Bereits das Eröffnungsritual zeigte die Brisanz. Obwohl für das Abspielen der Nationalhymnen nur neunzig Sekunden vorgesehen sind und somit nur eine Strophe Platz findet, sang der chilenische Anhang die Hymne ohne Musik und gegen einen gellendes Pfeifkonzert der brasilianischen Fans zu ende. Das gleiche passierte danach umgekehrt und aus den Mienen aller Beteiligten war zu lesen, dass es sich bei dem bevorstehenden Spiel um mehr als nur um ein sportliches Ereignis handelte. Was folgte, war eine Werbung für den Fußball, soweit man mit ihm eine Form von Passion verbindet, die sich in Inspiration, gegenseitiger Unterstützung und Hingabe ausdrückt.
Nein, und das flüsterten die Souffleure der deutschen Fernsehanstalten auch schnell und beflissen in die Mikrophone, das höchste technische und taktische Niveau war dieses erste Spiel des Achtelfinales nicht. Richtig in diesem Zusammenhang anerkanntermaßen der Hinweis, dass in dem gegebenen Fall, d.h. dem Aufeinandertreffen des großen Brasilien auf das kleine Chile keine Kontrolle möglich ist und Traineranweisungen nur begrenzte Wirkung haben. Die Dynamik bekommt das Spiel aus der eigenen, überdimensionierten Motivation der Spieler selbst und dem grollenden, peitschenden, mal von Übermut, mal von Verzweiflung getragenen Feedback der Ränge.
Großen Respekt verdienen die Akteure für die Fähigkeit, im Kessel von Belo Horizonte nicht die Kontrolle verloren zu haben und fair geblieben zu sein. Verlauf wie Ausgang des Spiels waren ein Drama und gewonnen zu haben hätten beide verdient, aber das sieht das Reglement bekanntlich nicht vor. Brasilien war glücklicher, Chile fehlte das berüchtigte Quantum daran. Was bleibt sind Bilder, die den ungeheuren Druck, die große Menschlichkeit und die Haltung der Akteure festgehalten haben: Ein aufrecht in der Tragewanne sitzender und vom Platz transportierter chilenischer Verteidiger, der nicht mehr laufen konnte, aber über sein Ausscheiden verzweifelt, ein schon vor dem Elfmeterschießen ergriffener Julio Ceasar, der Minuten später der Held des Tages war und ein nach einem dreist ausgeführten Elfmeter, der eine Schnoddrigkeit sondergleichen vermuten ließ, kurz darauf von Emotionen übermannten schluchzenden Neymar, der auf den Rasen sinkt wie ein von einem Dolch gemeuchelter Prinz. Das waren die Erlebnisse, für die die Weltmeisterschaft im Jahr 2014 steht, die im Zeichen des amerikanischen Kontinents zu finden sind, der andere Werte vertritt wie die immer wieder staunenden Europäer lernen müssen und der vom Temperament auf einem anderen Stern liegt.
Im zweiten Achtelfinalspiel kam eine, da wiederum amerikanische, nicht minder brisante Konfrontation zustande. Mit Kolumbien traf der Rising Star dieser WM auf die mit Hochprofis gespickte Elf aus Uruguay. Hier, und das sollten alle Beobachter aus dem professionellen Lager begreifen, wurde trotz der durchaus vorhandenen Emotionen in starkem Maße von der Taktik instruiert gespielt. Mit dem einstigen argentinischen Nationaltrainer Pekerman spielt Kolumbien ein kühl kalkuliertes Brett, das man kaum erkannt wird, wenn Akteure wie Zuniga mit brennender Spur über den Platz fegen. Und das neben einem James Rodriguez, der in seiner juvenilen Unbekümmertheit Tore schießt, als stammten sie aus einer Animationskonsole für schönes Spiel. Hier war früh klar, dass Jugend, gepaart mit kluger Taktik und technischer Brillanz einer alternden Mannschaft, deren Aura aus vergangenem Ruhm, einem Handicap mit dem von der FIFA hingerichteten Suarez und Kampfkraft keine Chance gab. Dass Brasilien nun auf Kolumbien trifft, verspricht ein weiteres Erlebnis zu werden, einer Werbung für das Metier, die nahezu exklusiv auf das Konto Amerikas geht.

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