Schlagwort-Archive: westfalian Order

G 7: Kriegsrat im Friedenssaal

Seit dem Amtsantritt der Außenministerin wurde von vielen Seiten über ihre eigene Formulierung gespottet, sie käme aus dem Völkerrecht. Die Kritik bezog sich sowohl auf den undurchsichtigen Studienabschluss als auch auf die zweifelhafte, weil auf Doppelstandards basierende Auslegung des Völkerrechts durch die Ministerin. Nun, nach einem Jahr der Amtsführung, muss festgestellt werden, dass die Polemik berechtigt war. Zudem ist festzuhalten, dass ihr Verständnis des Völkerrechts Zweifel darüber zulässt, ob sie es überhaupt verstanden hat. Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch unerheblich, denn entscheidend ist immer, was als praktische Folge des Handelns bleibt.

Als diesjährige Gastgebein des G 7-Gipfels hat die Außenministerin nun die Stadt Münster mit dem expliziten Verweis auf den dortigen Friedenssaal ausgewählt. Dort wurde, nach zweijährigen zähen Verhandlungen, der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) zu einem Ende gebracht. Nachdem sich die europäischen Großmächte und unzählige Kleinstaaten in ständig wechselnden Koalitionen und unter unterschiedlichen Motiven in einem immer wieder aufflackernden und brutal geführten Krieg kollektiv herunter gewirtschaftet hatten, beschloss man etwas, das sich hinterher in der internationalen Literatur als die Westfälische Ordnung etabliert hatte. Waren die Motive für den europäischen Krieg geprägt von imperialen, wirtschaftlichen, religiösen und ethnischen Aspekten, so beschloss man, in Zukunft miteinander umzugehen nach den Prinzipien der Nichteinmischung aus eben diesen Erkenntnissen. The Westfalian Order hieß, sich auf Augenhöhe als ebenbürtige Verhandlungspartner zu begegnen und sich nicht in die jeweils inneren Angelegenheiten der anderen Parteien einzumischen. Damit war der Grundstein der modernen Diplomatie und des Völkerrechts gelegt. 

Aus heutiger Sicht kann bestätigt werden, dass trotz zweier Weltkriege und den damit verbundenen Verheerungen die Prinzipien des aus dem Westfälischen Frieden resultierenden Völkerrechts zumindest normativ bis zum Ende des Kalten Krieges 1989/90 Bestand hatten und seitdem nicht mehr geachtet wurden. Die Zustände, die den Dreißigjährigen Krieg so in die Länge gezogen hatten, wurden Stück für Stück wieder zurückgeholt. Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor allem von Staaten mit anderen Interessen wurden zur Normalität, die wahllose Adaption von Gesprächspartnern, die nach eigenen Interessen willkürliche Anerkennung von „legitimen“ Vertretern, die rhetorische Etablierung doppelter Standards und die Liquidierung einer stillen, hinter den Kulissen arbeitenden Diplomatie sind das Werk einer gesinnungsethischen Auffassung von Politik.

Dass Deutschland und seine vor Gesinnungsethik strotzende Außenministerin nun als Gastgeber des G 7-Gipfels ausgerechnet den Ort des Westfälischen Friedens ausgewählt hat, dokumentiert den politischen Zustand des Gastgeberlandes sehr gut, mehr aber auch nicht. Die Agenda, die beladen ist mit Themen wie der militärischen Unterstützung der Ukraine, mit Sanktionsvorhaben gegen den Iran und mit einer mentalen Mobilmachung gegen China würde sich eignen für die Wolfsschanze (eine Leserin schlug bereits den Berliner Sportpalast vor!) aber nicht für den Friedenssaal zu Münster. Nähme man die historische Vorlage ernst, so würde man sich dort treffen, um über Initiativen zu beraten, wie mit diplomatischen und friedlichen Mitteln heiße Kriege zu beenden und weitere kalte Kriege zu vermeiden sind.

Davon ist in den vorbereitenden Einlassungen der Gastgeberin nichts zu lesen. Ganz im Gegenteil, sie verfestigt das Bild einer eingeschworenen Militaristin, einer Produzentin von Feindbildern, einer Verharmlosung krimineller Taten von Partnern aus der eigenen politischen Allianz und einer das Völkerrecht mit jeder Handlung missachtenden Politikerin. Die Zeitenwende hat tatsächlich stattgefunden: Deutschland lädt ein zum Kriegsrat im Friedenssaal. 

