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Lügen in Zeiten des Krieges

Nein, das ist keine Buchbesprechung. Es geht nicht um den lesenswerten Roman des Louis Begley, der seine Kindheit als Jude im kriegsverwickelten Polen reflektierte. Obwohl Polen bei dem aktuellen Anlass ebenfalls eine gewichtige Rolle spielt. Nebenan, in Frankreich, da existieren noch Menschen, die trotz oder gerade wegen der allgemein im westlichen Europa euphorischen Kriegsstimmung ihre Stimme erheben und sich nicht scheuen, ihre Sichtweise kundzutun. Erst kürzlich hatte ein Enkel von Charles de Gaulle, seinerseits ein erfolgreicher Banker, die geostrategischen Verschiebungen beschrieben, die sich durch die Stellvertreterrolle der EU im Konflikt der USA mit Russland vollziehen. Kurz gesagt, die zumindest vehemente ökonomische Schwächung Europas und Russlands. Das Kalkül der USA beschrieb er so, dass die Lahmlegung Europas als Ganzem, und dazu gehört eben auch Russland, den USA den Rücken freimache, um den aus ihrer Sicht Hauptfeind China ins Visier nehmen zu können. Und dass bei der Achse der Willigen eine Machtlinie von Washington über London nach Warschau entstanden sei, bei der weder Paris noch Berlin eine größere Rolle spielen, sei mittlerweile mehr als deutlich geworden.

Nicht allen, könnte man schlussfolgern, bevor man noch den französischen Historiker Emmanuel Todd zitierte, der ebenfalls kürzlich in einem langen Interview an prominenter Stelle seine Sichtweise zu Protokoll gab, ohne auf die zunehmend schwächere Disposition nicht nur Europas, sondern auch der USA zu verzichten. Die weltweit zu beobachtenden neuen Allianzen, die in gewisser Weise an die Bewegung der Blockfreien aus dem letzten Jahrhundert erinnern, sind insofern für die Hegemonie der USA gefährlicher, als dass sie über nicht zu unterschätzende Mittel verfügen, um den Dollar als Weltwährung zu stürzen und damit der grenzenlosen Kreditwürdigkeit der USA ein Ende setzen könnten.

Was aus der Bewegung der Blockfreien geworden ist, steht in den Geschichtsbüchern. Jenseits des unmittelbaren Interesses seitens Europas wurde ein Staat nach dem anderen destabilisiert, durch Putsch, Mord oder direkte militärische Intervention. In Indonesien, Mitbegründerstaat der Bewegung, 1965 durch einen Putsch mit mehr als 1,5 Millionen Toten bis hin zur endgültigen Zerschlagung Jugoslawiens im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Vielleicht auch noch einmal soviel zu dem Argument, man könne den Völkern nicht vorschreiben, welchen Weg sie wählen.

In der öffentlichen Wahrnehmung Deutschlands bleiben diese Stimmen ungehört. Genauso wenig wird darüber berichtet, was nicht in die Serie der Erfolgsmeldungen passt. Jedes Revirement im russischen Militärapparat wird als Indiz der dortigen Probleme gewertet, dass nun gleiches in der Ukraine geschieht und oberste Militärs gar wegen Korruption entfernt werden müssen, ist den Propagandaabteilungen hierzulande keine Meldung wert. Ebensowenig die Tatsache, dass die Türkei trotz williger Auslieferung von Kurden seitens des NATO-Anwärterlandes Schweden nach wie vor ihr Veto zur Aufnahme Schwedens einlegt. Wohl weil der Menschenpreis bis dato zu niedrig ist. Und deshalb wird in Finnland darüber nachgedacht wird, alleine und nicht zusammen mit Schweden der NATO beitreten zu wollen. 

Lügen in Zeiten des Krieges haben den Zweck, auf Biegen und Brechen die Illusion des eigenen Sieges solange wie nur möglich aufrecht zu erhalten. Ist diese Illusion in Gefahr, dann erhält die einzige Wahrheit, die Kriege hervorbringen, die Möglichkeit ans Licht zu kommen: Im Krieg verlieren alle Seiten, bis auf die, die gut daran verdienen und möglichst weit vom Geschehen entfernt sind. 

