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Von Bismarck zu Baerbock

Zwischen dem Amtsantritt Otto von Bismarcks und dem von Anna-Lena Baerbock liegen 150 Jahre. Das ist, historisch gesehen, kein großer Zeitraum. Was sich in dieser Zeit in und um Deutschland getan hat, war abwechslungsreich wie dramatisch. Neben dem französischen Krieg gab es zwei Weltkriege mit deutscher Beteiligung, eine Teilung des Landes, eine erneute Fusion und der beständige Kampf einer Industrienation um Ressourcen, die Einbindung in ein Bündnis, die Verstetigung des politischen Systems und der Vorteil, im Windschatten eines Imperiums den Zugang und die Sicherheit von Märkten gewährleistet zu bekommen. Nun steht wieder einmal alles auf dem Kopf und es geht um nichts weniger als um das eigene Überleben. Das ist die Stunde der Strategie, der inneren Erneuerung und der Außenpolitik.

Otto von Bismarck, seinerseits Reichskanzler wie Außenminister, von dem erzählt wird, dass er im Morgengrauen begann, die internationale Presse im Original im Bett zu lesen, während ihm ein deftiges Frühstück nebst einer Flasche Rotwein gereicht wurde, der, wenn andere erwachten,  seinem Staff bereits die ersten Margen des Tages ausgegeben hatte, verfolgte ein Ziel: die Formierung dessen, was Deutsch ist als Staat im internationalen Gefüge zu etablieren und seine Interessen im Sinne einer offenen Machtpolitik zu wahren. Dabei ging er, ohne Illusion und Schnörkel, davon aus, dass die anderen Mächte in Europa nach deckungsgleichen Prinzipien verfuhren. Damit lag er nicht nur richtig, sondern goldrichtig. Denn die Maxime, dass sich Staaten von ihren Interessen leiten lassen und nicht von welchen Grundsätzen auch immer, galt nicht nur in Bismarcks Ministerium, sondern auch in Österreich, Frankreich, Russland und Großbritannien als Credo. In manchen dieser Staaten hat diese Erkenntnis bis heute einen unverbrüchlichen Wert. In Deutschland seit einiger Zeit nicht mehr.

Man muss sich nicht die Liste der Außenminister vor Augen führen, die sich der Aufweichung des Prinzips der eigenen Interessenvertretung schuldig gemacht haben. Denn zum einen waren sie es nicht allein, sondern sie waren Ausdruck einer allgemeinen, sich in der öffentlichen Diskussion und Meinungsbildung etablierenden Illusion. Zum anderen waren ihre Leistungen selbst in diesem Kontext so desolat, dass es angebracht ist, an anderer Stelle darüber zu räsonieren, wie es dazu kommen kann, dass derartige Dilettanten, bar jeglicher Fähigkeit und Haltung, in solche Ämter kommen können. Eines ist jedoch in der Reihe der Amtsträger seit der Jahrtausendwende festzustellen: Seit dem glorreichen Parvenü aus den grünen Gefilden deteriorierte die deutsche Außenpolitik zu einer Echokammer us-amerikanischer Weltmachtpolitik, unabhängig davon, ob sie  sich mit den nationalen Interessen in Einklang befand oder nicht.

Der krönende Abschluss dieser Politik findet sich in der jetzigen Außenministerin, die seit dem ersten Tag ihrer Amtszeit das Wort nationaler Interessen aus dem ihr zur Verfügung stehenden Wortschatz verbannt hat, die in allen Konfliktlagen dieser Welt blind den bellizistischen Demokraten der USA folgt, unabhängig davon, wie zerstörerisch es auf das eigene Land wirkt. In 200 Tagen schaffte sie es in Kooperation mit einem ideologisch schwadronierenden Wirtschaftsminister, die Energieversorgung eines Industrielandes zu zerstören, den Status einer Kriegsbeteiligung gegen eine benachbarte Atommacht zu erreichen und die Zerstörung der asiatischen Märkte für die deutschen Schlüsselindustrien zu bewerkstelligen. Bei dieser Bilanz wird es niemanden interessieren, wie diese Ministerin in den Tag kommt. 

