Frank Sieren. Zukunft? China!*
Der Zeitpunkt rückt näher, dass man sich in Deutschland daran machen muss, das Buch der großen Irrungen zu verfassen. Ein Kapitel, das ist heute schon sicher, wird das über die Ansichten auf China sein. Ohne auf die beschämende politische Ignoranz seitens der jüngsten Außenpolitik eingehen zu wollen, hat sich ein Bild über die Weltmacht China festgesetzt, das in Teilen immer schon falsch war und in anderen Teilen weit in der Vergangenheit liegt. China ist ein moderner Gigant, der, ob er es will oder nicht, nach einer gewichtigen Stimme im Weltkonsortium verlangt.
Man hätte, so müsste dieses Kapitel im Buch der großen Irrungen beginnen, man hätte es besser wissen können. Ein Landsmann, der bereits seit dreißig Jahren in Peking lebt und sehr aufmerksam und gewissenhaft, ohne ideologische Brille, die Entwicklung Chinas genau beobachtet und in mittlerweile 14 Büchern beschrieben hat, ist Frank Sieren. Es gab Zeiten, da hatte sich die Politik noch für derartige Expertise interessiert. Der ehemalige Kanzler Helmut Schmidt war so einer, der sogar mit dem damals jungen Sieren ein Buch veröffentlichte. Aber die Zeiten sind vorbei. Umso wichtiger ist es, sich damit zu befassen, was Sieren zum Beispiel in dem 2018 erschienenen Buch „Zukunft? China!*“ zu Protokoll gibt.
Da erfährt man, gefüttert mit harten Fakten und unumstößlichen Zahlen, was sich in China getan hat. Der Autor gibt einen Überblick über das gegenwärtige weltpolitische Machtgefüge. Er beschreibt die rasante Entwicklung in Sachen KI, die Revolution in der dortigen Automobilindustrie, das tatsächliche Verhältnis von Privatwirtschaft und Kommunistischer Partei als Ordnungsmacht, den unaufhaltsamen Drang zu Innovation, den großen strategischen Wurf der Neuen Seidenstraße, die taktischen Siege während der Wirtschafts- und Finanzkrisen des Westens, die wirtschaftliche Dominanz gegenüber den USA und den Coup in Bezug auf den afrikanischen Kontinent.
Bei der Darstellung des atemberaubenden Aufstiegs Chinas werden die Unterschiede zu den Vorstellungen des Westens über Wirtschaft, Politik und Entscheidungslegitimation nicht ausgespart, aber sie überdecken nicht das, worum es geht: China und seine Menschen ihn ihrem Blick auf die Welt zu begreifen und den tatsächlichen Stand des Landes in seinem Zivilisationsprozess zu erfassen. Es geht, wieder einmal, um das Vestehen. Dass eine derartige Form der Darstellung dann unweigerlich auch auf die Defizite der deutschen Sicht stößt, lässt sich nicht vermeiden.
Die arrogante, herablassende Sicht vor allem des hiesigen Industriemanagements auf das Land hat bereits einige schmerzhafte Entwicklungen nach sich gezogen. Vor allem die Automobilindustrie hat mit ihrem Festhalten am Verbrenner-Antrieb die blitzartige Umstellung auf dem chinesischen Markt auf E-Mobilität verpasst und die Atempause, die bei einer Wahrnehmung und Bedienung des schnell wachsenden afrikanischen Marktes hätte gewonnen werden können, wurde verschlafen. Angesichts derartiger Beispiele zieht Sieren eine bedrückende Parallele zu der Zeit, als China als Reich der Mitte das Maß aller Dinge zu sein glaubte und keine Impulse mehr registrierte oder aufnahm, die von außen kamen, um danach für lange Zeit brutal unter die Räder zu kommen. Ob der Westen dieses Schicksal teilen wird, steht noch in den Sternen.
Allen, die mehr wissen wollen, als das ideologische Schauermärchen oder herablassende Töne bereits überrollter Wirtschaftsakteure hergeben, sei das Buch dringend ans Herz gelegt! Zukunft? China!*
