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Systemische Eigendynamik und das leere Versprechen der Weltendeutung

Das Phänomen der Eigendynamik dokumentiert in der Regel einen sehr bestimmbaren Zustand eines Systems. Unter Eigendynamik sind Aktionen, Maßnahmen und Prozesse zu verstehen, die ihrerseits abgekoppelt sind von der Zweckbestimmung der Organisation. In der Systemtheorie hat Eigendynamik etwas zu tun mit den Symptomen, die für den Selbsterhaltungstrieb des Systems selbst stehen und auch auf die Gefahr der Verfehlung des Zwecks sich immer wieder durchsetzen. Und immer dann, wenn die Anteile der Eigendynamik besonders hoch sind, muss dem System selbst attestiert werden, dass die Transparenz und Durchsetzung des Programms, des Nutzens, des Zwecks sehr schwach ausgebildet bzw. gewährleistet sind.

Bei jedem Veränderungsprozess kann das Phänomen der Eigendynamik beobachtet werden. Und jedem System kann attestiert werden, in welchem Zustand es sich befindet. Ist der Anteil der Eigendynamik hoch, so befindet sich das System im Zustand programmatischer Schwäche. Ist der Anteil der Eigendynamik exorbitant hoch, ist es wahrscheinlich, dass die Programmatik insgesamt verloren gegangen ist. Ein System, das nur noch aus  eigendynamischen Konstrukten oder Prozessen besteht, verliert zunehmend die Legitimation durch den Zweck: Bei allen Betrachtern von außen und nach und nach auch bei den Beteiligten selbst. Und schon drängt sich das Paradoxon auf, dass Eigendynamik der reine Ausdruck einer eigenen, intrinsischen Systemrationalität ist, zum anderen ein zu hoher Anteil von Eigendynamik die Existenz des Systems wiederum aufs Spiel setzt.

Was in jeder Organisation zu beobachten ist, trifft auch auf das übergeordnete System der Gesellschaft zu. Auch in Gesellschaften und deren Organisation, dem Staat, sind Tendenzen von Eigendynamik zu verzeichnen und auch dort ist es zuweilen schwierig, den Zweck des jeweiligen Systems zu identifizieren. Bei der Gesellschaft im Allgemeinen ist aktuell ein Zustand zu bezeugen, der gekennzeichnet ist auf den Verzicht, die Zweckbestimmung überhaupt erkennen zu wollen. Ein Diskurs darüber, wohin die Gesellschaft will oder soll ist von vielen Teilen derselben nicht gewollt oder gekonnt. Stattdessen werden die Medien der Verständigung über die Intention oder den Zweck, die Kommunikation, die Verhandlung, die Interaktion zum Selbstzweck erhoben. Die Verabsolutierung der Medien bei Ausblendung der Strategie kann als das systemische Symptom unserer Tage an sich bezeichnet werden.

In diesem Kontext ist es sehr interessant, sich das immer wieder vorgebrachte Argument der Komplexität genauer anzusehen. Selbstverständlich sind Systeme, die über unzählige Subsysteme und Interdependenzen verfügen, sehr komplex. Sie sind sogar so komplex, dass jeder Versuch, darüber eine endgültige Transparenz herzustellen, als Anmaßung angesehen werden muss. Das Wesen von ständig vermittelter Komplexität besteht allerdings vor allem darin, den einzelnen Interakteuren ihre Machtlosigkeit zu vermitteln. Das ist in hohem Maße repressiv und der einzige, schnell zu identifizierende Zweck dieses Arguments. Zumeist wird es noch begleitet von dem Hinweis, das Handeln denen zu überlassen, die diese Komplexität begreifen. Was, niemanden wird es wundern, die Vertreter der systemischen Eigendynamik sind.

Die einzige Garantie für die Möglichkeit der Orientierung in komplexen Systemen ist die Frage nach der Zweckbestimmung und der Freilegung der Interessen der verschiedenen Teilsysteme. Das ist so schwer nicht, aber es ist natürlich unangenehm für jene, die sich mit sehr viel Metakommunikation ständig über die Komplexität der Welt auslassen. Ihr Interesse deckt sich nicht mit dem Bedürfnis der Mehrheit, und selbst das System ist ihnen egal, wenn es sie nicht mehr bedient.

