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Sagen, was ist!

Stefan Aust, Zeitreise. Die Autobiografie

Der Vorteil, wenn sich alte Wölfe, die schon viel Schnee gesehen haben, erinnern, ist das Fehlen der Kontaminierung durch den kollektiven Brainwash unserer Tage. Nämlich das, was von den Zwergen auf den Schultern von Riesen momentan aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gemacht wird, entspricht in keiner Weise dem, was tatsächlich geschehen ist und der Motivation der Handelnden entsprach. Da ist es hilfreich, jemandem zuhören, der neben einer eigenen politischen Meinung, die man nicht teilen muss, dennoch in der Lage ist, die Geschehnisse so darzustellen, wie sie ein guter Journalist, der den Prinzipien und dem verloren gegangenen Ethos dieses Berufes entspricht und die als Motto über dem Hause stand, in dem er lange Zeit eine herausragende Stellung einnahm:

„Der Journalist hat nicht das Mandat, Wahlen zu gewinnen und Parteien zu promovieren. Er gerät auf die Verliererstraße, wenn er versucht, Kanzler und Minister zu machen, große oder kleine Koalitionen zu begünstigen, kurz, wenn er der Versuchung erliegt, Politik treiben zu wollen. Unternimmt er es dagegen, Erkenntnissen zum Durchbruch zu verhelfen und zu sagen, was ist, dann ist er mächtig“. (S. 477)

Stefan Aust, seinerseits Verfasser seiner Autobiografie, zitiert nicht nur einmal den Spiegel-Gründer und Herausgeber Rudolf Augstein. Immer, wenn er das macht, geht es um seine journalistischen Grundsätze. Aust selbst ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Er hat als begleitender Journalist, der Recherchen betrieb, die so manchen Institutionen richtig weh taten, vieles erlebt und begleitet. Der Baader Meinhof Komplex, die NSU Morde und vieles andere, was die Geschichte dieser Republik geprägt hat und den Regierenden mal das Attribut staatsmännischer Größe und Verantwortung und mal das des kläglichen Versagens anheftete. 

„Umstritten“, um ein inflationär benutztes Wort des heutigen journalistischen Boulevards zu benutzen, war Stefan Aust immer. Oder nein, um bei der Wahrheit zu bleiben, er war immer streitbar. Ob als junger Redakteur bei Konkret, ob als Chef von Spiegel TV, ob als Chefredakteur des Spiegel, ob als Herausgeber von Die Welt, ob als Buchautor oder als freier Journalist. Und, das muss man ihm attestieren, er hat immer gesagt, was ist. Und er hat seine eigenen Ansichten nie verborgen, aber er hat sie gekennzeichnet.

„Die Zeitreise“, wie seine Autobiografie heißt, liest sich wie seine Artikel, flüssig, das Wesentliche hervorhebend, prägnant. Es ist auch für die Leserin oder den Leser eine Zeitreise durch die Geschichte der Republik. Durch die Revolten, den Kalten Krieg, die Vereinigung, die Wirtschaftskrisen und politischen Karrieren. Angenehm ist, dass der Autor zwar auch über sein Leben berichtet, das er während der verschiedenen Phasen gelebt hat, aber auch dabei distanziert und sachlich bleibt. 

Entstanden ist ein Konvolut von 640 Seiten, das nicht am Stück gelesen werden muss, weil es durchgehend thematisch gegliedert ist und die Ereignisse über das eigene Agieren gestellt werden. Insofern handelt es sich um ein Buch, das einen unverstellten Einblick in das bundesrepublikanische Zeitgeschehen gewährt, das diese Republik geformt hat, bevor eine neue Form der historischen Inquisition das Ruder der öffentlichen Meinungsbildung ergriff und versuchte und versucht, Geschichte gravierend umzudeuten. Also sei es empfohlen. Ausdrücklich. Stefan Aust. Zeitreise.  

