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Die Bundesregierung als Koranschule?

Auch die Reaktion kann Mutter der Erkenntnis sein. Die Demonstration im sonntäglichen Paris, an der mehr als 1,5 Millionen Menschen teilnahmen, hat alles, was es bisher an Reaktionen auf den islamistischen Terror gab, in den Schatten gestellt. Die Qualität dessen, was dort artikuliert wurde, war ebenfalls einzigartig. Und dennoch gibt es viele Stimmen, die diese Manifestation relativieren möchten. Zum Teil können die Argumente nachvollzogen werden, zum Teil erscheinen sie wie eine nihilistische Bankrotterklärung.

Das eine Argument, das zu denken gibt, ist die Frage, wieso die französische Bevölkerung erst jetzt und in dieser Weise reagiert, ob wohl alleine im letzten Jahr bereits tausende von Juden das Land in Richtung Israel verlassen haben, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten und Ziel terroristischer Anschläge waren. Die Verbitterung, die aus dieser Beobachtung spricht, ist nachvollziehbar und sollte zu denken geben. Aber was hinter dem Heute liegt, ist unwiederbringlich verloren.

Die andere Kritik an der Demonstration nährt sich aus den Bildern der offiziellen Politik, die untergehakt in einem eigenen Block unterwegs war und bei ihrer Charakterisierung kaum mit dem politischen Tenor der von der Masse vorgetragenen politischen Programmatik in Einklang stand. Das ist sicherlich nicht falsch, aber deshalb die ganze Aktion zu diskreditieren und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Massenaktion en bloque als Kretins abzustempeln, die an einer Schmierenkomödie teilgenommen haben, spricht auch von einer Verbitterung. Allerdings einer, die in die falsche Richtung, nämlich in die Arme des Zynismus drängt.

Was allerdings als Reaktion nahezu den Atem raubt, ist das, was die prominenten Teilnehmer aus der Bundesrepublik als ihre persönliche Schlussfolgerung aus der Pariser Demonstration mit nach Hause nahmen. Die Kanzlerin diktierte bereits am Tag darauf während eines türkischen Staatsbesuchs in die Mikrophone, der Islam sei ein Teil Deutschlands. Das war trivial und ist nicht ihr Ressort. Und bereits am selben Abend der Demonstration erklärte der Minister des Innern im TV wieder einmal den Islam und sprach sich gleichzeitig für gesetzliche Maßnahmen aus, um die Terrorbekämpfung zu verbessern, was aus seiner Sicht nur mit der Einschränkung von Freiheiten zu bewerkstelligen ist.

Zur Erinnerung: Die Parolen der Pariser Demonstration fokussierten sich auf die bürgerlichen Freiheiten, auf die Gleichheit und auf die Solidarität, die auf dem Prinzip der Brüderlichkeit beruht. Gleichzeitig reklamierten sie den Laizismus, d.h. die Trennung von Kirche und Staat. Die deutsche Reaktion darauf war genau das Gegenteil. Angesichts der darauf folgenden Demonstrationen wurde deutlich, dass die Gesellschaft auf eine tiefe Spaltung zutreibt. Das politische Personal machte auf sich aufmerksam, indem es mehrheitlich die Aufrüstung des Sicherheitsapparates und den Abbau von Freiheiten als dringend erforderlich reklamierte. Allein schon aufgrund dieser Beobachtungen fallen positive Prognosen über den weiteren Verlauf der bundesrepublikanischen Entwicklung schwer.

Der Kulminationspunkt des Absurden wurde und wird allerdings durch eine Besonderheit verursacht, die weit in die Gründung der bürgerlichen Gesellschaft hierzulande zurück geht und die die deutsche Republik auf ewig verfolgen wird. Die nicht vollzogene Trennung von Kirche und Staat hat dazu geführt, dass religiöse Belange immer wieder Einzug in den politischen Diskurs finden. Je mehr Religion allerdings in diesem Diskurs eine Rolle spielt, desto weniger Aufklärung findet in ihm satt. Die beste Schlussfolgerung aus den Pariser Ereignissen wäre auch hier die endgültige Trennung von Kirche und Staat. Dann wäre auch Schluss mit grotesken Veranstaltungen, in denen ein Bundesinnenminister den Islam erklärt. Die Bundesregierung sollte die Exekutive des politischen Willens der Bevölkerung sein und, mit Verlaub, keine Koranschule.

