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Die profane Geburt einer Weltmacht

Gore Vidal, Washington D.C.

Literatur, die sich daran wagt, einer bestimmten Epoche ihre Signatur zu verleihen, lebt immer gefährlich. Denn nichts ist vergänglicher als der Geist ihrer Epoche und nichts unterliegt dem gleichen Wandel wie der Geist, in dem sie interpretiert wird. Wagt sich ein Romancier gar an die Verarbeitung ganzer Jahrhunderte, dann unterliegt er in der Regel einem extremen Sendungsbewusstsein oder er ist einfach ein Spieler und Enfant terrible, das die Vergänglichkeit nicht fürchtet. Umso dankbarer muss die Nachwelt sein, wenn es derartige Charaktere gibt. Denn die mit dem Sendungsbewusstsein sind zumeist Produzenten schlechter Literatur. Nur die mit der Spielermentalität haben das Potenzial, sich nicht um die Wirkung auf die Nachwelt zu scheren und vermitteln eine Authentizität, die in der Lage ist, zu berauschen.

Der 1925 in West Point geborene Gore Vidal hat durch sein gesamtes Schaffen wie seine Biographie bewiesen, wie gleichgültig ihm das Denken der Nachwelt sein wird. Mit unverhohlener Schadenfreude hat er sich der Entzauberung der amerikanischen Welt verschrieben, ohne in die billigen Sphären der Trivialität abgeglitten zu sein. Mit seinen Narratives Of Empire ist er der epische Chronist der Vereinigten Staaten von Amerika geworden. Mi insgesamt sieben Romanen hat er die Geschichte der USA von ihren Gründungsmythen bis zur Dominanz der Weltmacht in Folge des ii. Weltkrieges beschrieben und dabei nicht nur entzaubert, sondern auch erklärt und mit klandestiner Empathie humanisiert.

Der vorliegende Roman, Washington D.C., zwischen 1962 und 1966 geschrieben und 1967 zum ersten Mal veröffentlicht, ist der vorletzte Band der Narratives Of Empire und bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 1937 und die frühen fünfziger Jahre. Beschrieben wird die Hauptstadt der USA, die mehr einem Relikt der beschaulichen und provinziellen Südstaaten-Grandezza ähnelt als einer Metropole. Die politischen Figuren sind von Machthunger und Ehrgeiz getrieben und ihre Vorgehensweise, vor allem in der Konkurrenz zueinander, ähnelt einem Schachspiel mit unerlaubten Mitteln. Zwar spielen die tatsächlich historischen Figuren wie die Präsidenten Roosevelt und später Truman eine Rolle und auch an den konkreten historischen Ereignissen wie dem Desaster von Pearl Harbour, der Bombardierung deutscher Großstädte und dem Korea Krieg mangelt es nicht. Aber die Handlung, die sich hinter der historischen Faktizität vollzieht, die aber die Entscheidungsprozesse beeinflusst, die das machen, was Geschichte genannt wird, diese Handlung ist eher banal und provinziell.

Gore Vidal gelingt es, gleich einem bürgerlichen Bildungsroman ein Arrangement von Figuren zu entwerfen, die das Spiel der menschlichen Gesellschaft in ihrer Individualität, mit allen Stärken, Fehlern und Brüchen glaubhaft und verständlich machen. Vom Vollblutpolitiker bis zum Medienzar, von der reichen Tochter, die an Wohlstandsverwahrlosung leidet bis zum homosexuellen Journalisten, vom loyalen schwarzen Chauffeur bis zum Kriegsversehrten, der zum Kommunisten mutierte, von den Damen der Partygesellschaft bis zu korrupten Unternehmern sind alle Elemente versammelt, die den Gärungsprozess von Politik ausmachen.

Die Handlungsstränge, die Vidal in der Erzählung gekonnt miteinander verknüpft erzeugen den Wunsch, von diesen Geschichten nicht mehr loszulassen und vermitteln die Erkenntnis, dass die große Geschichte ohne diese nichtigen kleinen nicht gedacht werden kann. Umso erschreckender ist es zu erkennen, dass sich hinter dieser menschlichen Tragödie, die sich hinter allen Geschichten verbirgt das Scheitern aller die einzige Gemeinsamkeit der Protagonisten zu sein scheint. Und das vor dem Hintergrund, dass die USA genau zu dieser Zeit und von dieser Stadt Washington aus zu der bedeutenden Weltmacht des XX. Jahrhunderts wurde. einer der Protagonisten bringt es auf den Punkt: Aus dem Blickwinkel der Oberschicht ist Politik nichts anderes als Improvisation von Individuen, während man unten glaube, Politik folge elaborierten Konzepten. Das ist große Literatur!

