Unabhängig davon, wie sich die Delegierten auf dem SPD-Parteitag in Bonn entscheiden werden, ob sie sich noch einmal in eine große Koalition begeben wollen oder nicht, die Ära Merkel ist bereits zu Ende. Wie heißt es noch so treffend in der Revolutionstheorie? Nach einem Zustand relativer Ruhe folgt eine Phase rascher Veränderung. Und genau so wird es kommen. Das, was jetzt als endlos lange Zeit nach der Wahl bezeichnet wird, ist die Vorglut für politisch gravierend andere Verhältnisse. Und die Diskussion, die in diesen Tagen heftig um die Rolle der Sozialdemokratie geführt wird, geht am Thema vorbei. Das Thema ist der Sekundentod von Frau Merkel. Ihre Kanzlerschaft ist, betrachtet man ihre politischen Einflussmöglichkeiten, bereits beendet. Wenn sich die Sozialdemokratie von dem Bundespräsidenten aus den eigenen Reihen den Trugschluss aufoktroyieren lässt, es ginge bei der Rettung um Merkel gleich um die ganze Republik, dann ist das sehr bedauerlich, denn es geht einzig und allein um Merkel.
Bei der Rückschau auf die Reihe der deutschen Bundeskanzler ist es bemerkenswert, dass bei jedem sofort Stichworte aufblitzen für die Politik, die sie vertraten. Adenauer stand für die gnadenlose Einfügung der Republik in den Westen und für die Aussöhnung mit Frankreich, Erhard für die Theorie des Marktes, Willy Brandt für mehr Demokratie wagen, Helmut Schmidt stand vor allem für die Vermittlung demokratischer Pflichten und die Legitimation durch Verfahren. Bei Kohl, dem politischen Ziehvater Merkels, wird es bereits schwierig, irgend etwas zu finden, für das er stand, wäre da nicht das historische Geschenk der Wiedervereinigung gewesen, das er ohne Wenn und Aber entgegennahm. Doch wofür steht Merkel? In einer Welt, die sich während ihrer Regentschaft verändert hat wie selten zuvor. Bei der Antwort sollte man sich etwas Zeit nehmen.
Verlässt man sich auf die richtige Reaktion des eigenen Unbewussten, dann ist die Antwort: für nichts. Spontan fällt mir nichts ein, für das die Kanzlerin Merkel steht bzw. das als die politische Tat oder Einstellung genommen werden könnte. Stattdessen drängt sich die Beschreibung auf, dass sie unzählige Prozesse moderiert hat, und viele davon sicherlich auch zielführend und erfolgreich. Wären da nicht politische Tatsachenentscheidungen, die als solche nicht sonderlich erkenntlich waren, die jedoch die Realität in der Republik, in Europa und in der Welt verändert haben.
Da ist das Primat der wirtschaftliberalistischen Theorie, welches sich in der Rettung unseriöser Banken und in der Knebelung betroffener Volkswirtschaften äußerte. Da ist der US-NATO-Aggressionskurs gegen Russland, der das deutsch-russische Verhältnis nachhaltig ruiniert hat. Da ist die Allianz mit terroristischem Gesindel in Syrien, um wiederum den Eruptionen der US-Imperiums loyal zu folgen. Da ist die Schwarze Null, die zwar die Augen ihres dogmatischen Finanzministers haben glänzen lassen, die aber verhinderte, dass notwendige Investitionen in die Zukunft vorgenommen wurden etc. etc..
So, wie es scheint, gibt es für diese Politik im Land keine Mehrheit mehr. Darüber sollte man sich freuen und daraus keine staatspolitische Krise machen. Der Anteil der AFD-Stimmen im Parlament ist dieser Politik zu verdanken. Diese Politik jetzt fortzusetzen hätte zwei Dinge zur Folge. Die gesellschaftlichen Verwerfungen nähmen zu und die Sozialdemokratie wäre in dieser Form verschwunden. Der Wind wird kalt über die Hügel kommen. Muttis Tage sind gezählt. Nach einem Zustand relativer Ruhe folgt eine Phase rascher Veränderung.
