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11. September: Die Finsterlinge und das Licht

Alle, die alt genug sind, werden sich noch erinnern. Der 11. September 2001 löste weltweit heftige Reaktionen aus. Hier bei uns, im politischen Westen, dominierte der Schock, in anderen Teilen der Welt gab es aber auch Schadenfreude oder Unverständnis. Das sollte nicht vergessen werden, denn der okzidentale Zentrismus führt nicht selten zu Fehlschlüssen. Dennoch möge erlaubt sein anzumerken, dass die Form der asymmetrischen Kriegsführung, wie sie in den Attacken auf New York und Washington zum Ausdruck kam, mit zivilisatorischen Grundsätzen, die sich aus der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt haben, nichts gemein hatten. Es war die dreckige Tat einer Horde, die in der Barbarei angesiedelt ist.

Die Reaktion, vor allem dort, wo es geschah, war die des heftigen Trotzes. Wir, so der damalige, charakterlich zweifelhafte Präsident der Vereinigten Staaten, wir werden uns von Euch nicht ein Leben aufzwingen lassen, das wir nicht führen wollen. Damit plädierte er an die Haltung eines tief demokratischen Amerikas, dass er selbst, mit seiner eigenen Politik, im Begriff war, zu demontieren. Und auch hier, jenseits des Atlantiks, in den Zentren Europas, waren jene Worte die Diktion, die dem Schock folgten.

Wir alle wissen kaum noch, wie es war, als man sich frei von Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, in Shopping Malls, in Sportarenen, auf Bahnhöfen und Flughäfen bewegen konnte und wie leicht man Clubs und Musikkonzerte besuchen konnte und wie schnell man an Bord eines Flugzeuges war verglichen mit heute. Millionen von Menschen werden seit den Anschlägen des 11. September täglich stundenlang von Sicherheitsroutinen aufgehalten und was vor diesem Datum als Privatsphäre galt, wird heute gescreent und durchwühlt als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Schlimmer jedoch ist die mentale Wirkung. Das Verlangen nach Sicherheit, immer ein probates Drohszenario konservativer Politik, um Bürgerrechte einzuschränken, hat zu einer starken Demontage der demokratischen Öffentlichkeit als dem Medium geführt, dass die Selbstbestimmung der Menschen erwirkt. Das war ein schleichender Prozess, aber wenn man sich heute ansieht, wie zahm Konflikte ausgetragen, wie seicht Politik begründet wird und wie phlegmatisch massive existenzielle Eingriffe akzeptiert werden, dann gewinnt man einen Eindruck von dem, was ist, aber nicht sein darf.

Wenn von einem Kampf gegen den Terror gesprochen wird, so wird in der Regel auf das technokratische Arsenal gezeigt, auf Drohnen und Panzerabwehrraketen, aber nicht auf das, wovor der barbarische Fundamentalismus die größte Angst hat. Der demokratische Diskurs, das Recht, sich einem Thema konfliktär zu nähern, ohne mit der eigenen Vernichtung rechnen zu müssen, die Frische des Disputs, der Gewinn an neuer Erkenntnis, die Bereicherung durch Reflexion und Selbstreflexion, das sind die Waffen der bürgerlichen Gesellschaft, die sie hat Wohlstand und Reichtum produzieren lassen, die Produktionsweisen entfesselte, die die Welt revolutionieren.

Das Eigenartige an den Allianzen gegen den Terror, die seit dem 11. September 2001 geschmiedet wurden, war die Analogie im Denken. Mit einer eindimensionalen Kausalität im Kopf wollten sie der globalen Angst vor der Aufklärung begegnen und schürten mit ihrem Vorgehen eine Angst vor der eigenen Tugend. Und so ist es gar nicht verwunderlich zu behaupten, dass der Kampf gegen Terror und anti-zivilisatorische Barbarei mit jedem Widerspruch am Arbeitsplatz beginnt, mit jeder Polemik in einer politischen Debatte und mit jedem Dissens gegenüber behördlichen Verlautbarungen. Das ist der Charme, den die Freiheit versprüht und das ist das Mittel, das die Finsterlinge dieser Welt fürchten wie das Licht.

