiben würden.
Das Gegenteil wäre der Fall! Es ginge darum, gemeinsam zu definieren, in was für einer Gesellschaft die Völker leben wollen, sich zu fragen, was dazu gehört, um ein auskömmliches und vernünftiges Leben zu führen. Wichtig sind die Existenz der Arbeitskraft betreffende Fragen wie Lohn und Zeit, genauso entscheidend und revolutionär die Angelegenheiten um die Besteuerung von Wertschöpfung. Wer nachhaltig wirtschaftet, dem Gemeinwohl dient und die kollektive Infrastruktur stärkt, sollte anders besteuert werden wie Gewinn- und Profitnomaden ohne ein soziales Heimatland. Es ginge darum, an welchem Bildungshorizont gearbeitet werden müsste und, zuletzt, um die Frage, welche Maßnehmen im Interesse einer tatsächlichen Friedenssicherung geeignet wären.
Heines Ansatz ist radikal, von der Wurzel her, und es verwundert nicht, dass er mit seinen Überlegungen und Vorschlägen in dem gesamten Kontext der momentanen Reflexion über die Befindlichkeit der gegenwärtigen EU bei denen keine Rolle spielt, die die Geschäfte führen. Auch das ist entlarvend.
Und weil das so ist, sei die Idee Heines zumindest mit einer Quelle belegt. Sie sagt mehr als jede Kolportage:
„… denn ihr spekuliert immer auf alles, was schlecht im deutschen Volke ist, auf Nationalhass, religiösen und politischen Aberglauben, und Dummheit überhaupt. Aber ihr wisst nicht, dass auch Deutschland nicht mehr durch die alten Kniffe getäuscht werden kann, dass sogar die Deutschen gemerkt, wie der Nationalhass nur ein Mittel ist, eine Nation durch die andere zu knechten, und wie es in Europa überhaupt keine Nationen mehr gibt, sondern nur zwei Parteien, wovon die eine, Aristokratie genannt, sich durch Geburt bevorrechtet dünkt und alle Herrlichkeiten der bürgerlichen Gesellschaft usurpiert, während die andere, Demokratie genannt, ihre unveräußerlichen Menschenrechte vindiziert und jedes Geburtsprivilegium abgeschafft haben will, im Namen der Vernunft.“
Heinrich Heine, Vorrede zur Vorrede zu Französische Zustände

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