Die Doppelmoral ist der Todfeind des Völkerrechts

Und wieder einmal ist das Spiel gespielt. Diesmal in Weißrussland. Und wieder einmal hat sich, sofern von klar umrissenen Lagern noch gesprochen werden kann, die eine Seite echauffiert und davon gesprochen, dass das Völkerrecht gebrochen worden ist. Und wieder einmal wurden denen, die jetzt entsetzt sind, die Fälle vorgehalten, bei denen man es im eigenen Ressort nicht so ernst mit dem Völkerrecht genommen hat. Und wieder einmal muss konzediert werden, dass beide Seiten mit Vorwürfen wie Erwiderungen nicht  falsch liegen. Was bei diesem Spiel als ein ramponierter Fetzen auf dem Tisch liegen bleibt, ist das Völkerrecht selbst. Es stellt sich die berechtigte Frage, welchen Wert ein Kodex noch hat, wenn er exklusiv nur noch als Anklagedokument gegen vermeintliche politische Gegner taugt, allerdings beim eigenen Handeln ignoriert wird wie eine lässliche Vorschrift. Die Lage ist desolat, und sie erinnert an eine Epoche, als alle möglichen Motive die Akteure dazu veranlasste, zu machen, was sie wollten, ohne Rücksicht auf Verluste, vor allem was den internationalen Kontext betrifft.

Die Blaupause, die dafür sorgte, dass sich so etwas wie das Völkerrecht entwickeln konnte und eine bedeutende Bindungswirkung erreichte, war der Westfälische Frieden. Der Kontrakt, der nach mehr als zweijährigen Verhandlungen von allen Beteiligten ratifiziert wurde, war das Endprodukt des Dreißigjährigen Krieges. Er hatte Zentraleuropa in einen Schutthaufen verwandelt und war das Endresultat für das, was man treffend als einen rechtlosen Zustand bezeichnen kann. Die Gunst der Stunde im Jahr 1648 war dem Umstand geschuldet, dass alle Beteiligten aufgrund eines endlos erscheinenden Krieges mit ihrer Moral und ihren Ressourcen am Boden lagen. Allein aus diesem Sachverhalt resultierte die Vernunft, sich darauf zu verständigen, dass in Zukunft das Interagieren von Staaten von der Tatsache auszugehen hatte, dass es so etwas gab wie eine politische, religiöse und kulturelle Autonomie, die von allen Seiten zu akzeptieren war und dass folglich keine Ursachen für kriegerische Handlungen aufgrund der inneren Zustände und Befindlichkeiten bei anderen Staaten zu suchen seien. Diese Einsicht kann als die Sternstunde der modernen Diplomatie bezeichnet werden.

Die Geschichte hat gelehrt, dass auch diese Erkenntnis immer wieder in den Hintergrund trat und dass Kriege, die noch verheerender waren als der Dreißigjährige Krieg, vor allem der I. und  der II. Weltkrieg, in ihrer Entstehung vor allem deshalb auf die Katastrophe zusteuerten, weil das Prinzip der Gleichbehandlung und Autonomie zwischen existierenden Staaten missachtet wurde. Am Ende dieser Verheerungen stand das Völkerrecht, wie es heute gilt und nun von neuem immer wieder ignoriert wird. 

Angesichts der historischen Folie lässt sich ablesen, wohin dieses Spiel führen muss, wenn es weiter gespielt wird. Das Ende des Völkerrechts ist der Anfang vom Krieg. Und so, wie es aussieht, sind die handelnden Akteure sich dessen entweder nicht bewusst oder sie nehmen diesen Fall gar in Kauf. Das klingt dramatisch und das ist dramatisch. 

Gestern, im deutschen Bundestag, war es immerhin ein Abgeordneter, der auf diese Misere hinwies und, ohne sich auf die eine oder andere Schuldzuweisung einzulassen, dafür warb, an einem politischen Konzept zu arbeiten, das das Völkerrecht in seiner internationalen Akzeptanz wiederherzustellen in der Lage ist. Der Ruf ging unter im Chor derer, die nach Vergeltung riefen und dabei vergaßen, dass das eigene Handeln nicht immer frei von Schuld ist. 

Die Doppelmoral ist der Todfeind des Völkerrechts. Sie zu brechen, ist die erste und dringlichste Aufgabe.   

Hegemonen, Warlords und religiöse Eiferer

Herfried Münkler. Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, Deutsches Trauma 1618 – 1648

In einer Zeit, die geprägt ist von einer medialen Berichterstattung, die sich nicht mehr auf das Feld der Geschichte bezieht oder schlichtweg keine Kenntnis davon hat und in der die kriegerischen Formen vor allem im Nahen Osten das vermitteln, was als große Übersichtlichkeit beschrieben werden kann, in einer solchen Zeit drängt es sich geradezu auf, sich mit dem Dreißigjährigen Krieg   von 1618 – 1648 zu befassen. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat das gemacht. Es ist deshalb besonders erwähnenswert, weil er als Politologe sich nicht nur mit der Rekonstruktion historischer Fakten und der Chronologie der Ereignisse befasst, sondern vor allem die soziologischen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Handlungsmuster und Strukturen unter die Lupe nimmt und sie als Folie anbietet, auch Phänomene der Gegenwart damit abzugleichen.