Signale aus Moskau

Und plötzlich kommt sie, die Wende, gepaart mit Macht und Taktik. Natürlich spielt Russland nicht den Part einer Volksbefreiungsarmee, und natürlich leidet die russische Gesellschaft unter erheblichen Defiziten in Sachen Demokratie. Doch darum geht es bei dem Konflikt um die Ukraine nicht. Entscheidend ist, dass in einer Atmosphäre der gegenseitigen Eskalation Russland die Initiative ergriffen und ein mächtiges Signal Richtung Befriedung der Situation gesendet hat. Ob es greift, ist nicht vorhersehbar. Nur sicher ist, dass, sollte es nicht wirken, der Einfluss Russlands auf die Ost-Ukraine bewusst oder unbewusst überschätzt wurde. Greifen Putins Worte an die Befürworter eines Referendums nicht, dann wird deutlich, wie kompliziert die Lage innerhalb der Ukraine tatsächlich ist und wie primitiv die Schwarz-Weiß-Konturierung der EU-Diplomatie tatsächlich geraten ist. Dass die westliche Propagandaabteilung bereits Erklärungen parat hat, sollte das Referendum trotzdem durchgeführt werden, lässt sich denken: Putin spielt mit gezinkten Karten. Wohl dem, der dieses nicht tut.

Man sollte die Chance nutzen, um sich neben den naheliegenden Fragen nach einer legitimen Regierung der Ukraine, nach dem Status der Krim, nach dem Selbstbestimmungsrecht bestimmter Regionen und nach der Expansion der NATO durch das Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine auch noch eine andere, strategisch vielleicht doch sehr wichtige Frage zu stellen: Welche wirtschaftlichen Interessen stehen auf wessen Agenda?

Da empfiehlt es sich, in die kalten Arsenale der Macht hinabzusteigen und sich einmal anzusehen, was in den letzten Jahren in wirtschaftlich-energetischer Hinsicht vor sich gegangen ist. Da gibt es ein europäisches Energiemonopol namens Russland, von dem nicht nur ehemalige Assoziierte aus dem Sowjetreich, sondern auch mitteleuropäische Staaten wie die Bundesrepublik in nicht geringem Maße abhängen. Und da gab es bereits Versuche seitens der vormaligen Regierung Merkel-Steinmeier, das russische Liefermonopol aufzuweichen durch Verhandlungen mit Vorzeigedemokratien wie Usbekistan und Aserbeidschan. Beides gelang nicht, aber die Intention alleine birgt doch einen gewissen Enthüllungscharakter. Russland erwies sich als stärker, was anscheinend nicht verziehen wurde.

Sowohl, diejenigen, die das Öl- und Gasmonopol Russlands durch Lieferantendiversifikation aufweichen wollten als auch diejenigen, die eigene Lieferpotenziale durch Methoden wie das Fracking entdeckt haben, sind nun dabei, die Frage neu aufzuwerfen. Bei letzterem sind die USA bereits Protagonist und hier in Europa lauern schon manche Konzerne, die gerne die Legitimation für das Fracking hätten, um auf den Markt zu kommen. Ein Engpass, der durch eine Blockade Russlands entstünde, käme da gerade recht.

Und nicht zu vergessen die Fundamentalisten hierzulande, die mit einer Ent-Industrialisierungsagenda eine staatsmonopolistisch betriebene Energiewende favorisieren, die sehr von dem Ausfall russischen Gases profitieren und den Druck auf ein Gelingen des Projektes immens erhöhen würde. Was sich anhört wie eine Verschwörungstheorie, ist leider das Ergebnis eines leidenschaftslosen Mappings wirtschaftlicher und politischer Handlungsweisen.

Russland selbst hat klar umrissene Interessen. Zum einen geht es um die geostrategische Frage des Zugangs zum Schwarzen Meer, die sich mit dem Referendum auf der Krim vorerst erledigt hat. Zum anderen ist die Bedrohung durch die NATO an den eigenen Grenzen nach wie vor virulent, aber durch das Anzeigen der eigenen Kampfbereitschaft ist der Westen etwas zurückgewichen. Nicht zu vergessen sind wirtschaftliche Interessen eines Energieanbieters. Die Signale aus Moskau sind in diesem Kontext zu sehen. Man muss sie nicht interpretieren, Streitsumme wie Colt liegen auf dem Tisch. Mal sehen, welche Räubergeschichten daraus im Westen abgeleitet werden.

