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Losverfahren als Urform der Demokratie
David van Reybrouck, Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist
Nahezu eingestanzt in das Bewusstsein der zeitgenössischen Betrachtung ist der Glaube, dass es sich bei Wahlen um die Urform der Demokratie an sich handelt. Es hat lange und einer immer weiter anschwellenden Krise gebraucht, die unter dem Namen Demokratiemüdigkeitssydrom die Runde macht, dass sich Unzufriedene mit den gegenwärtigen Zuständen die Mühe gemacht haben, der Sache mit den Wahlen auf den Grund zu gehen. Der belgische Autor David van Reybrouck hat dieses in seinem Buch „Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“ getan. Aber eins nach dem anderen.
In seiner Analyse beschreibt van Reybrouck zunächst das erwähnte Demokratiemüdigkeitssyndrom. Die beiden Referenzgrößen, die das Problem in Kern treffen, sind Legitimität und Effizienz. Einerseits wächst die Klage über eine durch Wahlen immer wieder bestätigte politische Klasse, die sich von den Lebensbedingungen der Bevölkerung entfernt hat und die nicht mehr mit dem Volk und für das Volk agiert, sondern eigenen, anderen Bedürfnissen verpflichtet ist. Und andererseits sind die im elektoral-repräsentativen System etablierten Prozeduren zu lang und zu kompliziert, als dass noch von einer den Erfordernissen entsprechenden Effizienz gesprochen werden könnte.
Der Autor wirft einen Blick auf die athenische Genese der Demokratie und legt offen, dass Wahlen immer ein Privileg der Aristokratie waren, Losverfahren jedoch die Garantie der tatsächlichen Beteiligung und Steuerung ausmachten. Die Zeit, in denen ausgeloste Bürger sich zu politischen Entscheidungen berieten, waren zeitlich limitiert und nach Beschlussfassung konsequent beendet. Aristoteles fasste das Verfahren als ein Synonym für die Freiheit auf, nämlich beides zu erfahren, zu regieren und regiert zu werden.
Die beiden Blaupausen der westlichen modernen Demokratie, die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika und die Französische Revolution, blieben, analog zur athenischen nur bestimmten Klassen und Rassen vorbehalten. Darin sieht van Reybrouck den Grund für die Abschaffung der Losverfahren, des aleatorischen Prinzips, und die Adaption des aristokratischen Prinzips von Wahlen. Fortan gelten Wahlen als das Synonym für Demokratie, was nicht der Genese des politischen Systems entspricht und nun immer offensichtlicher in legitimatorischer wie effizienter Weise scheitert.
In einem weiteren Teil führt van Reybrouck aus, wie sich seit der Jahrtausendwende zunehmend der Gedanke an Losverfahren wieder Gehör verschafft und wo an welchen Stellen damit experimentiert wird. All jenen, die wie die Kaninchen vor der Schlange gebannt auf die turnusmäßigen Wahlen starren, mag es entgangen sein, aber die Krise des Systems öffnet der direkten Beteiligung zunehmend die Türen. Beispiele aus den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Kanada und den USA belegen, dass der Gedanke der durch Losverfahren erstellte Gremien zur politischen Entscheidungsfindung unter den unterschiedlichsten Bezeichnungen zu einer markanten Bewegung geführt haben. In ihnen liegt die Chance einer notwendigen, einer lebensnotwendigen Erneuerung des politischen Systems.
Van Reybroucks Buch ist aufklärerisch und inspirierend zugleich und es weist darauf hin, dass Demokratie heißt, gemeinsam über die Zukunft zu beraten und nicht, sich gegenseitig einen Kampf um Ressourcen zu liefern und im Status Quo zu verharren.
- Herausgeber : Wallstein; 1. Edition (1. August 2016)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 200 Seiten
- ISBN-10 : 3835318713
- ISBN-13 : 978-3835318717
- Abmessungen : 12.4 x 2 x 21.1 cm
