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Reise ohne Kompass

Ödon von Horvath war es, der in einem seiner stets lapidar daher kommenden Sätze eine kulturelle Disposition beschrieb, die nach ihm noch weitaus verbreiteter wurde als er es sich selbst vielleicht in den schlimmsten Visionen ausgemalt hätte.

„Ich gehe, und weiß nicht wohin,
mich wundert,
dass ich so fröhlich bin“

hieß es in den Geschichten aus dem Wienerwald. Kulturkritisch betrachtet handelt es sich bei dem Zitat um eine Umschreibung wachsender Strategielosigkeit bei der Gestaltung des Existenziellen. Horvaths Figuren haben gegenüber den realen Zeitgenossen, denen der Autor Botschaften senden wollte, einen großen Vorteil. Sie wirken durch die dick aufgetragene Naivität selbst wie Spielfiguren, mit denen die Betrachtenden sich nicht identifizieren müssen. Insofern ist es eine charmante Strategie, wenn Horvath einen Scherz anbietet und es den Zuschauern überlässt, ob sie die Pointe auf sich selbst anwenden.

Ob sich die gegenwärtige Gesellschaft als eine strategielose bezeichnen würde, steht dahin, dass sie es ist, darüber besteht kein Zweifel. Und sicherlich stehen schon die chaos-theoretischen Argumente auf der scharfen Rampe, die von der modernen Art der massenintelligenten, zufällig entstehenden Qualität schwadronieren. Selbst bei dem Zugeständnis, dass Chaos selbst ein gewaltiges Konstitutionsprinzip darstellt, so ist die Strategielosigkeit von Individuum und Gesellschaft ein Problem.

Das Vorhandensein einer Strategie beantwortet die Frage von Subjekt und Objekt. Individuen oder Gesellschaften mit einer Strategie haben sich für das Agieren entschieden. Auch wenn sie auf diesem Weg Fehler machen oder ihre Ziele nicht erreichen, so haben sie dennoch als handelnde Subjekte einen zweckgesteuerten Lernprozess eingeleitet, der ihnen Erkenntnisse über die Funktionsweise ihrer Welt übermittelt und ihnen die notwendigen Substanzen zur Verfügung stellt, um als handelndes Subjekt zu überleben.

Ohne Strategie haben sich Individuen wie Gesellschaften auf die Domäne der Reaktion eingestellt. Sie kommen nicht zum proaktiven Handeln, sondern ihr gesamtes Spektrum ist die Reaktion. Somit degenerieren reaktive Ensembles zu Objekten, d.h. mit ihnen wird etwas gemacht, und, wieder ein schönes Wort aus der alten Begriffswelt der Grammatik, sie verschreiben sich dem Passiv, so treffend übersetzt als Leideform. Linguistik und Etymologie liefern, wie so oft, gelungene Querverweise auf gedankliche Zusammenhänge.

Die zeitgenössischen Individuen wie die aktuelle Gesellschaft vermitteln den Eindruck, dass die eingangs zitierten Worte Ödon von Horvaths in starkem Maße das umschreiben, was als ein strategieloses Dasein, als eine Reise ohne Kompass und als eine Mutation vom Subjekt zum Objekt beschrieben werden kann. Dort, wo der Wille zur Gestaltung, der dem historischen Subjekt zugeschrieben werden muss, nicht mehr vorhanden ist, dort etablieren sich in der Regel allerlei Profiteure.

Sie profitieren von einem sowohl im individuellen wie im gesellschaftlichen Leben entstandenen Machtvakuum, in das sie schleichend eindringen, um den Geschäften nachzugehen, die sich für sie als profitabel darstellen, die sich für das Gros der Gesellschaft allerdings desaströs auswirken. Der Wirtschaftsliberalismus ist ein solcher Profiteur, der von der Degradierung zum Objekt, ob selbst gewählt oder durch äußere Gewalt begünstigt, seinen Nutzen zieht.

Dem Wirtschaftsliberalismus wie allen anderen Profiteuren eines Machtvakuums kann nur Paroli geboten werden, wenn Strategien formuliert werden, die den eigenen Willen zu Gestaltung und Verantwortung öffentlich machen.

Die Kommune geht uns alle an!

