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Afghanistan: Schillernde Moralappelle

Die Moral hat einen merkwürdigen Beigeschmack bekommen. Immer mehr Menschen fühlen sich nicht mehr wohl, wenn von Moral die Rede ist. Dann geht es allerdings zumeist um Erscheinungen, die besser mit dem Terminus des Moralismus versehen werden. Denn dann handelt es sich nicht um eine aus einem tiefen inneren Wert resultierende Einstellung oder Handlung, sondern um ein ausgeklügeltes System der Täuschung und Irreführung. Indem an das Gute im Menschen appelliert wird, werden Vorschläge gemacht, wie genau das Gegenteil bewirkt werden soll. 

Beispiele? Alle moralischen Appelle, die kriegerische Handlungen legitimieren sollen. Pioniere für diese Vorgehensweise, die natürlich so alt ist wie die Menschheit, aber Pioniere für diese Vorgehensweise in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik waren die Grünen und ihr damaliger Außenminister Joschka Fischer, die die militärische Intervention im ehemaligen Jugoslawien mit dem Erbe von Auschwitz zu legitimieren suchten. Unterstützt von internationalen Werbeagenturen, die dem staunenden Publikum immer wieder mit Slogans aufs Hirn klopften, bis einige glaubten, deutsche Piloten an Belgrads Himmel brächten mehr Gerechtigkeit in die Welt.

Und weil das so gut geklappt hat, mit kleinen Ausnahmen wie der Bemerkung Gerhard Schröders, der als einziger bis heute die Souveränität hatte zuzugeben, dass der Balkankrieg eine Verletzung des Völkerrechts gewesen sei, ist die Methode beliebter denn je. Immer, wenn es um Interventionen geht, werden moralische Prinzipien, Werte und Gerechtigkeitsfragen aus dem Arsenal der Täuschungsinstrumente hervorgeholt, um dem heißen Krieg einen ideologischen vorausgehen zu lassen. Es ist immer dasselbe und es wird Zeit, denjenigen, die mit ihrem im Glanz der Sonne liegenden System von Korruption, Kollusion und Nepotismus und ihrer eigenen Verkommenheit zuzurufen, dass auf ihre Moralappelle in toto gepfiffen wird. 

Der Unmut entspringt der Dreistigkeit der Manöver, die sich aus Faulheit und eigener Unzulänglichkeit wiederholen. Erinnern Sie sich noch? Vor zwanzig Jahren, als es darum ging, in dem von den USA angeführten Krieg gegen den Terror eine Intervention in Afghanistan mit Kräften der Bundeswehr zu unterstützen? Da schwadronierte nicht nur ein sozialdemokratischer Minister, die Freiheit der Republik würde auch am Hindukusch verteidigt, sondern es gab auch eine breit angelegte Werbekampagne, die die moralische Legitimation vorbereiten sollte.

Auf allen Kanälen wurde darüber berichtet, was die Herrschaft der Taliban in Afghanistan für die Frauen und Mädchen in dem Land bedeutete. Keine Schule für die Mädchen, keine Rechte für Frauen, Zwangsverheiratungen, Freiheitsberaubung, Todesstrafe für vorehelichen Sex, keine freie Berufswahl etc. etc.. Nicht, dass derartige Zustände gutgeheißen werden sollten, aber sind das die moralischen Voraussetzungen für eine kriegerische Intervention? Und wenn ja, warum marschiert die Bundeswehr dann nicht in Saudi-Arabien ein? 

Nun, zwanzig Jahre nach dem Beschluss, sich mit Streitkräften nach Afghanistan zu begeben, um den vermeintlichen Menschenrechten Geltung zu verschaffen, und zwanzig Jahre ohne Erfolgsmeldungen, z.B. dass die Mädchen wieder zur Schule dürfen, Frauen ihr Leben selbst bestimmen etc. tauchen plötzlich mehrmals wöchentlich wieder jene Berichte auf, die zu Beginn der Mission Impossible den Boden für die Intervention mit geebnet haben. Die Kriegspropaganda hat die afghanischen Frauen wiederentdeckt! Immer noch sind die Zustände verheerend, auch mit Intervention, aber wieder sollen sie die Legitimation für eine Verlängerung der Intervention liefern. 