Konsequent wie unbeugsam

Christopher Hitchens. The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen

Christopher Hitchens, kurz The Hitch genannt, galt sowohl in seinem Heimatland Großbritannien als auch seiner späteren Wahlheimat, den USA, als einer der bissigsten und unbequemsten Journalisten. In Deutschland wurde er erst spät aufgrund seiner wüsten, unerbittlichen Religionskritik zur Kenntnis genommen, welche in dem Buch Der Herr ist kein Hirte (2007) Ausdruck fand. Noch bevor bei streitbaren und strittigen Journalisten Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, schrieb er seine Memoiren unter dem Titel The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen. Im Jahr 2011, ein Jahr nach Erscheinen der Erstausgabe, verstarb der Autor 61jährig in Texas.

Die vorliegende Autobiographie ist für einen Deutschen Leser vor allem interessant, weil es durchweg um Politik geht, die von ihrer Wirkung auch in Deutschland eine große Rolle gespielt hat, in Großbritannien und den USA aber ganz anders diskutiert wurde. Neben der beeindruckenden Schilderung über seine frühe Sozialisation, die in einer Navy-Familie mit post-kolonialem Aroma stattfand und sich dann auf Schulen in Cambridge und einem Studium in Oxford fortsetzte, ist überaus aufschlussreich, wie sich der junge Hitchens aufgrund seines Gerechtigkeitsgefühls und seiner Kriegsgegnerschaft zu einem Trotzkisten entwickelte und aus dieser revolutionären Attitüde heraus journalistisch zu arbeiten begann.

Das Wertvollle an dem vorliegenden Buch ist die undogmatische und tabulose Herangehensweise an das Zeitgeschehen und die Vermittlung profunder Erkenntnisse in nahezu lakonischen Sätzen. Wenn Hitchens schreibt, irgendwann Ende der siebziger Jahre sei ihm aufgefallen, dass Diskussionsredner plötzlich begannen, ihrer Rede einen Exkurs über ihre Gruppenzugehörigkeit vorauszuschicken und daraus allein schon Legitimation und Verdienst ableiteten, dann ist das nahezu eine seismographische Beobachtungsgabe, die die Abkoppelung des Leistungsgedankens von der politischen Legitimation in den spätkapitalistischen Gesellschaften zum Gegenstand hat. Hitchens beschreibt sehr eindrucksvoll, wie ihm die Entwicklung in Großbritannien den Garaus gemacht hat und letztendlich welche Motive es waren, die ihn veranlassten, seiner von Margaret Thatcher kontaminierten Heimat den Rücken zuzukehren und in die USA zu emigrieren.

Doch auch dort blieb er der Kritiker und der Engagierte. Vor allem sein bedingungsloses Eintreten für Salman Rushdie, dem von der iranischen Fatwa bedrohten britischen Schriftsteller, ist ein Lehrstück über die Doppeldeutigkeit und, wenn man so will, Verlogenheit der Politik im Westen. Hitchens zeichnet unbarmherzig die Linien des Opportunismus und der Kälte, die letztendlich die Schwäche der westlichen Demokratien zunehmend hervortreten lassen. Die Inkonsequenz im Prinzip als die opportunistische Variante eines um sich greifenden Populismus ist es, die Hitchens immer wieder analysiert und anklagt.

Und richtig böse wird es in Bezug auf die Politik im Nahen Osten, vor allem den Irak. Hitchens, der selbst oft dorthin reiste und das Land des Saddam Hussein bereits in Zeiten kannte, als der Diktator noch als Verbündeter des Westens galt, rechnet sowohl mit der amerikanischen Bündnispolitik als auch mit der Linken ab, die sich später so vehement gegen den Irak-Krieg wandte. Man stelle sich vor, so schreibt er, in London hätten eine Millionen liberale und humanistische Leute aus pazifistischen Motiven gegen den Krieg gegen den Faschismus demonstriert. Hitchens nennt unzählige Beispiele, um das Grausame und Faschistoide der Hussein-Herrschaft zu illustrieren. Er plädiert für den Krieg, ohne das Schmerzhafte in seinem eigenen Erkenntnisprozess auszusparen.

Hitchens Buch ist in allen historischen Fällen, die es schildert, konsequent wie unbequem. Das sind Eigenschaften, die wir uns für Journalisten so sehr wünschen. Schade, dass The Hitch nicht mehr schreiben wird! Um sehr mehr ein Argument dafür, das zu lesen, was er geschrieben hat!