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Wut im Bauch allein reicht nicht!

Immer mehr Menschen laufen verzweifelt durch die Straßen und rufen nach einer Räson, die sie nicht finden. Räson ja, aber nicht die, die sie suchen. Sie sehnen sich nach dem, was ihr Leben geprägt hat. Nach der Überzeugung, dass man sich trotz unterschiedlicher Interessen auf einen Modus Vivendi einigen kann. Dass man in der Lage ist, andere Lebenskonzepte zu tolerieren, ohne sein eigenes dafür aufgeben zu müssen. Dass gerade die Fusion unterschiedlicher Perspektiven etwas Neues, Besseres erschaffen kann. Aber sie laufen immer noch herum, verzweifelt, hilflos, mit wachsender Wut im Bauch.

So langsam macht sich bei ihnen die Erkenntnis breit, dass sie ganz naive Illusionisten waren. Denn der Kapitalismus, in seiner vollen Blüte, diese Fleisch fressende Pflanze, hat sich mit dem Neoliberalismus ein Umfeld geschaffen, das nichts erschafft als Zerstörung. Und es wundert nicht mehr, dass die Guten geflüchtet sind. In die Gemächer der inneren Emigration, in die Keller der Vergänglichkeit und in die Stollen der Konspiration. 

Denn wer wollte es ihnen verdenken? Wenn sie das Gefühl hatten, von gekauften und bestochenen Chargen regiert zu werden? Wenn sich Vertreter einer militaristischen Sekte ohne Gegenwehr auf die Türme der Gesellschaft setzen konnten? Die jede Verletzung der eigenen Souveränität gut hießen, die sich erlaubten, die vitalen Strukturen der Gesellschaft zu zerstören, die alle Freunde vergällten und alle Wohlgesonnenen vergraulten? Wer kann sie dafür tadeln, dass sie sich so ekelten, dass sie für eine Weile wie gelähmt waren? Dass sie es nicht mehr ertrugen, wie alles, was sie mit erschaffen hatten, wie Sperrmüll vor die Tür gestellt wurde? Und dass sie, bei dem Wissen, das sie hatten, ahnten, dass danach nichts Besseres kommen würde.

Sie fühlten sich zurück versetzt in die Zeiten, als sie begonnen hatten, sich gegen die zivilisatorischen Trümmer eines Desasters zu stellen, die aus einem Schauspiel resultierten,  das jetzt von neuem aufgeführt wurde. In dem das Elend nicht an seiner Wurzel gepackt wurde, sondern auf Feindbilder projiziert wurde, die mit dem Grad der eigenen Verelendung nichts zu tun hatten. Und es hatte funktioniert, bis alles im Trümmern lag.

Und jetzt wiederholt sich das Spiel. Die Orgien der Zerstörung sollen als das normalste der Welt angesehen werden. In aller Frivolität werden die Verbrechen, an denen man sich beteiligt, auch noch als eine Verteidigung glorreicher Werte tituliert. Sehen Sie sich doch die Schergen an, die da im Licht der Öffentlichkeit gehandelt werden: Würden Sie mit denen ein Projekt beginnen? Würden Sie solche Figuren einstellen, wenn Sie jemanden suchten, der etwas Positives bewirken sollte? Würden Sie Ihnen Ihre persönlichen Angelegenheiten anvertrauen? Würden Sie sie Ihren besten Freunden empfehlen, wenn diese in Not wären?

Wir brauchen nicht  über diese miserable Auswahl diskutieren. Sie spielen nach besten Möglichkeiten ein Spiel, das von Grund auf falsch ist. Für alle, die in Frieden leben wollen. Für alle, die souverän über ihr Leben entscheiden wollen. Und für alle, die ohne existenzielle Not ihr Dasein gestalten wollen. Mit dem Ensemble, das momentan auf dem Podest steht, ist das nicht zu machen. Und es hilft nichts, fluchend durch die Straßen zu laufen. Wie formulierte es Bert Brecht noch?

