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Ein wunderbares Fallbeispiel für den Kampf um imperiale Vorherrschaft

Simon Scarrow. Feuer und Schwert

Selbst der Autor, Simon Scarrow, hat sicherlich nicht bei der Konzeption und Niederschrift der Koinzidenz-Geschichte von Napoleon und Wellington daran gedacht, dass der Vergleich dieser beiden Generäle einmal als eine sehr bereichernde Folie für die Zeitgeschichte werden würde. Im dritten Band dieser Tetralogie, „Fire and Sword. 1804. Napoleon has Europe ins his sights. Wellington will do anything to stop him. Who will win?“, sind die beachtlichen Triumphe beider bereits historisch dokumentiert. Doch während Napoleon es mittlerweile fertig gebracht hat, sich zum Imperator mit monarchistischer Macht aufzuschwingen, kämpft, weiterhin unter dem Namen Wellesly, das britische Pendant immer noch um Anerkennung und die ihr entsprechende Stellung.

Das British Empire wirkt allzu saturiert und das Ancienitätsprinzip steht vor dem der Leistung. Während Wellington und die ihn unterstützenden politischen Kreise dieses ändern wollen, in dem sie den Kampf um die Vorherrschaft durch eine direkte, finale Auseinandersetzung mit dem Rivalen Frankreich auf die Tagesordnung setzen, haben auf der anderen Seite die Erfolge Napoleon zunehmend von der Einschätzung der Realität entfernt. Der Konflikt ist geostrategischen Natur. Diese Einschätzung teilen die beiden Protagonisten. Nur die Rezeption der tatsächlichen Kräfteverhältnisse könnte unterschiedlicher nicht sein.

In dem Band zeigt sich zum einen, wie geopolitische Machtkämpfe ausgetragen werden. Sie finden zunächst an der Peripherie statt, in diesem Fall geht es um die maritim strategischen Stützpunkte Dänemark und Portugal. Und in beiden Fällen wirken die von Wellington beratenen Briten schneller und entschlossener. Während Napoleon seine Kräfte binden musste, um seinen Bruder Josef in Spanien auf dem Thron etablieren zu können, beschlagnahmten die Briten die dänische Flotte und warfen die französischen Streitkräfte aus Portugal.

Auf französischer Seite ist zunehmende Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung wie in der Grande Armee zu verspüren, das Land ist zunehmend strategisch überdehnt und eine logische Konsequenz sind Risse in der Administration. Hinzu kommt der von Napoleon bewusst eingesetzte Nepotismus und die um sich greifende Korruption. Dass da Gerüchte aufkommen, die durchaus realistische Nahrung haben, dass an einem Umsturz gearbeitet wird, liegt auf der Hand. 

Die Resultate militärisch gar nicht mehr so glorreicher Erfolge wie die Schlacht bei Austerlitz sind vage diplomatische Hoffnungen. Der von Napoleon forcierte Friede mit Russland ist ein Wunschkonstrukt mit eingefasstem Verfallsdatum. Und der Rigorismus des Korsen ersetzt nicht die Notwendigkeit umsichtiger Diplomatie.

Während die Risse im napoleonischen Imperium zunehmend deutlich sichtbar werden, setzt Wellington, wie bereits seit langer Zeit, auf nüchterne Analyse, logische Operation und eine nun auch in der Londoner Machtzentrale geschätzte Systematik. 

Insofern sind die Zeichen für den weiteren Verlauf bereits sehr gut deutbar. Auch hier entwickelt die Schilderung Scarrows ein wunderbares Beispiel dafür, was passiert, wenn um die Vorherrschaft ringende Imperien aufeinandertreffen. Auch dieses Buch liefert eine Wagenladung an historischem Material, das zum Nachdenken über die aktuellen Geschehnisse auf der Welt reichlich einlädt.   