G 20: Avancen im Sarong

Eines der Bilder, die bereits um die Welt geschickt werden, zeigt Vertreter des Westens auf dem G20-Gipfel in Bali, gekleidet im Sarong. Der Sarong ist dort vergleichbar mit dem hiesigen Smoking. Dass die Bidens, Trudeaus und das Maskottchen Schwab so amüsiert wirken, deutet bereits darauf hin, dass sie das edle Gewebe mit einer Bauerntracht verwechseln. Aber was macht man nicht alles, um gute Stimmung zu erzeugen! Da kleidet man sich doch mal wie die Primitiven. Hauptsache, sie sind für die wesentlichen Positionen der westlichen Allianz zu gewinnen. Dass dieses Unterfangen bis jetzt trotz zahlreicher Versuche nicht gelungen ist, ist ein großes Ärgernis.  Aber, neben dem Bild mit den Sarongs, wird in den Qualitätsmedien bereits schwer spekuliert und auf eine Front gegen Russland und eine Isolation Chinas gehofft. 

Es gehört zu den Usancen westlicher Vertreter, dass sie in Asien anreisen und glauben, sich auf einen Kontinent der Geschichtsvergessenheit zuzubewegen. Folglich, so meinen sie, können sie aus tagespolitischen Erwägungen absondern, was sie momentan für richtig halten. Dazu gehört die Lobpreisung der ehemaligen britischen Verhältnisse in Hongkong, die Anmaßung in Sachen Taiwan, das Verschweigen der Massaker in Indonesien und das jahrelange Bombardement Vietnams, um nur einiges zu nennen. Zu letzterem gab der deutsche Bundeskanzler gerade auf seinem Vietnam-Besuch eine unglaubliche Kostprobe. Dass die betreffenden asiatischen Länder die Wunden von Kolonialismus und Imperialismus nicht verdrängt haben, kann jeder interessierte Besucher nach wenigen Stunden des Aufenthaltes herausfinden. Dass diese Erkenntnis die Ohren derer nicht erreicht, die sich auf einem gerechten Kreuzzug wähnen, wird täglich erneut deutlich.

Der indonesische Staatspräsident Joko Widodo, seinerseits Gastgeber des G20-Gipfels, warnte in seiner Einlassungsrede vor einer Spaltung der Welt. Vor ihm saßen nicht nur die Spalter, deren Ziel es ist, die Einheit unter ihrem Interessenschild herzustellen, sondern gewichtige Staaten, die ressourcen- wie bevölkerungsreich sind, die durchaus das Zeug mitbringen, eine Idee zu revitalisieren, die bereits in Indonesien ihren Anfang nahm. Dieser Umstand wird zumindest nicht in der Öffentlichkeit thematisiert. Auf der Konferenz von Bandung fand 1955 die erste asiatisch-afrikanische Zusammenkunft statt, die als Grundstein für die spätere Bewegung der Blockfreien gesehen werden muss. In ihr versammelten sich die Länder, die sich weder im Lager der Sowjetunion noch dem der USA sahen und die sich durch verstärkte Kooperation gegenseitig stützen wollten. Das Interessante an dieser Bewegung und ihrem Scheitern sind die vielen Interventionen, von Seiten der USA und zunehmend den Staaten, die sich heute in der NATO versammelt haben. Sie reichen von politischen Morden, inszenierten Staatsstreichen, der Finanzierung von Terroristen wie eigenen militärischen Handlungen, um die Bewegung der Blockfreien, die sie fürchteten wie den Teufel, zu vernichten. Der wohl letzte Akt war die Zerschlagung Jugoslawiens. Klingelt da etwa eine Glocke?

Dass Widodo, seinerseits Javaner und damit einer Kultur zugehörig, die die hohe Kunst des Tiefsinns und der Diplomatie exzellent beherrscht, erneut von einer notwendigen Einheit spricht,  hat nichts mit dem aus dem Westen geforderten Lagerdenken zu tun. Die dort gemeinte Einheit basiert auf Autonomie, Souveränität und freiwilligem Zusammenschluss. Wer da glaubt, als Redenschreiber für einen Widodo oder Lula auftauchen und Erfolg verbuchen zu können, hat, um es vornehm auszudrücken, ein schlichtes Gemüt. Da helfen Avancen im Sarong nicht. Aus den ehemaligen Kolonien sind selbstbewusste Nationen geworden, die wissen, was sie wollen. 

Und – ein Appell der immer gilt: Lassen Sie sich keine Märchen erzählen! Schauen Sie genau hin!    