Ein verhängnisvoller Konjunktiv

Stefan Aust. Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden

Es ist kein Zufall. Hysterie ist nie ein guter Ratgeber in Krisensituationen, die alles Störende ausblendende Unbesorgtheit aber ebenso wenig. Und so trifft es sich, dass angesichts der politischen Zuspitzung der Verwerfungen in den sich demokratisch nennenden Staaten zunehmend mehr Menschen in der Vergangenheit nach Vorlagen suchen, die helfen könnten bei der Interpretation der festzustellenden Radikalisierung. Zunehmend werden wieder Romane gelesen, die in der Weimarer Republik oder dem späteren, nach der Machtergreifung der Nazis notwendigen Exil entstanden und die das thematisieren, was als der Niedergang des bürgerlichen Staates bezeichnet werden muss. Dazu gehören Phänomene von politischem Fehlverhalten der Eliten genauso wie Methode und Vorgehen derer, die die Diktatur auf der Agenda hatten.

Der bekannte Autor, Geschäftsführer und Herausgeber Stefan Aust hat in der Schatztruhe der vergessenen Koryphäen gegraben und tatsächlich einen Journalisten, Historiker und Biographen gefunden, der in der Bundesrepublik in Vergessenheit geraten ist, dessen Werke, deren Entstehung und deren Aufnahme uns heute noch sehr viel Nützliches vermitteln können. Unter dem Titel „Hitlers Erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden“ rettet er einen brillanten Journalisten, Chronisten und Historiker seiner Zeit vor dem Vergessen. Und er liefert Erkenntnisse, die wir uns sehr genau im Angesicht der mentalen Krise der bürgerlichen Demokratie anschauen sollten.

Konrad Heiden war seinerzeit Redakteur der Frankfurter Zeitung, lebte in München und erlebte dabei den Aufstieg Adolf Hitlers von einer schrillen Figur mit Lokalkolorit zu einem machthungrigen Politiker, der als Diktator in die Annalen der Weltgeschichte eingehen sollte. Die große Gabe und das große Verdienst Konrad Heidens waren seine genaue Beobachtung und die detaillierte Beschreibung der, so würde man heute sagen, Performance Adolf Hitler. Anhand der Mimik und Gestik erstellte Heiden nicht nur ein aufschlussreiches Psychogramm des pathologisch Machtorientierten, sondern er las auch dessen Schrift „Mein Kampf“ und war einer der Wenigen, die die dort formulierten Ankündigungen ernst nahmen. Das verlieh ihm im Nachhinein eine zutreffende Prognostik, was nicht sein Verdienst beschreibt, sondern das Versäumnis der gesamten kritischen Öffentlichkeit seiner Zeit.

Beginnend mit einer Biographie schrieb Heiden mehrere Bücher über Hitler, die aus dessen Sicht alles andere als schmeichelhaft waren und ihn somit auf die Liste der zu Verfolgenden brachte. Heiden floh über die Schweiz und Paris in die Vereinigten Staaten, wo er mit seinen Kenntnissen über das Phänomen Hitler die amerikanische Öffentlichkeit zutreffend wie erfolgreich ins Bild setzen konnte. Konrad Heiden gehörte zu denen, die trotz der Versuche von Politikern, in seinem Falle Carlo Schmids, nicht zurück nach Deutschland kehrten. Heiden starb 1966 an der amerikanischen Ostküste an den Folgen einer Parkinsonerkrankung.

„Hitlers Erster Feind“ ist ein wichtiger Beitrag bei der Suche nach Deutungsmustern in Bezug auf anti-demokratische Phänomene. Und jeder Versuch, die geistige Verfassung des Deutschlands zu entschlüsseln, das mit den Nazis unterging, ist eine wichtige Aufgabe, die zwar immer wieder in Festreden gewürdigt, aber kaum noch unternommen wird. Geschichtsvergessenheit ist bis jetzt von jeder Gesellschaft, die ihr verfallen war, teuer bezahlt worden. Stefan Aust, mit dessen Perspektiven man nicht immer kongruent sein muss, hat mit Konrad Heiden jemanden zurück nach Hause geholt, dessen Stimme bis heute wichtig, sogar sehr wichtig ist. Hätten mehr Menschen auf Heiden gehört … aber das ist der bekannte, verhängnisvolle Konjunktiv.