Über das Scheitern von Interventionen

Solange Systeme funktionieren und in einer relativ friedlichen Umgebung ihrer originären Zweckbestimmung nachkommen können und  mit vertretbaren Leistungen aufwarten, ist die Welt in Ordnung. Doch wann ist das schon der Fall? Um ehrlich zu sein, eigentlich nie. Konkurrenzverhältnisse zwingen immer zu besonderen, kurzfristig anberaumten Veränderungen, auch langfristig angelegte und stabile Rahmenbedingungen verlangen heutzutage nach einer Strategie, die nicht nur Ziele formuliert, sondern auch berücksichtigt, was passiert, wenn sich schlagartig die Rahmenbedingungen ändern. Zuweilen wird, zumindest der erste Teil einer solchen Überlegung, mit dem Titel Risikomanagement belegt.

Systeme, die nicht funktionieren und dennoch von sich überzeugt sind, existieren ebenfalls. Die irritierende Feststellung kann zutreffen, wenn folgender Zustand eingetreten ist: Das System produziert zwar kaum noch oder keine Leistung mehr, es reproduziert sich aber famos selbst. Dann hat sich der erste Lehrsatz der Systemtheorie durchgesetzt, der da lautet, Systeme sehen ihren Sinn nicht in der Zweckbestimmung, sondern in ihrer Reproduktion. Spätestens wenn ein solcher Zustand erreicht ist, ist eine Aktion erforderlich.

Die Aktionen, mit denen Systeme kuriert und wieder leistungsfähig gemacht werden sollen, werden als Interventionen bezeichnet. Interventionen sind, wie es das Wort bereits sagt, Eingriffe von außen, die etwas bewirken sollen. Es wird unterschieden zwischen Interventionen mit Impulscharakter, übergriffigen, paradoxen und absurden Interventionen, je nach der Intention dessen, der die Intervention bestellt oder lanciert hat. Zumeist ist der Zweck der Intervention reflektiert, bevor die Art der Intervention gewählt wird. Wenn das nicht der Fall ist, mangelt es an Professionalität oder es spielen noch weitere Motive einer anderen Ordnung eine Rolle, die allerdings nicht thematisiert werden können.

Jede Intervention in ein bestehendes System führt zunächst zu einer Störung der Abläufe und einer Verstörung der Aktiven. Es geht darum, dem System an sich deutlich zu machen, dass die eigene Systemrationalität und das eigene Agieren nicht mehr ausreicht, um das System längerfristig existenziell zu sichern. Auch dabei handelt es sich um eine paradoxe Erkenntnis: Obwohl das System bestrebt ist, sich immer wieder zu reproduzieren, bringt es dennoch nicht die strategische Kompetenz hervor, um die erforderlichen Dimensionen der Innovation zu taxieren.

So sinnvoll und so überlebensnotwendig Interventionen sind, so destruktiv und suizidal können sie sein, wenn bei der Wahl der Art und Mittel falsche Entscheidungen getroffen werden. Einmal abgesehen von einer feindlichen, auf Destruktion abzielenden Intervention, sind bei den Interventionen, die etwas Positives bewirken sollen, einige Dinge zu beachten:

Der Anlass der Intervention muss mit den Zielen des Systems korrelieren. Dazu ist es erforderlich, Transparenz herzustellen über eine Identität der Interessen von System und Intervention. Es ist die alles entscheidende Voraussetzung, denn wenn die Kongruenz der Ziele von System und Intervention nicht gegeben ist, dann entwickelt sich ein mit der typischen Schärfe eines Überlebenskampfes geführte Auseinandersetzung zwischen beiden Faktoren.

Neben der Kommunikation über die Ziele müssen ebenfalls die sozialen Verkehrsformen des traktierten Systems berücksichtigt werden. Denn der Charakter der Intervention in ein System wird im System identifiziert mit der Art und Weise, wie miteinander umgegangen wird. Wer anderen Gesetzen des Umgangs folgt, so der Schluss im System, der verfolgt auch andere Ziele. Und zu den Verkehrsformen zählen nicht nur die sozialen Umgangsformen, sondern in vielen Fällen auch die Produktionsmethoden.

Der Schluss, der nahe liegt, ist empirisch und beispielhaft sehr oft zu beobachten. Wer bei einer Intervention die Ziele nicht kommuniziert, wer sich an die sozialen Umgangsformen nicht hält und keine überzeugenden Argumente vorzubringen vermag, die Produktionsmethoden, die vielleicht doch veraltet sind, zu ändern oder selbst mir antquierten Vorschlägen daherkommt, der hat das Scheitern der Intervention bereits fest eingebucht.