Achten Sie darauf! Es ist offensichtlich. Die Moral wird bemüht, um Waffen zu verkaufen, um eine Kriegsmaschine am Laufen zu halten, um das Völkerrecht zu verletzen, um die Zustände geht es – nicht!    

Schröders Konstanz und Fischers Wandel

In welchem spirituellen Desaster sich die Republik befindet, lässt sich an vielerlei Erscheinungen enthüllen. Zum Beispiel standen im Jahr 1990 in Europa vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer durchweg russische Truppen ein- bis zweitausend Kilometer weiter westlich. Heute stehen NATO-Truppen auf der gleichen Linie ein- bis zweitausend Kilometer weiter östlich. Das Fazit derer, die diese Außenpolitik mit betrieben haben, ist getragen von dem Gedanken, dass es sich bei Russland um ein sehr aggressives, von dunklen Mächten getriebenes Land handelt.

Die Motive, die dazu geführt haben, dass die NATO aus einem Verteidigungsbündnis in ein Militärbündnis mit seinerseits expansionistischen Absichten wurde, sind vielfältig. Ein Motiv waren Traumata, die als notwendige Folge von tatsächlicher Unterdrückung durch das Militär der UdSSR betrachtet werden müssen. Das sollte nicht unterschätzt werden und es ist erklärlich, obwohl es kein guter Rat ist, aus einem Trauma eine Doktrin für die Außenpolitik zu machen. Ein anderes Motiv sind die Weltmachtszenarien der USA, der Supermacht, die aus dem Wettstreit mit der UdSSR als Sieger hervorgingen, die aber nun mit einer neuen Weltordnung konfrontiert werden, die im asiatischen Raum unter der Führung von China entsteht.

Die amerikanische, imperiale Doktrin sieht seit je den so genannten eurasischen Raum mit seinen Produktionsanlagen und seinen Rohstoffen als essenziell für die Weltherrschaft an. Eurasischer Raum heißt EU plus Russland. Unter dieser Maxime ist die Politik der letzten Jahrzehnte zu sehen, wer diesen Raum beherrscht, ist für den Showdown mit China gerüstet. Die einzige Chance, die Europa hat, dieses desaströse Szenario zu durchbrechen, ist eine politisch vernünftige Koexistenz zwischen Westeuropa und Russland.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der deutsche Politiker, der sich diesem Gedanken verschrieben hat, im Fadenkreuz der momentan in Deutschland dominanten Atlantiker und Bellizisten steht. Es handelt sich um Gerhard Schröder, dem als Vergehen angerechnet wird, dass er als ehemaliger Kanzler in einem russischen Energieunternehmen eine wichtige Rolle spielt. Wer den Krieg mit Russland will und vorbereitet wie die ganze Schar über die Grüne Marie Luise Beck bis hin zu amerikanischen Think Tank-Kreaturen wie Konstanze Stelzenmüller, die den eigentlichen Skandal sehr gut illustrieren, der kann diese Form der Kooperation nicht gut heißen.

Im Gegensatz dazu wird es nicht als unangemessen empfunden, wenn ein ehemaliger Außenminister, pikanterweise genau der unter Kanzler Schröder, nämlich der mit dem Namen Joschka Fischer, sich seit dem Ende seiner ministerialen Tätigkeit bei allem verdingt hat, was allergische Reaktionen auszulösen imstande ist. Bei der Barclay Bank, bei Goldman Sachs, bei der Stiftung des Regime Change Mafioso George Soros oder bei der privaten Firma von Madeleine Albright. Vom Kalten bis zum Angriffskrieg ist in diesen Institutionen permanent die Rede und der fleißige Parvenü vom grünen Hofe verdingt sich dort mit einem kriegerischen Moralismus, der unter einer gequält nach Staatsräson ringenden Rhetorik in die Welt posaunt wird.

Da stellt sich die Frage, wie es kommen kann, dass selbst der Kanzlerkandidat der Sozialdemokratie sich genötigt sieht, sich von dem ehemaligen Kanzler zu distanzieren, der etwas ganz normales, im Angesicht der Meute Kalter Krieger sogar etwas Löbliches tut, anstatt dem Billigheimer vom Grünen Moralismus mal so richtig den roten Marsch zu blasen. Der Wandel und die Käuflichkeit eines Menschen, der in der Friedensbewegung groß wurde und als Propagandist des Krieges endet, ist der eigentliche Skandal.