  • Herausgeber  :  Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (14. September 2020)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Taschenbuch  :  816 Seiten
  • ISBN-10  :  3453471695
  • ISBN-13  :  978-3453471696
  • Originaltitel  :  Fire and Sword

Nachtfahrten

Wenn es ein jüngeres Musikalbum gibt, das aufgrund von Stimmung wie Thematik zu jedem dieser Tage passt, dann sind es Michael Wollnys Nachtfahrten. Da werden Sphären eingefangen, die im fahlen Licht ewiger Nacht aufscheinen und die Trauer, die das Dasein prägt, in verschiedenen Varianten aufbieten. Meine Bitte: Hören Sie sich diese großartige Musik an, und Sie wissen, was ich meine. Mir ihr im Ohr wird vieles von dem, was viele von uns nur noch als Wahnsinn deklarieren können, zumindest deutlicher, wenn auch nicht verständlich.

Um das Thema, um das es geht, anzusprechen. Es ist aktuell wieder einmal deutlich geworden, dass die viel gepriesene und von allen Agenturen beschworene Pax Americana global gesehen als eine durch keinerlei Unterbrechung verunstaltete Kriegsarchitektur daherkommt. Nicht, dass eine andere, von einem einzelnen Staat gestaltete Architektur besser daherkäme! Imperien gestalten die Welt nach ihren Interessen und nach nichts sonst. Das war historisch bei allen Reichen so und das ist beim amerikanischen Jahrhundert nicht anders. Die Frage, wieviel Liberalität sich ein Imperium gegenüber den eingegliederten Staaten erlauben kann, hängt von seiner strategischen Stärke ab. Und das, was sich derzeit zeigt, deutet auf eine zunehmende Schwächung hin. 

Da ist es dann schnell aus mit der Liberalität, da wird die bedingungslose Gefolgschaft  eingefordert. Und das auch gegen die vermeintlich eigenen Interessen. Auch das war immer so und ist keine typisch amerikanische Erscheinung. Imperien funktionieren, wie Imperien eben funktionieren. Nur sollte man das, wenn man schon einmal zu den assoziierten Staaten gehört, niemals aus den Augen verlieren. Sonst endet es böse. Und vieles spricht momentan dafür, dass es böse enden wird. Weil das alte Europa, vor allem sein westlicher Teil, lange Zeit dachte, man käme auch ohne ein eigenes Bündnis aus. Unter den Fittichen des Imperiums ließ sich gut wirtschaften. Und viele dachten, die Blüte des Imperiums währte ewig.

Letzteres war, neben dem eigenen strategischen Müßiggang, die große Illusion, aus der nun viele erwachen. Das Imperium ist schwer angeschlagen und es bereitet alles vor, um in der mythisch belegten letzten Schlacht die eigene alte, glorreiche Welt wieder herzustellen. Das wird nicht gelingen, dazu sind zu viele Dinge auf diesem Globus passiert und längst haben sich neue Kräfte formiert. Ihnen ist eigen, dass sie weder strategisch überdehnt sind noch auf die guten Ratschläge ihrer ehemaligen Beherrscher angewiesen sind. Wer immer wieder darauf pocht, es handele sich bei dem Desaster in der Ukraine um einen lokalen Konflikt, soll sich bitte nicht nur die Weltkarte ansehen, sondern auch die politischen Bekundungen der Staaten, die nicht dem Imperium zuzurechnen sind. Es handelt sich dabei um 90 Prozent der Weltbevölkerung und wer der Rhetorik der hiesigen Politik folgt, müsste glauben, das Imperium repräsentiere die Mehrheit in der Welt. Provinzieller kann die Sicht nicht sein.

Kann das alte Europa dem Schicksal, dass das Ende der Pax Americana mit sich bringen wird, noch entrinnen?  So, wie es zur Zeit aussieht, wohl nicht. Das Junktim von EU und NATO steht, und dieses Junktim war es auch, das den Beginn des Ukraine-Konflikt ausmachte und das Ende dieses Staates zur Folge haben wird.  Beteiligt an diesem Konstrukt waren nicht nur die direkten Vertreter des Imperiums, sondern auch Deutsche, egal welcher Partei. Über diese historische Dimension möchte ich nicht mehr nachdenken. Da sind mir die Nachtfahrten lieber.

Alles Schmu?

