Schlagwort-Archive: Wiedervereinigung

Koreanische Wege und deutsche Gedanken

Jetzt heißt es hinschauen. Genau hinschauen! Es geht um die Einheit Koreas. Da wird es spannend. Und da ist es schon seit längerer Zeit spannend, was im einst geteilten Deutschland nicht so richtig begriffen wird. Vielleicht soll es ja auch nicht begriffen werden. Seit langer Zeit gab es Avancen seitens des Nordens, die Frage der Wiedervereinigung zu einer hoch aktuellen zu machen. Der Norden war sich immer der Gefahren bewusst, die die Teilung des Landes mit sich bringt. Da stehen sich zwei Imperien stellvertretend gegenüber. In diesem Fall die Volksrepublik China und die Vereinigten Staaten von Amerika. Beide bis an die Zähne bewaffnet. Seit dem Korea-Krieg von 1950 – 1953, in dem insgesamt vier Millionen Koreaner ihr Leben. bis heute. Sie stehen sich am 38. Breitengrad gegenüber. Verlierer ist das koreanische Volk. Fällt irgend etwas auf?

Deutschland war wegen des gleichen Schicksals der Teilung und vor allem wegen deren Überwindung für Korea immer ein wichtiges Land und Studienobjekt. Deutschland seinerseits hatte, nach der Vereinigung kein Interesse, seine Erfahrungen mit Korea auszutauschen. Noch bei der in diesem Winter in Korea veranstalteten Olympiade sprang ein deutscher Bundespräsident zu nächtlicher Stunde im Deutschen Haus herum und feierte die Medaillen, gab dabei aber Interviews, in denen er die nordkoreanischen Initiativen zur Wiedervereinigung als taktische Manöver charakterisierte. So reden Vasallen ohne Phantasie.

Beim Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel sprach D.T., der gegenwärtige amerikanische Präsident,  davon, dass sich in Korea die amerikanische Politik durchgesetzt habe. Die Kanzlerin pflichtete ihm eifrig bei, was heißt, dass wir in Sachen Korea und bei dem, was sich dort in nächster Zeit tut, heftig zu recherchieren haben, um herauszufinden, was dort tatsächlich passiert. Im Westen laufen jetzt, nachdem überraschenderweise ein erstes Treffen zwischen dem offiziellen Norden und Süden auf koreanischem Boden stattgefunden hat, die Arbeiten an einem weiteren Fake-News-Narrativ. Bleibt abzuwarten, was sich die Feinde von Selbstbestimmung und Autonomie nun einfallen lassen.

Die Initiative in Korea ging jedenfalls eindeutig vom Norden aus. Über die Motive kann spekuliert werden, aber Spekulationen sind das Handwerk anderer. Was besonders interessieren sollte, ist einerseits die Frage, wie sich die beiden lauernden Mächte, China und die USA, dazu verhalten werden und ob sie es noch vermasseln. Und andererseits wird es sehr spannend werden, wie sich zwei Staaten sehr unterschiedlicher Systeme gedenken anzunähern. Wieviel Zeit werden sie sich geben? Werden sie etwas Neues schaffen? Jedenfalls ist es mehr als unwahrscheinlich, dass sich  ein zumindest noch machtpolitisch voll im Saft stehendes Nord-Korea einfach vom Süden eingemeinden lässt. Sicher ist, dass es dort keinen Schäuble geben wird, der mit einem Übernahmevertrag die Sache in wenigen Wochen abwickelt. Im weisen Asien hat man nämlich nach Deutschland geschaut und auch gesehen, was man möglichst vermeiden sollte.

Da wir hierzulande unsere jeweiligen Erfahrungen mit dem Einigungsprozess haben, wird es sehr lehrreich sein, diesen nun beginnenden Prozess in Korea genau zu studieren. Auch dort, wie historisch damals in Deutschland, steht hier zur Debatte, ob eine friedliche Fusion auf einem neuen gesellschaftlichen Konsens möglich sein wird. Das ist spannend. Hochspannend! Dass bis jetzt die mediale Öffentlichkeit darüber berichtet, als ginge es um eine stinkende Müllkippe auf den Philippinen, lässt vermuten, dass großes Unbehagen herrscht bei dem Ausblick, dass die Geschehnisse in Korea hier noch einmal viele Deutsche veranlasste, über ihr Schicksal nachzudenken. 