So ausführlich wie erforderlich wird zunächst das Geschehen und seine Protagonisten dargestellt. In der sachlichen Art und Weise und der distanzierten Berichterstattung bietet sich ein Bild, das das ganze Panorama dieses gewaltigen Krieges und seiner Konsequenzen erfasst. Alles, was irgendwo in der Erinnerung des kollektiven Gedächtnisses abgespeichert ist, erscheint in diesem Panorama: der Prager Fenstersturz, der Aufstieg und die Ermordung Wallensteins, die erfolgreichen Feldzüge und der Tod des Schwedenkönigs Gustav Adolf, Tillys Siege und Niederlagen, die grausame Zerstörung Magdeburgs, der pfälzischen König ohne Land, der Diplomat Richelieu, die marodierenden Soldaten und die geschändeten Bauern. 

Nichts bleibt aus und das gezeichnete Panorama macht deutlich, welche Auswirkungen eine derartige Kriegsführung auf das Kernterritorium und seine Bevölkerung ausgeübt haben mag und im Unbewussten noch ausübt. Deshalb ist der gewählte Titel von europäischer Katastrophe und deutschem Trauma treffend. 

Münkler macht in seiner Analyse deutlich, welches Amalgam von Motiven zu dem Krieg in seiner Komplexität und nicht enden wollenden Energie geführt hat. So spielten hegemoniale Motive eine gewaltige Rolle, die immer, wenn es passte, mit religiösen angereichert wurden. Zudem herrschte eine Eigendynamik durch die vor allem von Warlords gestellten Heere, denen es vor allem auf Sold und Karriere ankam und die, nach Niederlagen, problemlos in die Verbände des obsiegenden Feindes eingegliedert werden konnten. So standen sich das katholische Habsburg und, nach einem misslungenen Versuch durch Dänemark, das protestantische Schweden gegenüber. Die Kurfürsten verfolgten ihre Ihre eigenen Interessen und sie waren mal dem Katholizismus und mal dem Protestantismus zuzuordnen. Herausragende Kräfte mit einer starken Eigendynamik waren Bayern einerseits und Sachsen andererseits.

Dann spielte der spanisch-niederländische Krieg eine Rolle und es kamen die Interessen Frankreichs hinzu. Jedes Scharmützel auf deutschem Territorium bot Implikationen für das zu einem internationalen Konflikt ausgeweiteten Geschehen. Was Münkler gelingt, ist eine strukturelle Analyse des Geschehens in seiner Vielschichtigkeit. Positiv hinzu kommt, dass er sich nicht dazu hinreißen lässt, die heutige Lage im Vorderen Orient komplett mit der des Dreißigjährigen Krieges zu vergleichen. Wo es Analogien, zeigt er diese jedoch auf. In diesem Kontext zitiert er Ernst Blochs These von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, was als gedanklicher Hinweis sehr nützlich ist. 

Der Westfälische Frieden, mit dem der Dreißigjährige Krieg beendet wurde, wurde vor allem in der amerikanischen Literatur als „Westfalian Order“ beschrieben und markiert einen Punkt in der Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen und der Disziplin, die sie gestaltet, der Diplomatie. Spätestens seit Henry Kissinger’s Buch „World Order“ wird darüber gesprochen, diese Zeit sei nun vorüber. Damit ist gemeint, dass sich in dem Dokument zu Münster alle Seiten darauf verständigten, religiöse Fragen beim Umgang miteinander außen vor zu lassen und sich auf etwas zu einigen, was heute als das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Gegenübers beschrieben werden kann. Ein Blick in die täglichen Nachrichten vermittelt ein Bild darüber, wie es sich damit verhält.

Eine andere Schlussfolgerung des Jahrzehnte langen Krieges war die Monopolisierung und staatliche Unterhaltung der Heere und das damit verbundene Geschäftsmodell der Warlords. Auch das hat sich geändert und unter diesem Aspekt sind die gegenwärtigen Konflikte in der Welt um ein wesentliches, kaum politisch rationalisierterer Motiv angereichert.

Die hegemonialen Interessen sind nach dem Westfälischen Frieden nicht verschwunden. Aber die religiösen und weltanschaulichen Motive wurden domestiziert und die Söldnerheere eliminiert. Gegenwärtig sind alle drei Faktoren wieder im Spiel.