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Geschichte, geklittert

Es wirkt alles nur noch wie eine Parodie auf ein diktatorisches Regime. Anlässlich der 25-jährigen Jubiläen in Sachen deutscher Wiedervereinigung jagen sich die emotional behafteten Bilder. Genscher auf dem Balkon der Botschaft. Sein nie zu Ende gehörter Satz, der im Jubel der Botschaftsbesetzer untergeht. Deutschland dahoam. Wie schön, wenn sich ein Volk wiederfindet und wie ergreifend, wenn die Betroffenen von damals noch heute vor der Kamera in Tränen ausbrechen. Ja, man kann es verstehen, ja, es ist ergreifend, wie das Leid geprägt hat und wie die gefühlte Befreiung übermannte.

Dann ein Schnitt: Die ARD-Sprecherin zusammen im Gespräch mit Genscher. Fast anekdotenhaft. Genscher erzählt von seinen persönlichen Eindrücken damals. Wie er das Gelände der Botschaft betreten hat, wo die Betten standen, wie es roch. Wie die Leute drauf waren und dass sie ihn gar nicht erkannt haben. Und dann, dass er erst zufrieden war, als der Zug mit den Geflohenen sicher im bundesrepublikanischen Hof angekommen war und er seiner Frau gesagt hat, jetzt machen wir ein Fläschchen auf.

Dann die Frage der ARD-Sprecherin, was denn geblieben sei. Genscher setzt an und versucht das Wesen einer Diplomatie zu erklären, die versucht, unterschiedliche Interessen zu arrangieren, Ängste zu nehmen. Er wirbt für den Versuch, Russland zu verstehen. Mitten im Satz wird ausgeblendet. Anscheinend hat es die STASI bis in die Hamburger Studios der ARD geschafft. Kalter Krieg, Made in reunited Germany.

Heute Abend eine der vielen Fortsetzungen. Gerd Schröder wird vor Industriellen einen Vortrag halten und hat schon einmal angekündigt, er sei stolz, ein Putin-Versteher zu sein. Die Bild-Zeitung greift den Plot bereits im Vorfeld auf. Der Audi-Kanzler reißt wieder das Maul auf. Schröder gilt als Trash, obwohl er als couragiertester Nachkriegsreformer in die Geschichtsbücher eingehen wird. Aber er lässt sich nicht vereinnahmen von den Kriegstrommlern dieser Tage.

Man könnte ein Journal schreiben. Jeden Tag wird die deutsche Bevölkerung mit Produkten primitivster Kriegs- und Hasspropaganda überschüttet, um Russland zu diskreditieren. Bezahlt aus den Zwangsgebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Nicht nur skandalös, sondern beschämend. Wer rümpft die Nase über Hongkong? Die Produzenten dieser Art von Nachrichten und Berichterstattung? Der Intelligenzquotient liegt höher in Deutschland, als angenommen. Die Entfremdung von den staatlichen Institutionen nimmt immer mehr zu, die Entfremdung von den Institutionen, die die staatlichen Institutionen kontrollieren sollen, fällt gerade in den Galopp. Die schlechte Qualität der subventionierten Berichterstattung und ihre nicht zu leugnende Intentionalität führen geradezu in eine Systemkrise, deren Auswirkungen kein noch so starkes monetäres Placebo wird verringern können.

Momentan durchlaufen wir ein sehr interessantes Experiment. Es beobachtet, inwieweit die propagandistische Intervention in der Lage ist, das kollektive Gedächtnis zu verdrängen. Alle, egal welcher politischer Couleur, die den Kalten Krieg und den Prozess der Entspannung erlebt haben, wissen um die Mühsal des Weges, aber sie können ihn sehr genau beschreiben. Er verläuft konträr zu der gegenwärtigen Politik der Regierung wie der diese eskortierenden Berichterstattung. Die propagandistische Kriegstreiberei entspricht nicht dem Bild, das wir tatsächlich von den Akteuren haben sollten, wenn wir auf friedliche Lösungen aus sind. Die gezeichneten aggressiven Konturen des vermeintlichen Gegenübers sind das genaue Abbild derer, die gegenwärtig das Handwerk hier, auf unserer Seite, betreiben. Wer einfach nur noch verunglimpft oder schlichtweg den Strom abdreht, wenn es ihm nicht mehr in den Kram passt, der sollte schleunigst das Haus verlassen. Ansonsten muss man ihn herauswerfen.