Vielmehr kommt einem das viel benutzte und immer wieder zutreffende Zitat des Otto von Bismarck in den Sinn, das da lautete:  

„Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt.“

Bismarck hatte bei dieser Beschreibung Industrieimperien im Blick, dass sie das Zeug hat, auch auf das Außenressort eines Staates anwendbar zu sein, wäre ihm auch bei der zweiten Flasche Rotwein wohl nicht eingefallen sein.

Die mit den Wölfen heulen

Wenn kollektiv der Verstand aussetzt, hat der Mob bereits die Macht übernommen. Dabei handelt es sich nicht um diejenigen, die mal als Prekariat und mal als die Bedauernswerten bezeichnet werden, sondern die Spezies, die saturiert in den richtig temperierten Räumen sitzt und sich an dem großen Spiel um Macht und Einfluss beteiligt. Da waren Kriege immer schon ein probates Mittel, waren sie nur weit genug entfernt und betrafen sie Länder, die seit Jahrhunderten an dem Kolonialismus europäischer und dem Imperialismus amerikanischer Prägung litten. Sie zu bekriegen und zu unterjochen gehörte zur Staatsräson und wurde mit der eigenen zivilisatorischen Kraft begründet. Mal war es die Religion, mal die Bildung und heute sind es die demokratischen Werte, die, betrachtet man die Kriege der letzten dreißig Jahre, nie von den Ländern, die von ihren Herrschern durch Krieg befreit wurden, genossen werden konnten. Dort herrschten danach Chaos und Bürgerkrieg. Das Narrativ des Neokolonialismus ist faul.

Aber es fruchtet. Das Diabolische dabei ist die scheinbar nicht mehr aufzuhaltende Selbstzerstörung. Die Kampfansage an den Rest der Welt scheut nicht davor zurück, sich mit windigen und terroristischen Machthabern zu verbünden, um die eigenen Grenzen immer weiter in Sphären auszudehnen, wo der eigene Geist nicht geatmet wird. Das große Scheitern der USA,  das sie zu für die Weltgemeinschaft gefährlichen Manövern treibt, liegt in einem Irrglauben begründet, der nicht nur von der eigenen Überlegenheit ausgeht. Der große Denkfehler der USA liegt in der Annahme, dass, wenn man die Herrscher anderer Kulturkreise nur eliminiert, die jeweiligen Bevölkerungen nichts sehnlicher wünschen als den American Way of Life. Da sich diese These jedoch empirisch nicht belegen lässt und die Nachkriegsordnungen, die durch die gewaltsamen Aktionen entstanden sind, alles hervorgebracht haben, nur keine westliche Demokratie, stellt sich die Frage nach der Richtigkeit der These. Nur stößt niemand auf diese Frage, zumindest nicht im offiziellen und öffentlichen Diskurs.

Die Frage wäre allerdings das Portal, das den Weg zu einer möglichen und nachhaltigen Friedensordnung öffnen könnte. Dass sie bewusst nicht gestellt wird, hat mit den Interessen zu tun, die sich hinter der Erzählung von der demokratischen Mission verbergen. Immer, in jeden Konflikt, geht es um Ressourcen, um Workforce und um Geostrategie. Das ist auch jetzt so und die Hitze der Debatte ist lediglich durch die geographische Nähe begründet. Wenn jetzt von den Claqueuren der ständigen Expansion von einer Zeitenwende gesprochen wird,  ist das eine grenzenlose Übertreibung, denn das einzige, was sich geändert hat, ist die eigene Bodentemperatur, sprich es wird heißer und aufgrund möglichen der direkten Konfrontation von NATO und in diesem Fall Russland ist die Option eines globalen Desasters gewaltig näher gerückt.

In einer solchen Situation sind Verstand und ein kühler Kopf die einzigen Garantien gegen eine tödliche Eskalation. Und was geschieht? Den Hitzköpfen, dem radikalisierten und hysterischen Mob, der im Krieg die einzige noch mögliche Option sieht, übernimmt unwidersprochen die Mikrophone und kreischt seine Parolen. Und diejenigen, die versuchen, den berühmten kühlen Kopf zu bemühen, sollen aus dem Feld getrieben werden. Und viele, denen es möglich wäre, für die Stimme der Vernunft zu plädieren, weichen zurück und heulen mit den Wölfen in der vagen Hoffnung, als Hunde überleben zu dürfen.