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Machtkampf im Regierungslager

Es hat nicht lange gedauert. Kaum waren die ersten Zugladungen von Menschen aus Syrien am Münchner Hauptbahnhof gelandet, kaum waren diese von freundlichen Helferinnen und Helfern begrüßt worden, kaum hatte die ausländische Presse erstaunt und beeindruckt die Haltung von Kanzlerin Merkel und vielen Deutschen auf der Straße zu Kenntnis genommen, da schossen die besorgten Politiker aus ihren dunklen Ecken und verkündeten, so könne es nicht weitergehen. Es herrsche Chaos im Land, die logistische Kapazität sei bereits überfordert und die Grenze der Belastbarkeit sei bereits erreicht. Die Kanzlerin, bekannt für lange Denkpausen und den Slogan Never make your move to soon, überlegte gar nicht lange und sprach flugs in die Mikrophone, wenn wir uns jetzt dafür entschuldigen sollen, dass wir freundlich zu Menschen in Not sind, dann ist das nicht mehr mein Land. Das war sehr deutlich, ungewohnt deutlich, und zeugt von einem Machtkampf im eigenen Lager, der sich gewaschen hat.

Unabhängig von der Frage, die sich schon Jahrzehnte stellt und die immer wieder vermieden wurde politisch zu beantworten, wer unter welchen Umständen in diesem Land politisches Asyl erhält und wen dieses Land als ganz normalen Einwanderer begrüßt, sind die Anforderungen, die die nach Deutschland Flüchtenden momentan an das Land stellen, kein Problem logistischer, monetärer oder sonstiger Natur. Wir sprechen von einem der wirtschaftlich potentesten Land der Welt. Die starke Dichotomie von privatem Reichtum und zunehmender Verarmung der öffentlichen Hand, vor allem der Kommunen, die die Herausforderung gegenwärtig zu organisieren und zu finanzieren haben, sind die Ursache für die angespannte Situation. Die Sieger der globalen Wirtschaft, deren Renditen ungeheure Margen erreicht haben, blicken besorgt aus dem Fenster und wissen von nichts. Und die Politik, mit Ausnahme der Linken, stellt diesen Zusammenhang nicht her. Er ist aber herzustellen, und die momentane Organisation der Einwanderungsbewegung setzt sie auf die Tagesordnung.

Die CSU, die sich zur Avantgarde des Aufstandes gegen Merkel im eigenen Lager etabliert hat, ist ein besonderes Phänomen. Im Grunde vereint diese Partei alles, was es an Vorurteilen über den Balkan gibt in sich und macht daraus eine deutsche Realität. Gerade in diesen Tagen, in denen unter Biergerülpse die glorreiche Zeit unter Franz-Josef Strauß anlässlich dessen 100. Geburtstag begangen wird, kommt das ganze Repertoire noch einmal ans Licht, die Vetternwirtschaft, der Populismus, die Korruption, die dunklen Geschäfte, die Steuerskandale und die Spendentransfers, die Waffendeals und die dreckigen Freundschaften zu Tyrannen und Diktatoren. Dieser Haufen, der auch immer die Reputation einer ganzen Region beschädigt hat, dieser Haufen nun maßt sich an, die Haltung der Nation zu dringenden Fragen der internationalen Politik mitbestimmen zu wollen.

Unabhängig von den politischen Akteueren, die mit einem Regierungsmandat ausgestattet sind, muss sich die Nation mit der Frage befassen, wie mit den Menschen umzugehen ist, die sich in Bewegung gesetzt haben aufgrund von Krieg und menschenunwürdigen Verhältnissen. Jetzt auf die Ursprungsländer zu verweisen, hilft im Moment nicht. Aber es ist eine Kausalität, die bis dato bestritten wurde. Wenn deutlich und bewusst wird, dass man nicht mal eben den Balkan so zerschlagen kann wie geschehen, ohne dass sich das auf das eigene Land auswirkt, dann könnte das einen Wandel im politischen Denken bewerkstelligen, der längst überfällig ist. Weitsicht wäre der Lohn für eine kritische Reflexion dessen, was momentan geschieht. Diejenigen jedoch, die jetzt ins Geschäft der Panik investieren, suchen diese Reflexion zu verhindern.