Der Crash, die Oligarchen und der Aufstand

Nun haben sie wieder Konjunktur. Die Auguren des Crashs. Sie sagen voraus, so etwas hätte die Weltwirtschaft noch nicht gesehen. Massenarbeitslosigkeit! Inflation! Insolvenzen! Eine gigantische Umverteilung des Reichtums! In allem, so die Erfahrung aller, die bereits Weltwirtschaftskrisen erlebt haben, haben sie Recht. Also, warum sind sie so darauf aus, jetzt ihre Botschaften zu verkaufen? Richtig, sie wollen etwas verkaufen. Sehen Sie genau hin! Real Estate oder Edelmetalle. Willkommen in der Geheimwissenschaft! Der Kapitalismus ist kein Rätsel. Seine Funktionsweise, seine Produktivität, seine Radikalität, seine Destruktivität. Wenn ein Satz stimmt, dann der, dass die Aussicht auf Gewinn alles in Bewegung setzt. Und diese Aussicht ist aus Sicht derer, die vielleicht am besten als Weltoligarchen bezeichnet werden müssen, das westliche, wesentlich potentere Derivat des Oligarchen, schwindelerregend. Die Kehrseite ist massenhafte Verelendung. Daran endet sich nichts. Und da nützen auch wenige Unzen Gold nichts, die im Schuhschrank versteckt sind.

Was schmerzhaft bewusst wird in diesen Tagen, ist die millionenfache Liquidierung von Quertreibern in der ganzen Welt. Seit dem mutigen wie verwegenen Versuch einiger Visionäre, die sich im indonesischen Bandung trafen, um die damals so genannte Dritte Welt zu einer Bewegung der Blockfreien zu einen, schlug das Imperium zurück. Es entwickelte ein Narrativ, dass da lautete, ein Putsch seitens der Linken sei in Vorbereitung, oder ein fingierter war kläglich gescheitert, um das vorher unterstützte und gehätschelte Militär in Handlung zu bringen. Und die hieß: Ermordung aller, die das Stigma des Kommunismus an sich hatten. In Indonesien waren es gleich Millionen, die als Kadaver in den Flüssen trieben. Es folgten viele Länder. Guatemala, Brasilien, Chile, Argentinien. Überall verschwand alles, was nach Opposition roch, wurde von Todeschwadronen abgeholt, gefoltert und umgebracht. Die Annalen sind eine Katastrophe. 

International wurde das Narrativ von den Putschisten hoffähig und kursiert bis heute. Die erfolgreiche Diffamierung aller, die nach einem Weg jenseits des Kapitalismus suchten, hat diese in die Defensive gebracht. Warum auch immer, sie suchten und suchen immer wieder zu beweisen, dass sie keine Terroristen sind. Der millionenfach dirigierte und instruierte Massenmord des siegreichen Systems steht dagegen. Und dennoch: die politische Formation einer Opposition ist verschwunden. Triumphalismus ist jedoch, so der sanfte Hinweis, deplatziert. 

Obwohl wir uns erst am Beginn der Krise befinden, wird eines deutlich. Dass nämlich eine politisch koordinierte Opposition, die denen, denen es jetzt wieder an den Kragen geht, einen Weg weisen könnte, ist nicht vorhanden. Stattdessen kommt der Widerstand aus dem Bauch. Er ist unartikuliert. Dennoch ist er mächtig. Die wahren, heftigen und erschütternden Auseinandersetzungen zwischen dem alten Staat und dem sozial unkoordinierten Aufstand finden seit über einem Jahr in Frankreich statt und sie explodieren derzeit in den USA. 

Was sich dort abspielt, sprengt alles, was bisher in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt wurde. Deshalb wird es nicht gezeigt. Stattdessen wird suggeriert, dass die hier feuilletonistisch geführten Mittelstandsdebatten das widerspiegelten, was sich im nahen und fernen Westen abspielt. Ist es nicht. Manhattan ist komplett vernagelt und in Paris sind es nicht mehr die nur Mittellosen, die da demonstrieren, sondern so manche Berufsgruppen, die als systemrelevant eingestuft werden und,  zu allem Elend, pfeift die Boheme aus den Straßencafés die Schlägertrupps der Polizei aus. 

Welche politischen Konsequenzen das haben wird, weiß niemand. Die Akteure nicht, die Parteien nicht. Man sollte genau hinsehen, mit wem die Weltoligarchen, d.h. die, die auf der Liste der Reichsten dieses Planeten stehen, anbandeln.