Plädoyer für ein gottloses Leben

In der überaus klugen Vorbemerkung zu der Schrift „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ widmete sich Karl Marx in einer kurzen Betrachtung dem Doppelcharakter von Religion. Es ist unzweifelhaft, dass er dabei die monotheistische, christliche Religion im Auge hatte, auch wenn spätere Interpreten gerne auf die Allgemeingültigkeit dieser Ausführungen verwiesen. Religion, so Marx dort, sei einerseits ein probates Mittel der Herrschaft, weil sie mit dem Versprechen des Paradieses die Unterdrückten im Diesseits still halte. Gleichzeitig sei sie aber auch ein Akt des Protestes, denn sie reklamierte kaum eine bessere Welt, wenn die hiesige so sei, wie es sich die Menschen wünschten.

Als Marx diese Zeilen schrieb, waren die Kreuzzüge zur Eroberung Jerusalems bereits Geschichte, die mittelalterliche Inquisition war überwunden und der Dreißigjährige Krieg bereits vorbei. Ein halbes Jahrtausend Messer und Mord, um einer Heilslehre willen, und längst war der Absolutismus im Denken nicht überwunden. Was allerdings bereits geschehen war und zu den großen Revolutionen der deutschen Geistesgeschichte gehört, war die Schrift „Zur Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant. In ihr hatte der Asket aus Königsberg den monotheistischen Gott des Christentums seziert wie ein Chirurg und den Kadaver freigegeben zur Aufklärung.

Diese wiederum feierte ihre Hochzeiten intellektuell in Deutschland, aber im richtigen Leben, da fand sie in Frankreich statt. Die Franzosen machten vor, wie sie sich die gelebte Aufklärung vorstellten. In Paris steht die Wiege des bürgerlichen Zeitalters, das aufräumte mit Gott und Moral und an seine Stelle Recht und Verantwortung setzte. Dazu gehörte, und das drang nicht einmal bis nach Deutschland, die Trennung von Kirche und Staat.

Die monotheistische Religion, in deren Namen seit Jahrzehnten, ganz entsprechend unserer Epoche, nicht mehr Messer und Mord, sondern Sprengstoff und Kugelhagel eingesetzt werden, um die vermeintliche Lehre des Heils zu retten, steht vor der Schwelle der Aufklärung. Nach wie vor. Das selbst von den entwickelten, als zivilisiert geltenden islamischen Staaten gepflegte Gottesstaatentum ist der unwiderlegbare Beleg. Bis auf eine Ausnahme, in der indonesischen Verfassung begnügt man sich mit dem Verweis auf einen Gott.

All jenen, die im Obskurantismus zuhause sind, die dem Absolutismus huldigen und der brachialen Herrschaft frönen, muss die gelebte Tradition der bürgerlichen Freiheiten ein Dorn im Auge sein. Und in Zeiten, in denen zumindest die Symbolik nach wie vor hohe Geltung genießt, ist es logisch, dass sich die Frevler einer unaufgeklärten monotheistischen Religion darauf konzentrierten, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren.

Die Bilder, die aus der französischen Hauptstadt in der vergangenen Nacht zu uns gelangten, zeigten, dass die geplante Intention der Dunkelmänner, trotz ihrer grausamen Tat, an einem couragierten Bürgersinn zerschellte. Paris demonstrierte für den Gedanken der Freiheit, der revolutionäre, bürgerliche Reflex derer, die an Demokratie und Selbstbestimmung glaubten, obsiegte über die machtlose Betroffenheitsgeste vemeintlicher Opfer. Die Pariserinnen und Pariser deklarierten den Terroranschlag gegen die Redaktion von Charlie Hebdo zu einem Plädoyer für ein gottloses Leben. Schlimmer hätte es für die Terroristen nicht kommen können.

Eugène Pottiers, ein anderer Pariser, der an der Kommune im Jahr 1871 aktiv teilgenommen hatte, schrieb buchstäblich hinter einer Barrikade die Internationale. Was daraus entstand, ist eine andere Geschichte. Aber den Text, den kann man sich vorsprechen, immer wieder, um sich zu vergewissern, welchen Geist das Gemeinwesen atmet, das nicht bezwingbar ist durch Obskurantismus. „Es rettet uns kein höhres Wesen“, heißt es da, „kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“ Recht hat er, der Herr Pottiers.