Siedend heiße Botschaften, eiskalte Urteile

Marshall McLuhan. Das Medium ist die Botschaft

Wenn es einen kritisch reflektierenden Vordenker für das Kommunikationszeitalter gab, dann war es der kanadische Pädagoge Marshall McLuhan. Bereits 1911 geboren und 1980 gestorben, hat er seit den fünfziger Jahren mit seinen Publikationen und Statements seine Zeitgenossen gehörig verwirrt. Die Mechanische Braut (1951), Die Guttenberg Galaxie (1962), Medien Verstehen (1964), Das Medium ist die Botschaft (1967) sowie Krieg und Frieden im globalen Dorf (1968) waren seine Hauptwerke, mit denen er bei einigen Pionieren Euphorie auslöste, bei vielen anderen jedoch auf Unverständnis und Befremdung stieß. Fast ein halbes Jahrhundert seit dem Erscheinen seiner Bahn brechenden Werke hat sich vieles immer noch nicht im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt und daher wirken seine Erkenntnisse und Thesen bis heute noch so erfrischend radikal.

Der vorliegende Band könnte nicht besser geeignet sein, um an die Denk- und Arbeitsweise dieses unkonventionellen und überaus analytischen Geistes heranzuführen. In insgesamt fünf längeren Interviews zu unterschiedlichen Zeit- und Schwerpunkten unternimmt McLuhan eine Reise durch seine Erkenntniswelten. In den Interviews geht es um die Entkörperung der Sender im Kommunikationsprozess, um epistemologische Herangehensweisen bei der Erforschung neuer Terrains, um das Prekariat des historischen Standpunkts, um die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher kultureller Rezeptionsweisen wie um die Geschlechtsorgane von Maschinen.

Ja, vieles klingt bizarr und vielleicht auch zunächst abschreckend, weil zu befürchten wäre, dass das alles in einer Abstraktionssphäre zu verpuffen droht, in der man sich sehr trunken fühlt. Doch Marshall McLuhan war ein kanadischer Pädagoge, d.h. er besaß das leider in Europa eher seltene Talent, anhand alltäglicher Beispiele und mit ungeheurem Unterhaltungswert über seine exzentrischen Forschungsunterfangen zu berichten.

Daher muten diese Interviews an wie eine Schatzkiste der Inspirationen und Lösungsansätze und vieles, was da vor einem halben Jahrhundert thematisiert wurde, ist brandaktuell. Wir erfahren einiges über den semantischen Wechsel von Inhalt und Form, über die Funktionsweise von linker und rechter Hirnhälfte und deren geographischer Domänen, über das Rezeptionsverhalten von oralen und alphabetischen Gesellschaften und die daraus resultierenden Wirkungsweisen neuer Techniken auf diese Gesellschaften. Und das heute so verniedlichte globale Dorf verwandelt sich bei dessen Entdecker in der Urschrift als eine archaisch brutale Formation, deren Überwindung man sich sehnlich herbeiwünscht.

Das frappierende an diesem Buch, das allen, die sich mit den Aporien und Paradoxien des Kommunikationszeitalters beschäftigen, dringend ans Herz gelegt wird, ist die Erkenntnis, dass der frühe Namensgeber vieler Phänomene alles andere als ein Verfechter jeder neuen Technik war. Er sah vor allem die zerstörerischen Potenziale, weil es den humanen Nutzern an Reife fehlte…