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Archaische Weisheiten und leuchtende Sterne

Wolf Wondraschek, Im Dickicht der Fäuste. Vom Boxen

Im Jahr 2021 wurde ein Buch noch einmal neu aufgelegt, das 2005 erschienen war und bereits zu diesem Zeitpunkt Texte enthielt, die in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden waren und sich mit den Höhen und Tiefen des Profiboxsports befassten. Es handelt sich um Wolf Wondrascheks „Im Dickicht der Fäuste. Vom Boxen.“ Angesichts eines bevorstehenden Boxkampfes, in dem wieder einmal nach einer neuen deutschen Hoffnung im Schwergewicht gesucht werden sollte und für den ich Karten bekommen hatte, nahm ich das Buch in die Hand und wollte mich ein wenig in die richtige Stimmung versetzen.

Und prompt war ich in der Welt der ganz Großen und Illustren, angefangen mit dem außerirdischen, bis heute über allem stehenden Muhammad Ali, The Greatest, über Max Schmeling,  Joe Frazier, The Locomotive, George Foreman, den Prinz von Homburg Norbert Grupe, Axel Schulz, Sir Henry Maske und die Klitschkos. Die Lektüre war eine Reise in die Vergangenheit, als der Boxsport rund um den Globus faszinierte, als er noch seine archaische Magie ausstrahlte und als dort Figuren unterwegs waren, die eine Aura hatten, die weit über den Ring hinausstrahlte.

Wondraschek, der sich immer zu dem Metier bekannte und der auch die Handschuhe anzog, trainierte und sich ab und zu die Lehren holte, was passiert, wenn man die falschen Entscheidungen trifft, Fehler macht oder unaufmerksam ist. Vieles, was in dem Metier, das weit in die Antike zurückreicht, zu erlernen ist, hat der Autor begriffen und unter diesem Licht seine Betrachtungen angestellt. Dass Muhammad Ali einer war, der von einem anderen Stern kam und bis zu seinem tragischen Ende leuchtete, muss man keinem erzählen, der das Boxen schätzt. Dass in dem Metier seit jeher auch geschoben wurde, dass dort die Kriminalität wucherte und das Schicksal derer, die im Ring oder in der Gosse aufschlagen, von keinem beweint wird, ist auch keine Enthüllung, die als Sensation zu werten ist.

Wondrascheks Texte holen den am Boxen interessierten und vom Boxen faszinierten Leser einfach in diese Welt zurück. Eine Welt, in der es Gesetze gibt, die immer wieder gebrochen werden und die immer wieder mit lapidaren Sätzen wie They´ll Never come back oder You ´ll Never know begleitet werden. Wer Schulungsmaterial für das Leben sucht, der ist in diesem Buch richtig, so absurd es für den Außenstehenden klingen mag. Jener legendäre Rumble in The Jungle war so ein Lehrstück, und The Thrilla in Manila auch. Das verstehen aber nur die Eingeweihten, die die Lehrsätze am eigenen Körper erfahren haben. Da entblättert sich Strategie, Technik, situative Schläue, Präzision und Kondition in Bruchteilen von Sekunden, während andere stumpf auf eine plumpe Schlägerei zu schauen glauben.

Das Dickicht der Fäuste ist ein Text für Afficionados, die schon immer begriffen haben, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist und dass die Existenz etwas zu Erkämpfendes ist. Für sie sind diese Texte eine Erfrischung des Herzens, immer noch. Und das woke Gemüse sollte die Finger davon lassen! Acht Unzen! Zwölf Runden! Da geht es um alles!  

Archaische Weisheiten und leuchtende Sterne

Die kränkelnde Blässe der Misanthropie

Die Zeiten, in denen der Dramaturg Heiner Müller zu Protokoll gab, zum Frühstück gebe es bei ihm ein Stück blutiges Fleisch und eine Tasse Benzin und ein Wolf Wondraschek verlauten ließ, der Tag beginne mit eine Schusswunde, ein Eric Burdon sang, er sei mit einer Pistole im Mund aufgewacht und Charles Bukowski der Menschheit bescheinigte, sie hätte einfach nicht das Zeug dazu, etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen und ein Gerhard Zwerenz brüllte, die Erde sei unbewohnbar wie der Mond, diese Zeiten liegen hinter uns. Was in den Ohren heutiger junger Mitbürger klingt wie ein universelles No Go, war damals der Ausdruck eines Lebensgefühls, das die Widrigkeiten der Verhältnisse anerkannte und gleichzeitig ein Trotzdem verlauten ließ. Es war eine lebensbetonte Kampfansage an Herrschaft par excellence, und es verriet eine Phantasie, die ihres gleichen suchte. Für Melancholie, Nostalgie, Lethargie und, nennen wir es beim Namen, blasierte Arroganz, war da kein Raum. Und die Zeiten, in denen diese Atmosphäre herrschte, waren besser. Nicht, weil die Verhältnisse besser waren, sondern weil die Bereitschaft da war, zu verändern und zu gestalten.

Heute sitzen diejenigen, die das kulturelle Schaffen für sich reklamieren, vor ihren sie steuernden Displays, sie folgen einem restringierten Code, der von den Herrschenden zertifiziert wurde und der nur noch suggerieren kann, man sei kreativ. Mental sind wir Zeugen einer pathologischen Passivität geworden, die zu keiner wirklichen, das heißt die Verhältnisse ändernden Vision passt. Die grümpfte Nase ist vielleicht der signifikanteste Gestus, den diese Spezies der Misanthropie noch hervorbringt. Misanthropie deshalb, weil sie ein ungeheures Wissen darüber akkumuliert hat, was Menschen alles falsch, aber nichts darüber verlauten lassen, was sie richtig machen können und müssen, wenn sie die Verhältnisse ändern wollen. Die vielen Fehler lassen nur den Rat zu, alles so zu lassen, wie es ist, oder alles noch schlimmer machen zu sollen, als es sein könnte. Die weit verbreitete Aura unserer Tage, die sich als ein Vorabend erweisen werden, ist die kränkelnde Blässe der Misanthropie.

Was an diesem Vorabend, der Ausdruck einer bevorstehenden neuen Zeit ist, fehlt, was aber kommen muss und kommen wird, dass ist die Ansage mit offenem Visier, das Frühstück mit blutigem Fleisch und Benzin, die Schusswunde im Morgengrauen und die Bereitschaft, das zu sagen, was ist. 

Die kränkelnde Blässe der Misanthropie