„Sie hängen halt am Bändel“

Das markanteste Ereignis der letzten Tage hat wieder einmal niemand bemerken wollen. Korea schaut nach Deutschland und Deutschland beschäftigt sich mit dem Irak. Was war geschehen? Die olympischen Winterspiele wurden im nördlichen Teil Südkoreas eröffnet und der Präsident des Nordens schickte seine Schwester dorthin, um das Thema anzusprechen, das Korea seit dem Krieg im Jahre 1953 quält: die Teilung des Landes. Korea ist so geteilt wie einst Deutschland, und das seit mehr als sechzig Jahren. Und da Deutschland diese Erfahrung auch hat und da es Deutschland mit der wohlwollenden Unterstützung der damaligen Sowjetunion und der USA gelungen ist, sich wieder zu vereinen, gerade deshalb wünschen sich viele Koreaner, in Nord wie Süd, dass sich die Deutschen mehr mit ihnen beschäftigten und sich für eine Wiedervereinigung einsetzten. Das tun sie aber nicht. Warum auch? Und was der deutsche Präsident, der anlässlich der Olympia-Eröffnung dort war, dazu sagte, war der Kommentar eines im Käfig gehaltenen Papageien: es hängt nicht von Korea, sondern von den großen Mächten USA, China und Russland ab. Ein konstruktiver Rat und Empathie sehen anders aus.

Unter dem Aspekt der Aufhebung der Teilung des Landes muss man der nordkoreanischen Seite mehr Initiative und mehr Souveränität unterstellen als dem Süden. Die Raketenversuche, um Nordkorea als Atommacht zu etablieren, sind anlässlich der tatsächlichen Erprobung besserer Chinaböller, was übrigens auch die USA, China und Russland wissen, ein Zeichen, dass man sich auch mit den Großen anlegen will, um die Interessen des Landes bekannt zu machen und durchzusetzen. Das ist ein Zeichen politischen Willens, der leider im Süden fehlt. Dort reagierte man auf das Angebot zu einer Wiedervereinigungsinitiative ähnlich wie der deutsche Bundespräsident. Es hänge, so Moon, von den USA ab. Das wurde hier im deutschen Fernsehen als diplomatische Antwort verkauft. So reden Vasallen.

Und diese Vasallen ihrerseits spielen sich lieber im Irak auf, wie die noch amtierende und in der zukünftigen großen Koalition wieder gesetzte v.d.Leyen. Die kündigte auf einer Reise dorthin an, nach dem Sieg über den IS könne die dort eingesetzte Bundeswehr ihre Taktik ändern und dabei helfen zu verhindern, dass der Irak auseinander falle. Einmal abgesehen, dass die Bezwingung des IS hauptsächlich durch russische Streitkräfte vollzogen wurde, stellt sich die Frage, wie das gehen soll? Das sagte Kriegsministerin (um Verteidigung geht es offensichtlich nicht) zwar nicht, vor allem mit einer Operettenarmee, die mit ihrem politischen Personal danach zu lechzen scheint, endlich einmal wieder unmittelbar zu erfahren, was eine komplette militärische Niederlage ist. Wer das nicht will, schaut sich die Dokumente zu Stalingrad an, aber manche wollen eben. Und sie scheinen zu wollen, weil die USA das so wollen.

„Was regst du dich auf, sie hängen halt am Bändel“, meinte dazu mein Zeitungshändler. Und damit brachte er zum Ausdruck, was viele durchschaut haben, aber die Akteure, die da unterwegs sind, glauben, dass die Massen glauben, was sie glauben gemacht werden sollen. Das ist vielleicht der große Irrtum unserer Zeit. Und das Misstrauen, das allenthalben gegenüber den politischen Akteuren entsteht, ist ein Prozess der Erkenntnis. Es wird erkannt, dass da in vielen Fällen Sprechblasen unterwegs sind, die nicht getreu ihres Mandats handeln, sondern auf Geheiß anderer Mächte. Und ich danke noch einmal meinen Zeitungshändler: „Was soll das Gekeife gegen den Trump, wenn sie hinterher, in der praktischen Politik, doch machen, was er will?“