Mentaler Absentismus

Manche Phänomene sind mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr zu erklären. Immer öfter sind Verhaltensweisen zu beobachten, die mit den Programmen oder Philosophien der eigenen Organisationen und Häuser nicht mehr zu vereinbaren sind. Richtig, das gab es schon immer, aber als Massenphänomen verdient es doch eine etwas nähere Betrachtung. Denn nicht nur die Akteure, sondern auch die Gefolgschaft ist durchaus damit zufrieden, dass sich niemand mehr um den Zweck der Organisation, um die es geht, noch schert.

Besonders auffällig wird das Phänomen, wenn die Organisationsmitglieder sich treffen, um über ihre gemeinsame Zukunft zu räsonieren, das auch mit den Worten der allgemeinen Programmatik tun, und dennoch Dinge beschließen, die diesen Willensbekundungen diametral entgegenlaufen. Zu beobachten ist diese Schizophrenie in vielen Organisationen und es hat etwas mit einer allgemeinen Sinnkrise zu tun. Besonders auffällig ist es allerdings in diesen Tagen bei dem Parteitag der SPD.

Da wird nach langer Abstinenz von den Parteifunktionären Alt-Kanzler Gerhard Schröder eingeladen, der zum ersten Mal nach acht Jahren wieder reden darf. Der von vielen verschmähte Kanzler der Agenda 2010 kommt und spricht nicht über den Pragmatismus, für den er in seiner Amtszeit stand, sondern er gibt den Delegierten noch einmal einen Grundkurs über die programmatische Tradition der deutschen Sozialdemokratie. Und Gerhard Schröder kennt die Geschichte seiner Partei. Sicher führt er aus, was soziale Gerechtigkeit ist und ebenso sicher verweist er auf die Notwendigkeit einer konsequenten Friedenspolitik. Nicht, dass es nicht auch eine lange Tradition des Verrats an diesen zentralen Programmpunkten innerhalb dieser Partei gäbe, aber darüber zu referieren, hatte Schröder nicht vor.

Stehende, nicht enden wollende Ovationen beendeten die Worte des Alt-Kanzlers und es konnte der Eindruck entstehen, die SPD hätte die Initiative ergriffen, auf diesem aktuellen Parteitag ihre aktuelle Politik, die mit den gesetzten Identifikationsmustern der Sozialdemokratie kaum noch etwas gemein hat, zu revidieren. Aber mit der gleichen Entschlossenheit, mit der die Delegierten ihre eigene Geschichte feierten, bestätigten sie eine Regierungspolitik, die als Kriegserklärung an die spirituellen Grundfesten der Sozialdemokratie zu werten ist.

Sowohl der vor allem durch den dogmatischen und militanten Finanzminister Schäuble vertretene Kurs des Wirtschaftsliberalismus, der abhängig Beschäftigte einer immer mächtiger werdenden Lobby von global agierenden Finanzspekulanten ausliefert, als auch die ohne internationales Mandat, ohne Deckung durch das Völkerrecht deklarierte militärische Operation der deutschen Luftwaffe über syrischem Hoheitsgebiet, ohne dass die Republik vorher angegriffen worden wäre, sind Mittäterschaften gegen die eigene Bewegung. Es sind die symbolträchtigsten Vergehen gegen die sozialdemokratische Philosophie, aber nicht die einzigen. Ob die mulmigen Positionen zu TTIP oder die durch den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister genehmigten Waffenexporte an Terrorunterstützer – es fällt schwer noch herauszufinden, was zur klassischen Ausrichtung der Sozialdemokratie, die einmal die bestorganisierte der Welt war, aktuell passen würde.

Was auch nicht passt und zu dem anfänglich beschriebenen Phänomen gehört, ist die Tatsache, dass anscheinend tatsächlich und aufrichtig eine große Ratlosigkeit darüber herrscht, warum sich die Partei auf einem stabilen Weg sinkender Zustimmung befindet. Denn logisch ist es allemal. Wer seine Klientel systematisch verprellt und anders handelt, als er es zusichert, der darf sich nicht wundern, dass ihm kaum noch jemand vertraut. Das widersprüchliche Verhalten auf dem Parteitag, der immer auch ein Ritual ist, dokumentiert das in wirklich beredter Weise. Zu erklären ist es vielleicht mit einer Art mentalem Absentismus. Ist die Frage, wer noch in der Lage ist, da wieder herauszufinden.