Strukturelle Schizophrenie

In der Sommerpause entlarvt sich gesetzmäßig die Regierung. Scheinbar unbemerkt von der badenden und Eis essenden Öffentlichkeit werden Dinge vollzogen, die den allgemeinen, kommunizierten Richtlinien widersprechen und schlichtweg als Kategorie der kriminellen Energie bezeichnet werden müssen. Jede Regierung tut Dinge, die nicht schön sind. Dafür ist sie unter anderem auch da. Was eine Regierung nicht tun darf, vielleicht außer in Deutschland, dass sie sich als ein Ensemble von Täuschern und Betrügern entlarvt. Mit einer Meldung, gestern Abend in den Nachrichten, wurde dieses allerdings wieder einmal, wie schon so oft zuvor, offenbar.

Mit einer Leidenschaftslosigkeit wie bei einem sommerlichen Landregen berichtete das Staatsfernsehen über den Besuch des Oligarchen und Vertreters der Ukraine, Poroschenko, in Deutschland wie in Brüssel. En passant wurde dabei erwähnt, dass Kollege Jean-Claude Juncker von der EU dem Mogul eines Korruptionskartells quasi als Hors d´oevre sowohl einen neuen EU-Kredit zugesagt wie 20 Prozent der Schulden erlassen habe. Spätestens wer sich bei dem letzten Satz gefragt haben sollte, inwieweit sich das mit der Staatsdoktrin des europäischen Zuchtmeisters Schäuble vertrage, der sich gegenüber Griechenland als strikter Gegner eines Schuldenerlasses profiliert hatte, konnte sich die Antwort selbst geben: Gut!

Die Begründung politischen Handelns geschieht nur noch bezogen auf den Einzelfall, da allerdings mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit. Nicht nur Schäuble, nahezu das ganze Kabinett lässt sich mit diesem Verständnis beschreiben. Unter dem Strich steht eine Agenda, für die es seitens der Bevölkerung keine Legitimation gibt und zum anderen eine teuflische Verbundenheit der einzigen Rhetorik, die diesen Sprechblasenproduzenten noch gegeben ist: die des Populismus. Selbst Siegmar Gabriel, der Chef der sozialdemokratischen Partei Deutschlands und zumindest nominell an Menschenrechte und Internationalismus gebunden, bringt es fertig, semantische Antipoden wie „Der Grieche ist dumm!“ und das „Das Pack muss eingesperrt werden!“ (Für alle, die so reden und handeln wie er selbst im Falle Griechenlands) aus dem gleichen Mund entweichen zu lassen.

Schäuble, der den Ruf der Republik durch sein Geschnarre nachhaltig geschädigt hat, ist da sogar noch eleganter. Ihm ging es immer darum, die Griechen durch einen Schuldenerlass nicht dazu zu erziehen, dass man in Europa leichtfertig Schulden machen könne. Das wird mit wunderbarer Elastizität im Falle der Ukraine gerade vorexerziert. Und in diesem Fall hält er einfach den Mund. Was klug ist, aber dennoch sehr beredt, weil genau das, was den USA oft zu Recht vorgeworfen wird, zu einem Grundmuster deutscher Politik geworden ist: Double Standard. Zu Deutsch: Ein Schurke ist nur ein Schurke, wenn er nicht mit uns gemeinsame Sache macht. Ist er kooperativ, haben wir es über Nacht mit einem Demokraten zu tun. Die Kriminellen Oligarchen in der Ukraine sind ein Beispiel dafür.

Und auch im Falle der Asylsuchenden und Flüchtlinge sehen wir die strukturelle Schizophrenie, die aus demagogischem Motiv zu einer Massenerkrankung im Berliner Regierungsviertel geworden ist. Nach der bewussten und nachhaltigen Zerstörung zum Beispiel des Balkans, ist nun das Geschnatter über die Flüchtlinge aus dieser Region groß. Ja Herrschaftszeiten, um einmal im CSU-Dialekt zu bleiben, für wie deppert haltet ihr das Volk oder wie deppert seid ihr selbst, dass ihr glaubt, dass der Zusammenhang zwischen euren Taten und den Problemen, die als logische Folge daraus resultieren, durch euer unsägliches Geschwafel verwischt werden kann?