Der Geist, der seit einem Vierteljahrhundert über dem Prozess der wachsenden Globalisierung schwebt, ist dabei, das Vertrauen in die Potenziale und Möglichkeiten globaler Interaktion nachhaltig zu schädigen. Vieles spricht sogar dafür, dass bereits irreversible Schäden angerichtet wurden. Der Feldzug des Wirtschaftsliberalismus hat nicht nur bereits viele Regionen dieses Planeten zerstört, weil er immer nur die Ausbeutung von Ressourcen und Menschen zum Zwecke individuellen Gewinns betrieben hat, sondern auch die regionalen sozialen Konstrukte, die in langen, mühsamen Perioden entstanden, in kurzen Zeiträumen zerstört und nichts hinterlassen hat als verbrannte Erde. Die Möglichkeiten nationalstaatlicher Gegenwehr sind stetig geringer geworden und vieles spräche für ein Kontinuum dieser beschämenden Geschichte, ragte da nicht noch eine Option hervor, die eigenartiger Weise von den meisten Beobachtern nicht registriert wird.

Es handelt sich um die Kommune. Die urbane Gesellschaft war immer die Keimzelle staatlicher Organisation. Florieren Städte, dann ist es naheliegend, dass auch übergeordnete politische Systeme eine Chance bekommen, sich vernünftig zu ordnen und Spielräume für eine am Gemeinwohl orientierte Gestaltung zu bekommen. Und obwohl die Politik der liberalistischen Globalisierung schon längst mit ihren Auswirkungen in den Städten angekommen ist, richtet sich das Augenmerk immer noch mehrheitlich auf das Geschehen im nationalen wie internationalen Rahmen. Dabei snd viele Metropolen längst dabei, die metaphorischen Barrikaden gegen den Verwüstungssturm zu errichten.

Nirgendwo betrifft Politik die Menschen so direkt wie in der Kommune und nirgendwo haben die Menschen größere Möglichkeiten, sich mit ihren eigenen Vorstellungen in die Gestaltung des Gemeinwesens einzubringen. Bei der Betrachtung der politischen Führung von Kommunen kann sehr gut beobachtet werden, ob sie die strategische Dimension ihrer eigenen Position begriffen haben. Leider ist festzustellen, dass dieses von vielen nicht so gesehen wird. Sehen sich Kommunen und ihre Führungen als Opfer größer geordneter Prozesse, dann ist auch ihr Schicksal in der Regel vorausbestimmt und erlaubt keine positive Prognose. Begreifen sie jedoch ihren Handlungsspielraum, dann zeigt sich sehr schnell, dass sie etwas bewirken können. Und es gibt sie!

Auch in der Bundesrepublik existieren Kommunen, die es fertig gebracht haben, ihre Stärken und Schwächen zu analysieren und daraus eine Strategie abzuleiten, die eine politische, wirtschaftliche und soziale Perspektive bietet. Sie sind daran gegangen, gemäß dieser Strategien zu gestalten und Ziele zu formulieren, die es ermöglichen, ihren Fortschritt zu messen und zu bewerten. Die Folge ist eine wachsende Bereitschaft der Bevölkerung, sich in den Streit um den richtigen Weg zu begeben. Und auch dabei zeigt sich, dass die Frage, ob die Stadtgesellschaft den Transfer vom duldsamen Opfer und/oder Kämpfer für eindimensionale Partikularinteressen schafft und sich an den Prinzipien der Gemeinsamkeit orientiert oder absinkt in da Paradigma der Globalisierung. Letzteres führt zum unaufhaltsamen Abstieg als Gemeinwesen, ersteres bietet die Chance, der gesamten Gesellschaft aus dem Erfahrungsfokus der Kommune neue Impulse zu geben.

Diese Chance zu bagatellisieren manifestiert einen Hochmut, der aus Unwissenheit oder Zynismus entsteht, weil der Ernst der Lage keine Basis für Arroganz liefert. Daher ist es eine demokratische Grundtugend, diese Option zu pflegen. Menschen, die für sich beanspruchen, die Entwicklungstendenzen des Weltgeschehens nicht nur zu verfolgen, sondern auch mit beeinflussen zu wollen, dürfen sich nicht bei der Gestaltung der Kommune enthalten. Sie müssen bewerten, inwieweit ihre Kommune strategisch aufgestellt ist, sie müssen sich mit ihrem Wissen und können einbringen und sie müssen natürlich wählen. Das ist das Minimum. Die Kommune ist mehr denn je die entscheidende Größe bei der politischen Gestaltung des Gemeinwesens.