Das Wesen der Korporation

Es reicht nicht aus, eine Institution zu gründen, um sie zu einer wirksamen Akteurin des Geschehens werden zu lassen. Doch der Irrglaube herrscht oft in der technokratischen Welt. Den Buchhaltern der gegenständlichen Bilanzen ist es genug, ein Kästchen auf einem Blatt Papier zu haben, das die Institution und ihren Zweck darstellt. Im Appendix mag dann noch stehen, wer in dieser Institution versammelt sein muss, damit sie ihren Zweck erfüllt. Das ist formal wichtig und richtig, aber damit fängt die Arbeit erst an.

Institutionen sind die Organisation unterschiedlicher Perspektiven mit dem Ziel, sie zu einer bestimmten Wirkungsrichtung zu vereinen. Das können unterschiedliche professionelle Sichtweisen sein oder unterschiedliche Gruppeninteressen. Der Unterschied gehört zum Wesen der Korporation, aber er muss allen Beteiligten deutlich sein. Die unterschiedliche Perspektive ist es gerade, die innerhalb der Institution die Bereicherung darstellt. Sie als Abweichung zu bezeichnen heißt, den Zweck der Institution als bereits erfüllt zu unterstellen.

Der Diskurs innerhalb der Institution, der, wie gesagt, unterschiedliche Sichtweisen wie Interessen zum Thema hat, muss geleitet werden von dem Konsens der formalen Zweckbestimmung. Das erscheint zunächst als ein Widerspruch, weil die Subjektivität der einzelnen Akteure zumeist zum dem Schluss verleitet, gerade ihre Sichtweise entspräche dem Zweck der Institution. Institutionalisierung jedoch ist der formale Rahmen für eine Meinungsbildung aus Diversität heraus. Das Sammeln verschiedener Aspekte, die die den Zweck der Institution zu stützen vermögen, ist die Arbeitsweise der institutionellen Konstituierung.

Dieser Prozess bezeichnet das Wesen der Korporation wie das Wesen der Institution und er ist analog und er verhält sich analog zu den Funktionsbedingungen der Kommunikation. Letztere funktioniert nur, wenn alle Seiten mit einer gemeinsamen Intentionalität ans Werk gehen. Nur, wenn klar ist, dass alle Beteiligten, die am Prozess der Kommunikation teilnehmen, den Willen haben und signalisieren, dass sie trotz unterschiedlicher Voraussetzungen eine Verständigung wollen, kommt Kommunikation zustande. Und genauso ergeht es der Institution. Sie wird nur dann ein wirksames Instrument der Zweckbestimmung, wenn die internen Teile, d.h. die unterschiedlichen personifizierten Aspekte innerhalb der Institution daran interessiert sind, den Zweck der Institution zu unterstützen und dieses für alle vernehmlich signalisieren. Alles andere sind Machtkämpfe auf der Strecke, die das Ziel sabotieren. Die Aufgabe institutioneller Sinnhaftigkeit wird am besten illustriert durch die Dominanz des Partikularismus. Er ist der Leichengräber der Korporation.

Mit der Gründung einer Institution ist es nicht getan. Der Prozess einer geeigneten Strategie und Programmatik wird muss gehen über den Diskurs. Dabei sind sowohl die unterschiedlichen Sichtweisen der Interakteure zu betrachten wie die unterschiedliche Sozialisation und das damit verbundene Rollenverständnis zu klären. Beides ist ein langer Prozess, der oft als unnötig und zeitraubend diffamiert wird. Die Diagnostik von fehlgeschlagenen Institutionen führt jedoch immer wieder zu genau diesem Defizit: Die mangelnde gedankliche Klärung der subjektiven Sichtweisen und unterschiedlichen Rollenverständnisse. Dass Institutionen in der Regel ins Leben gerufen werden, damit sie gleich arbeiten und funktionieren, macht die Sache nicht leichter, weil die Investition in die Klärung der eigenen Disposition bei laufenden Geschäften erfolgen muss. Aber ohne geht es eben auch nicht. Wer das Wesen der Korporation ausblendet, wird schwerlich Erfolg haben bei dem Versuch, eine solche, die funktioniert und eine neue Qualität ausmacht, ins Leben zu rufen und am Laufen zu halten.