Machtspiele in Tunis

Alle, alle hatten davon geträumt. Als der Student, der die Polizei nicht bestechen konnte und sich mit Öl überschüttete und anzündete. Danach waren sie aufgestanden, in Tunis und auf dem Land, und hatten den alten korrupten Patriarchen außer Landes gejagt. Und alle Tunesierinnen und Tunesier begannen einen Traum zu träumen, der besagte, dass sie eine Revolution machen wollten ohne Gewalt. Der Freitod des Studenten sollte ein schreckliches Signal bleiben. Und tatsächlich gelang es schnell, ruhig und sauber, den Herrscher und seine Familie aus dem Land zu vertreiben. Zu groß war die Einheit der Opposition und nicht zuletzt zu eindeutig patriotisch die Position des Militärs, das klar machte, es diene der Verteidigung des Landes und nicht einer Person.

Als man nach der Verjagung des Alten mit der Gestaltung des Neuen begann, wurde schnell deutlich, dass es ein beschwerlicher Weg sein würde. Die wirtschaftlichen und strukturellen Probleme löst man nicht in einer Legislaturperiode, d.h. ohne einen breiten Konsens der politischen Akteure wird es ein unbefriedigendes Unterfangen. Zudem existierten keine praxiserprobten Parteien, keine kritischen Medien, keine gelebte Demokratie in den Kommunen.

Was die Tunesier taten, war klug und mutig. Sie wählten eine Interimsregierung und beauftragten diese mit der Erarbeitung einer Verfassung. Letzteres ist für Ungeübte auch kein leichtes Unterfangen, aber sie machten sich daran. Dass bei den Wahlen die muslimisch Orientierten die Mehrheit bekamen, verdankten sie der Vergangenheit. Sie waren es, die unter dem alten Herrscher verfolgt wurden und sie kannte man als nicht korrupt. Als sie dann an die interimistische Macht kamen, verloren sie schlichtweg ihren Mythos und sie werden heute sehr weltlich begutachtet.

Dass ein Teil der muslimischen Partei an seine Gestaltungsgrenzen stoßen würde, war anzunehmen. Dass dieser Teil aber die Zeit nutzen wollte, um lediglich die Machtpositionen auszubauen, das war nicht Auftrag derer, die sie gewählt hatten. Der in der letzten Woche ermordete Oppositionspolitiker galt als strikter Laizist, d.h. er trat für die Trennung von Staat und Religion ein. Wenn eine solche Position zur Ermordung führt, dann ist der Konsens des friedlichen Übergangs zerbrochen.

Der gegenwärtige Übergangspräsident, seinerseits prominentes Mitglied der muslimischen Partei, hat angekündigt, er werde unbescholtene Technokraten in die Ministerämter setzen und Neuwahlen ansetzen. Angesichts der Geschehnisse sicherlich eine vernünftige Geste. Seine eigene Partei ist über diesen Vorschlag gespalten. Die eine Fraktion stimmt zu, die andere ist dagegen. Letztere setzt auf die gewaltsame Usurpation der Macht durch ein muslimisches Netzwerk und gegen die Mehrheit des Volkes. Dass diese Minderheit jetzt zur Gewalttätigkeit neigt, ist evident.

Auch jetzt stellt sich die Frage, wie die politische Opposition ihre Ziele, die weltlich sind, weiter formulieren wird. Deutlich ist, dass die Frauen das Rückrat der demokratischen Opposition sind, denn sie haben gegenüber einer theokratischen Alternative am meisten zu verlieren. Und auch in diesem Fall wird sehr viel davon abhängen, wie sich das Militär verhält. Sollte es sich für den weiteren Weg der demokratischen Erneuerung entscheiden, wie bisher, dann hat die fundamentalistische Alternative keine Chance. Momentan spricht vieles dafür, dass das Militär nicht mit dem Einzug der Gewalt in die tunesische Politik kokettiert. Sollte sich diese Position verfestigen, wäre es eine wahrhaft patriotische Tat.