Die Dramaturgie des Sommerlochs

Das viel beschriebene Sommerloch böte eigentlich die Gelegenheit, sich von den vielen aufgeladenen Nachrichten und Meldungen, die das ganze Jahr über auf das ungeschützte Publikum herunterprasseln, etwas zu erholen. Denn zu wenig hat das alles noch mit einem Recht auf Information zu tun. Bagatellen aus allen Weltregionen werden emotional aufgeladen als wichtige Neuigkeiten verkauft und tatsächlich wichtige Ereignisse und Entscheidungen, diejenigen, wo Weichen gestellt werden und durch die das Publikum tatsächlich betroffen wird, werden entweder gar nicht übermittelt oder sie laufen als unerhebliche Petitesse so eben mit durch den Ticker. Das Ganze hat System, ist aber nicht alles. Das Sommerloch, das so gut tun könnte als eine temporäre Schonung der Nerven und als Übung, auch ohne artifizielle Überreizung für eine Weile leben zu können, hat eine bestimmte dramaturgische Funktion.

Jedes Jahr, wenn das Parlament nicht tagt, die Hitze über das Land zieht und die Familien mit den Kindern das Weite oder die Natur suchen, wird zumeist ein Thema durch die Gazetten gejagt, das alles ersetzt, was sonst der Meldung würdig wäre. Zumeist ist es eine Übung in Ideologie. Denn die meisten Organe, die online bis auf jedes Smartphone von Ibiza bis in den Himalaya strahlen, machen nichts mehr aus purem Vergnügen und schon gar nichts, um gesellschaftliche Ereignisse im Sinne ihres Auftrages und ihrer Freiheit kritisch zu reflektieren. Sie probieren aus, wie weit sie gehen können gegenüber dem Volke mit abenteuerlichen Thesen, einer unverschämt rücksichtslosen Haltung oder einer an den Grundfesten nagenden Außenpolitik.

Und kaum haben die letzten großen Bastionen der Schulkinder in Deutschlands Süden nun auch Ferien, da hat das Land das Thema seines Sommerlochs. Das wahrhaft Schlimme daran ist, dass es zumeist um Menschen geht, die hier Schutz suchen und die keinen Schutz haben oder aufbauen können gegen die vielen Versuche, sie in bestimmten Lichtern zu sehen. Abgeschottet von der Öffentlichkeit verharren sie im Wartezustand, während so genannte Spezialisten das Thema Flüchtlinge und Asyl vor den Kameras durchexerzieren. Und alles, was an abstrusen Ideen von irgendwelchen Hinterbänklern artikuliert wird, findet sich in den Schlagzeilen des nächsten Tages. So ganz nebenbei ist das wieder ein Beleg für die sittliche Reife derer, die derartige Nachrichten aufbereiten. Sie spielen mit Existenzen, statt sie in ihrer Würde zu schützen.

Und als wäre es nicht genug mit diesem Sommerloch-Thema des Jahres 2015, so wird gleichzeitig versucht, gegen Enthüllungen im Netz mit dem staatsanwaltlichen Hammer zuzuschlagen. Die Meinungsfreiheit, die sich im Netz und in der Bloggerszene Form verschafft hat, ist anscheinend den über die Meinungsindustrie Herrschenden ein Dorn im Auge. Cameron, der am übel riechenden britischen Nationalismus leckende Populist, will drüben, auf der Insel, Facebook verbieten, und hier soll die Bloggerszene zum Schweigen gebracht werden. Da ist Freiheit in Gefahr, und zwar essentiell!

Und, um das Thema Flüchtlinge noch einmal aufzugreifen: Die Bundesrepublik Deutschland, selbst ein Artefakt aus unzähligen Migrationsbewegungen, hat es verstanden, über Jahrzehnte das Thema Einwanderung konsequent auszublenden. Sie mäandert durch die Epoche der Globalisierung zum einen mit einem antiquierten Begriff Ius sanguinis, der Staatsbürgerschaft aufgrund von Blutlinien, und sie hat keine formulierte Vorstellung davon, wer in diesem Land eine Heimat finden kann und wer nicht. Jetzt diskutieren überforderte Ministerpräsidenten, wie sie Kriterien für Asyl neu interpretieren können, um die Anzahl der Herkommenden zu reduzieren. Und die Verteidigungsministerin fährt nach Tunis, um die dortige Regierung zu überzeugen, die Grenzen wieder dicht zu machen wie zu Ben Alis Zeiten. Das ist schlecht, das ist unwürdig, und es zeugt nicht von einer Kompetenz, die zu Lösungen fähig wäre. Das allerdings ist in der Meinungsindustrie kein Thema.