Die kritische Schwelle

Die Übung ist nicht neu. Ganz im Gegenteil. Die Geschichtsbücher sind voll von dem Versuch, grundsätzlich etwas ändern zu wollen. Von Mitgliederorganisationen über Wirtschaftsbetriebe, von Verwaltungen bis zum Staat gab und gibt es immer wieder Vorhaben, das ganze Gebilde von Grund auf zu ändern. Und so viele Geschichten es darüber gibt, so häufig enden sie mit dem Fazit des Scheiterns. Übrig bleibt in der Regel das Bedauern über die gute Idee, von der alles ausging und die Enttäuschung darüber, an welchen Faktoren es auch immer gelegen hat, dass das ganze Unterfangen nicht von Erfolg gekrönt war. Die Bücher sind voll von solchen Geschichten. Und sie scheinen zu bezeugen, dass Menschen in großen Organisationen eine zu hohe Konzentration der Fehlbarkeit sind.

Der klassische Weg, dem die Unternehmungen der grundlegenden Veränderung folgen, besteht in einer Abfolge logischer Schritte, die kaum jemand anzweifelt. Zu Anfang steht immer eine Strategie, sie beschreibt, wohin das alles führen soll. Es wird ein Idealzustand beschrieben, der vieles von dem positiv gelöst haben wird, unter dem zum Zeitpunkt seiner Formulierung viele leiden. Da Strategien auf einer Metaebene beschrieben werden, sind sie abstrakt und sie lassen es folglich zu, das vieles von dem, was man gerne hätte, der Phantasie derer überlassen bleibt, die sich mit ihr befassen. 

Folgerichtig muss aus der Strategie ein Programm abgeleitet werden, dass sowohl die zeitlichen Abläufe konkretisiert als auch die einzelnen Maßnahmen beschreibt, die ergriffen und realisiert werden müssen, um erfolgreich zu sein. Die Maßnahmen wiederum bedürfen bestimmter Mittel, um sie realisieren zu können. Das sind dann, neben den erforderlichen Finanzen, Methoden und Instrumenten, ohne die eine Realisierung unmöglich ist, in denen sich die Richtung manifestiert. Das alles ist bereits ein sehr beschwerlicher Weg, und je größer die Organisation, die verändert werden soll, desto beschwerlicher ist er. Denn alles passiert nicht in statischem Zustand, sondern zeitgleich zum normalen Verlauf der Geschäfte und Aufgaben, auf deren Erfüllung die Organisation verpflichtet ist. 

Und selbst wenn der logisch unabdingbare Verlauf des Umgestaltungsprozesses von der Strategie über das Programm bis zu den Maßnahmen erfolgreich entwickelt worden ist, betritt er genau an diesem Punkt die kritische Schwelle. Zumeist erliegen die Akteure in diesem Moment der Mystifikation, der Wandel sei geschafft. Die Dinge existieren und haben einen Namen, aber sie wirken nicht. Sie wirken deshalb nicht, weil sie nun in das Stadium der Konkretisierung treten müssten. Es ist die beschwerlichste Etappe der Reise, weil nun das Erhabene in das Profane umgewandelt werden muss.

Was bedeutet die konkrete Verantwortung des Einzelnen, wie sieht die Praxis aus, der Sachbearbeitung, der Rechtsprechung oder der politischen Entscheidung? Genau an diesem Punkt versagt oft die Energie und genau an diesem Punkt schmerzt es am meisten, weil Einstellungen wie Verhalten zur Disposition stehen. Da versagt oft das Revolutionsvokabular, da geht es ans Eingemachte und gerade deshalb sind nicht selten die Protagonisten des ganzen Stückes nicht mehr dabei, weil sie sich in dem neuen Apparat längst etabliert haben, weil sie sich an die Macht gewöhnt haben und vielleicht auch weil sie erschöpft sind von dem langen Weg, der hinter ihnen liegt. 

Die kritische Schwelle einer erfolgreichen Umgestaltung lässt sich am besten beschreiben als der Punkt, der zwischen der Organisation des Wandels und dem Wandel der Organisation liegt. Sie zu überschreiten bedeutet Permanenz und Konkretisierung.