Im Jahr 2002 ließ niemand anderes als der damalige Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz, verlauten, es sei wichtig, die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erlangen. Was er damit meinte? Dass Sprache wie Bilder, mit denen der gesellschaftliche Diskurs gestaltet wird, von seiner politischen Strömung beherrscht werden. Damals gab es einen Sturm der Entrüstung, andere wiederum reagierten eher belustigt. Die Reaktionen können als Indiz dafür gesehen werden, dass sie den zeitgenössisch geltenden gesellschaftlichen Konsens zum Ausdruck brachten, dass die politische Willensbildung nicht durch eine bewusste Instrumentalisierung von Sprache und Metaphern bereits im Kindesalter betrieben werden sollte.
Wie so oft ist ein Blick auf diese Episode aus heutiger Sicht allenfalls eine nostalgische Schmonzette. Sprache wie Bilder sind längst eines der wichtigsten Instrumente geworden, mit denen eine politisch herrschende Klasse die Bevölkerung auf allen Kanälen malträtiert. Aus der Lehre von Manipulation und Massenpsychologie weiß man, wie so etwas geht. Ganze Beratungsteams, Denkfabriken und Werbeagenturen sind dabei, die Instrumente der Beeinflussung zu schmieden.
Was darunter gelitten hat, ist eine einigermaßen herrschende Klarheit, um was es im jeweiligen Disput eigentlich geht. Das Wort, das vieles von dem, worunter der Verstand, der nach Interessen und eigenen Grundsätzen handelt in großem Maße leidet, ist der des Narrativs. Wenn man so will, beschreibt der Terminus Narrativ, auf deutsch die Erzählung, genau das, was damals der kecke SPD-Sekretär mit der Lufthoheit gemeint hat. Und für die Infiltration der Kinderbetten sorgen heute die sozialen Medien.
Es ist nicht so, dass sämtliche Begrifflichkeiten, mit denen die Meinungsbombardements derzeit stattfinden, bar jeglichen Sinns sind. Interessant ist nur, dass diejenigen, die sie benutzen, selbst unter die Kategorien fallen, mit denen sie andere schmähen wollen. Es ist ein diabolisches Spiel.
Kluge Autoren haben bereits begonnen, Wörterbücher dieser neuen Form der Propaganda zu erarbeiten und zu publizieren. Manches von dem, was dort zutage tritt, erinnert an Dolf Sternbergers Wörterbuch des Unmenschen, in dem er den Kanon der nationalsozialistischen Begriffe sezierte. Ausgerechnet derjenige, der das Ansinnen politischer Meinungsbeeinflussung mittels der Instrumentalisierung von Sprache thematisiert hatte, wurde zu dem Zeitpunkt Kanzler, als das Projekt in voller Blüte stand. Es zeugt zumindest in diesem Punkt von strategischer Weitsicht.
Dass allerdings der Kanon der durch den zerebralen Fleischwolf gedrehten Begriffe von Populismus, umstrittenen Personen oder Aussagen, vermuteten Täterschaften, Putin-Verstehern, geheiligten Zivilgesellschaften, verschiedensten Phobien, falsch verstandenen Feminismen, Kriegstüchtigkeit, regelbasierter Ordnung und glorreicher Militarisierung etc. von einem Sozialdemokraten als erstrebenswert klassifiziert wurde, dokumentiert die tatsächliche Ferne von dem historischen Kern dieser Partei.
Heute ist aus dieser Partei nichts weiter als ein Partikel in einer Allparteienkoalition geworden, bestehend aus CDU/CSU/SPD/GRÜNE/FDP/LINKE, die programmatisch seit langem in das gleiche Horn bläst und dem Wirtschaftsliberalismus und einem offen imperialistisch agierenden transatlantischen Befehlszentrum folgt. Der Status Quo lässt den Schluss zu, dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde.
Es ist müßig, über diese Entwicklung mit moralischen Kategorien urteilen zu wollen. Es führt zu nichts. Viel wichtiger ist die Frage, wie die desaströsen Resultate, mit denen die Gesellschaft konfrontiert wird, möglichst schnell durch eine Eliminierung der Ursachen minimiert werden können. Klarheit, Souveränität und Konsequenz könnten Begriffe sein, die ein solches Programm auf den Punkt brächten. Sagen, was ist. Entscheiden, was den eigenen Interessen entspricht. Entrümpelung des demagogischen Unrats. Das wäre schon einmal ein Anfang.