Egal, wie die Wahlen ausgehen werden, einiges ist bereits klar. Bestimmte Tendenzen der Politik werden von denen, die letztendlich die Regierung bilden werden, nicht durch konkurrierende Vorstellungen gefährdet. Die wohl wichtigste ist die der Verpflichtung auf die gegenwärtig von den USA formulierte Politik der NATO. Sie beinhaltet weitere Aufrüstung, weitere Osterweiterung, Ausdehnung der Aktivitäten auf den Pazifik-Raum mit dem Ziel der Eindämmung der Einflusssphären Russlands und Chinas. Egal, welche Koalition zustande kommen wird, dieses Programm steht. Angesichts der desaströsen Bilanz dieser Politik in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist eine Prognose, wie es weitergehen wird, schlicht und einfach zu beschreiben: es wird die Konfrontation gesucht werden.

Angesichts der geostrategischen Dimensionen bedeutet dies eine Ausweitung der Konfliktfelder. Die Omnipräsenz amerikanischen Militärs, welche ein Symptom der eigenen strategischen Überdehnung darstellt, soll aufgefüttert werden mit den Streitkräften anderer NATO-Mitgliedsstaaten und die Präsenz einer deutschen Fregatte im südchinesischen Meer ist nur der Anfang. 

Es wird weder darüber reflektiert, welche Schlüsse man aus den vielen Regime-Change-Desastern ziehen kann, noch in Erwägung gezogen, wie schnell die strategische Überdehnung z.B. auch des deutschen Militärs erreicht wird oder bereits erreicht ist. Das Spiel mit diesem Feuer wird von allen konkurrierenden Regierungsaspiranten betrieben, wobei die waffenklirrende Terminologie der Grünen besonders hervorsticht. Ob die nahezu intime Liaison einzelner Einflusspersonen mit militanten amerikanischen Stiftungen oder mit ehemaligen russischen Oligarchen der Grund dafür sind? Letztendlich ist die Beantwortung dieser Frage unerheblich. Entscheidend ist immer die vertretene politische Position.

Was verwundert, ist die Tatsache, dass die Partei, die seit dreißig Jahren kontinuierlich auf die Option militärischer Stärke gesetzt hat, mit ihrem programmatischen Herzstück des Umweltschutzes bei bestimmten Wählersegmenten immer noch punkten kann, obwohl der heiße Krieg, der immer wieder aus dieser Politik resultiert, alle Bemühungen um einen wirksamen Umweltschutz und die das Klima betreffenden Maßnahmen in nachhaltiger Weise konterkariert. Der Logik dieser Politik folgend, könnte man es auch auf einen schlichten Nenner bringen: Wer der Umwelt den letzten Rest geben will, wählt am besten Grün.

Was die weiteren Tendenzen anbetrifft, so ist seit der Corona-Krise deutlich geworden, dass die Berliner Republik, im Gegensatz zur vergangenen Rheinischen, strikt auf Zentralismus setzt. In kaum einer anderen Zeit wurde der Föderalismus derartig infrage gestellt wie in dieser. Mit Begründungen, die an Schlichtheit nicht zu überbieten sind und die, wie bei allem, was zu einer Demontage von Demokratie beiträgt, orchestriert wurde von den renommierten öffentlich-rechtlichen Politik-Formaten. 

Da verwundert es nicht, dass gerade von dort, quasi als nächstes Mosaik in einem prekären Ensemble, aus dem Wahlkampf, der ein Wettstreit von Parteien und ihren Programmen sein soll, eine Show gemacht wurde, die ein anderes politisches System bereits vorweg spiegelt. Indem die Spitzenkandidaten der Parteien als das alleinige Wahlkriterium präsentiert werden, wird ein präsidiales System vorexerziert, das gar nicht existiert. Allerdings passen die einzelnen Puzzle-Stücke gut zusammen, denn Zentralismus und präsidiales System harmonieren prächtig. 

Insofern ist das, was vielen Menschen als recht langweilige Veranstaltung erscheint, eine gravierende, hoch spannende und richtungsweisende Angelegenheit. Es geht um die Stabilisierung eines sicherheitspolitischen Irrwegs, es geht um die sukzessive Demontage des Föderalismus und es geht um die schleichende Installierung eines präsidialen Systems. Und es geht noch um sehr viel mehr.