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Komplexe Fragen und die Blume der Partisanen

Vieles ist in Bewegung geraten und das Tempo von Veränderungen in der europäischen politischen Landschaft hat beträchtlich zugenommen. Während in Griechenland es sogar gelungen ist, die Frustration gegenüber dem durch Merkel dominierten Sparkurs durch die Wahl einer Linken zum Ausdruck zu bringen, gingen gestern im spanischen Madrid Hunderttausende auf die Straße und prognostizierten für die dortigen Wahlen im November ein ähnliches Resultat. Nach Hochrechnungen ist ihre Prognose zumindest heute realistisch. In Italien nehmen die Sympathiekundgebungen für den neuen griechischen Premier zu, auch, man achte auf die Symbolik, weil er im TV das italienische Partisanenlied Bella Ciao gesungen hatte. Ob der Funke auch auf Portugal überspringen wird, ist nur eine Frage der Zeit. Festgestellt werden kann, es formiert sich eine politisch linke südeuropäische Phalanx gegen dem Brüsseler Spar- und Finanzkurs.

In Deutschland wiederum hat sich der Unmut gegenüber der EU-Politik, die auch aus bundesrepublikanischer Sicht von vielen Bürgerinnen und Bürgen nicht gut geheißen werden kann, mit verschiedenen Aspekten gesellschaftlich brisanter Entwicklungen vermischt. Neben der Kritik am EU-Krisenmanagement schlichen sich gerade bei den Verliererschichten der Globalisierung Vorstellungen gegenüber der Gefahr einer vermeintlichen Überfremdung ein, die politisch hoch toxisch sind. Der dritte Faktor bei der Radikalisierung nach Rechts in Deutschland ist ein emotionales Rollback gegen den politisch korrekten Mainstream. Die Aufgabe der bürgerlichen Liberalität bei der Diskussion unterschiedlicher Lebenskonzepte genau durch die Gruppen, die von der Toleranz profitierten, hat vor allem bei den chronischen Underdogs zu einer Verbitterung geführt, die automatisch rechts sein muss, weil die Ziele ihrer Kritik sich gesetzt im linken Lager fühlen. Fest steht, während Südeuropa gewaltig nach links geht, tendiert Deutschland gewaltig nach rechts.

Wie so oft beschreitet Deutschland einen Sonderweg, der ihm wahrscheinlich wieder nicht bekommen wird. Dabei könnte eine gefestigte Kritik gegenüber den Anstößen der Verbitterung durchaus für einen neuen Kurs stehen. Die einzunehmenden Positionen sähen so aus: Die Bundesrepublik Deutschland distanziert sich von dem Kurs in Europa, der die Gesellschaften haften lässt für Partikularinteressen. Die Chancenlosigkeit bestimmter Bevölkerungsteile auf dem globalisierten Arbeitsmarkt wird erklärt und nicht kaschiert und Maßnahmen in Bildung, Erziehung wie Qualifizierung werden ergriffen, um ihnen realistische Perspektiven zu ermöglichen. Und letztendlich wird der Dogmatismus der neuen bildungsbürgerlichen Mitte als das bezeichnet, was er ist, und für ein Klima tatsächlicher Toleranz geworben. Auch rauchende, Bratwurst essende Arbeitslose sind wertvolle Menschen und essenzielle Mitglieder der Gesellschaft.

Während in Südeuropa das größte Ärgernis, die EU-Finanz- und Sanierungspolitik, sehr deutlich im Vordergrund steht und alles andere überstrahlt, ist die Lage in Deutschland wesentlich komplizierter. Hinzu kommt, dass sowohl die EU-Politik als auch die Vermeidung der Wahrheiten über den globalen Arbeitsmarkt und die Chancenlosigkeit bestimmter Bevölkerungsteile von einer großen politischen Koalition getragen wird. Auch die wachsende Intoleranz gegenüber allen, die sich nicht dem neuen bildungsbürgerlichen Mainstream verschreiben, geht bis weit in die Sozialdemokratie. Daher und wegen der vielleicht historischen Eigenschaft der Deutschen, im Zweifelsfalle nach Rechts zu schielen, ist die Lage hierzulande anders.

Sollten neue Perspektiven für eine bessere Politik in Europa entwickelt werden, dann ginge das nur durch eine radikale Klärung bestehender Verhältnisse in Deutschland. Eine Revision der EU-Politik allein brächte aus deutscher Sicht gar nichts. Und noch, noch sieht es danach nicht einmal aus. Es bleibt viel zu tun, sehr viel zu tun, um den sich zeigenden, beunruhigen Tendenzen zu begegnen.