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EU: Bizarre Nummer

Einmal ehrlich: Da treffen sich die Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und verhandeln bis in die Nächte mit dem britischen Premier, damit der mit sichtbaren Zugeständnissen zurück auf die Insel reisen kann, um den Skeptikern daheim zu demonstrieren, dass sich die Mitgliedschaft auch weiterhin lohnt. Der Apparat der Organisation läuft auf Hochtouren, der dazugehörige Journalismus auch und es ist ein tatsächlicher Ernstfall, wie er immer wieder einmal vorkommt. In Brüssel. Dieser Ernstfall sagt allerdings mehr aus über die Befindlichkeit des Bündnisses und einige seiner Mitglieder als über den Zustand Europas. Letzteres ist und bleibt ein rein geographisches Gebilde mit unterschiedlichen Staaten, die nach wie vor unterschiedliche Interessen haben. Gemeinsame Ideale scheinen eine kurze Episode gewesen zu sein, sie wurden nur so lange bemüht, wie es um einen gemeinsamen Markt ging. Die Dominanz auf diesem Markt schloss sehr schnell Gemeinsamkeiten aus.

In Großbritannien hat sich sehr viel getan in den letzten siebzig Jahren. Von der einstigen Weltmacht, in der nie die Sonne unterging stürzte dieses Land politisch ab zu einem Vorposten US-amerikanischer Interessen und wirtschaftlich zu einer Güterproduktion, die nie über die Manufaktur herausreichte. Als dieses erkannt wurde, schloss man alle Stätten der Wertschöpfung mit brutaler Konsequenz und schickte die historische Arbeiterklasse in Millionenzahl in die verwaltete Untätigkeit. Gleichzeitig wurde London zu einem Eldorado der globalen Finanzspekulation ausgebaut, das wirkt wie eine Raumstation auf einem zunehmen unwirtlicheren Planeten. In diesem Kontext wird Großbritannien keine großartigen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Schübe mehr zustande bringen und notwendige Alimentationen seitens der EU für eine weitere Privatisierungswelle gerne entgegen nehmen wollen.

Das, was seitens der nocturnen EU-Verhandler als sich sehen lassender Erfolg gefeiert wird, steht wahrscheinlich monetär in keinem Verhältnis zu dem betriebenen Aufwand. Allein das Beispiel, dass EU-Bürger, die in Großbritannien leben, in Zukunft vier Jahre auf Sozialleistungen warten müssen, ist mit einem Rechtsbegriff, der auf Gleichheit beruht, nicht vereinbar. Wie viele davon betroffen sind und was das unter dem Strich an britischen Staatsrevenuen ausmacht, ist abzuwarten. Ähnlich die ebenso gefeierte Regelung, dass das Kindergeld, das EU-Bürger in Großbritannien erhalten sollen, sich an den Maßstäben ihres Heimatlandes bemessen soll. Zudem handelt es sich um eine rein symbolische Handlung.

Wenn die symbolische Handlung allerdings darin besteht, es Großbritannien schmackhaft zu machen, in der EU zu bleiben, wenn man ihm erlaubt, Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Ländern schlechter zu behandeln als die eigenen, dann ist das Signal fatal. Der pädagogische Inhalt dieser schlechthin als bizarre Nummer zu bezeichnenden Aktion ist die Erkenntnis, dass die EU ein Laden ist, in dem unterschiedliche Leistungen an unterschiedliche Kunden zu unterschiedlichen Preisen abgegeben werden. Das ist so töricht, das es weh tut und eignet sich eigentlich nur noch als Symptom für die gar nicht mehr so überraschende Diagnose, dass es um diese Organisation wie viele ihrer Mitglieder nicht gut bestellt ist.

Manchmal, wenn die Nebel sich gesenkt haben und sich jeder wiederfindet in einer milchigen Ungewissheit, kann der Entwurf des Einfachen wieder Orientierung geben: Ein Zusammenschluss verschiedener Individuen wie Staaten hat zum Zweck, gemeinsame Interessen wirkungsvoller zu verfolgen. Sollte dieses nicht mehr der Fall sein, können entweder die Mitglieder ihre Mitgliedschaft aufkündigen oder, sollten alle der Meinung sein, dann können sie das Bündnis auflösen. Bestehen solche Organisationen fort, ohne dass eine Gemeinsamkeit noch sichtbar wäre, vielleicht nur weil eine Art von Eigendynamik ganz andere, jeweils individuelle Vorteile vermittelt, dann bahnt sich etwas an, ziemlich häßlich enden kann.