Silberhochzeit

Die Feiern, so wie sie abgehalten werden, machen deutlich, dass die Kernfrage, um die es geht, nicht angekommen ist. Sich in Reminiszenzen zu wälzen ist nett, den Fortschritt zu preisen ist schön, aber die Frage nach dem Sinn zu stellen ist schwierig. Der größte Irrtum in Bezug auf die deutsche Einheit ist denn auch heute, zur Silberhochzeit, das zentrale Thema. Die Unterschiede zwischen Ost und West. Es wird immer beklagt, sie existierten noch, womit nur die Einkommensverhältnisse gemeint sein können, aber, so die Hoffnung, bald sei das Vergangenheit. Gut, aber dann? Die Eigenheiten und Unterschiede der einzelnen Teile sind der Reichtum, das sollte festgehalten werden, auch wenn es erstaunt, dass es bemerkt werden muss. Eine Vorstellung über Wesen und Charakter eines geeinten Deutschlands herrscht nicht. Schlimmer, diese Frage wagt niemand zu stellen, weil die zeitgenössische absolutistische Ideologie diejenigen, die das täten, gleich in eine extremistische Ecke stellten.

Die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten folgte der westdeutschen Regie. Westdeutschland, oder die alte BRD, hatte keine Vorstellung von der Rolle eines geeinten Deutschland im internationalen Kontext. Ostdeutschland noch weniger. Die westdeutsche Regie führte zu einer sehr schnellen Herstellung eines gemeinsamen, funktionierenden Staates, der sich vor allem um die ökonomische Entwicklung kümmern konnte. Die damaligen Akteure wussten, wie riskant ein eigenes nationales Profil gewesen wäre, waren doch die Bedenken in Sachen Wiedervereinigung in der westlichen Hemisphäre größer als im Osten. Dass sie es deshalb unterließen, an einem Prozess an einer nationalen Vision arbeiten zu lassen, hatte verschiedene Gründe, war aber kein Verdienst.

Eine Nation ist mehr als ein Staat. Eine Nation hat zwei Dinge, die weit über die staatliche Funktionalität hinaus gehen, die Sprache wie die Geschichte. Aus ihnen heraus leitet sich ein kollektives Gedächtnis ab, das aus schmerzhaften Lernprozessen und besonderen Fähigkeiten eine Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft generieren kann. Nur muss diese Frage gestellt werden. Da allerdings das oft zitierte gemeinsame Haus im Westen stand, war es schwer, die Frage zu stellen, ohne sofortige Reibung in den eigenen Bündnissen zu erzeugen. Das aus den USA angekündigte Zeitalter vom Ende der Geschichte wie der Taumel, in dem sich die Europäische Union aufgrund wirtschaftlicher Erfolge befand, führten zu der Wunschvorstellung, die sich als Illusion herausstellte, das Stadium nationaler Selbstbestimmung sei im Zeitalter der Globalisierung längt überwunden. Ideologisch eskortiert wurde dieser Trugschluss von den Zirkusnummern eines neuen Mittelstandes, der an Feiertagen an den Rechauds eines multikulturellen Büffets anstand und glaubte, es handele sich um ein reales Abbild der Welt.

Die gegenwärtige Krise der EU führt zu unterschiedlichen Schlüssen. Seltsamerweise bestärken die meisten dieser Schlüsse nur die Ursachen der Krise. Weder wird von der wirtschaftsliberalistischen, privatistischen Ideologie, die den Einfluss der Politik zurückdrängt, Abstand genommen noch die Forderung fallen gelassen, die Organe der EU zu stärken, anstatt die nationalen Verfassungsorgane zu stärken. Dass das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land Europas, die Bundesrepublik Deutschland, diese riskante und destruktive Politik maßgeblich inszeniert, ist das Dramatische, ja Monströse an dieser Entwicklung. Und dass die Bevölkerung dieser Inszenierung individueller Bereicherung und der Übergabe nationaler Souveränität an ein Netzwerk kaum noch identifizierbarer Bürokratien zusieht, liegt nicht nur, aber in starkem Maße auch daran, dass sie keine Vorstellung darüber entwickelt hat, was das Land, in dem sie lebt, für einen Charakter haben soll. Diese Vorstellung muss entwickelt werden, und jede Stunde, die verstreicht, spielt denen in die Hände, die jetzt schon Antworten haben, die uns nicht gefallen werden.