Wut im Bauch allein reicht nicht! So etwas muss praktische Folgen haben!

Monsieur Voltaire und das Grundgesetz

Jetzt wird alles noch schöner und bunter. Nicht die Lebensformen. Vertun Sie sich da nicht. Wenn wir uns alle einmal vor den Spiegel stellen und uns ansehen, müssen wir leider zu dem Ergebnis kommen, dass von Diversität keine Rede sein kann. Im Alltag, der uns prägt, ist vom Dress Code bis hin zur Ernährung das meiste Massenware und recht einheitlich. Das sieht, wenn sich jetzt Widerspruch meldet, in anderen Ländern durchaus anders aus. Wir hier, in Germanistan, stechen nicht so gerne hervor. Aus der großen Masse. Dass sich die Warenanbieter das zunutze machen, versteht sich von selbst. Zumal die Abweichung vom Standard heute noch an den Verdacht gekoppelt ist, dass da irgendetwas nicht stimmen kann. Nur an den verordneten Events, bei denen Diversität gefeiert wird, ist alles erlaubt. Aber wehe, dort hält sich niemand an den Dress Code! 

Ja, es ist schwierig. Aber schlimmer noch als die Kleidung, die Art und Weise, wie man sich fortzubewegen gedenkt, was man isst oder trinkt, ist die Uniformität der Meinung. Nicht, dass es nicht erlaubt wäre, einen Blickwinkel öffentlich zu machen, der vom Gros der monopolisierten Meinungsmache abweicht. Das steht sogar im Grundgesetz, dessen Geburtstag gerade noch durch schreiende Reden derer gefeiert wurde, die noch vor kurzem Grundrechte einschränkten und heute ihre Motive hinter Druckerschwärze zu verbergen suchen. Du darfst alles sagen, du darfst das öffentlich machen, du darfst gehen, wohin du willst und du darfst dich verbünden, mit wem du willst. 

Was nicht in diesem ehrwürdigen Schriftstück steht, ist die Notwendigkeit, die Freiheit von anderen aushalten zu müssen. Das ist sogar die Grundbedingung, damit so ein Gesetz wirken kann. Ein Voltaire wusste das bereits, als man die Ideen für eine neuzeitliche Demokratie verschriftlichte. Heute will man davon nichts mehr wissen. Das martialische Gekeife, das aufkommt, sobald einmal eine Meinung auftaucht, die der veröffentlichten Version von Wahrheit zuwiderläuft, dokumentiert eine andere Analyse, die ebenfalls von Voltaire stammt. Wenn du wissen willst, wer dich beherrscht, dann betrachte das, was du nicht sagen darfst. 

Menschen, die gelernt haben, gesellschaftliche Prozesse zu analysieren, können mit dieser These etwas anfangen. Sie sammeln seit einiger Zeit alles, was momentan als demokratiefeindlich von Regierung wie Pressemonopol bezeichnet wird. Was dabei herauskommt, ist ein Bild, das die Form von Herrschaft umreißt, mit der wir es zur Zeit zu tun haben. Einer dieser Analytiker drehte das Bild vor kurzem in einer Publikation um. Er nannte, um aus den gegenwärtigen Dilemmata herauszukommen, drei strategische Ziele, die genau das beschreiben, was die gegenwärtig Herrschenden hassen wie den Leibhaftigen: Frieden, Souveränität und Wohlstand.

Das klingt harmlos, was es auch in Zeiten einer entspannt handelnden Zivilisation wäre. Es beschreibt jedoch genau das,  was schmerzlich vermisst wird, wenn man an das gerade so gerne missbrauchte Grundgesetz denkt. Das steht nichts von Krieg, es sei denn zur Verteidigung, da steht nichts davon, dass man die nationalen Interessen fremden Mächten unterordnen müsse und da steht nichts von einer krassen Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich! Lassen Sie sich das durch den Kopf gehen! Die Verfassungsfeinde sind unter uns. Und sie zeigen mit dem Finger auf alle, denen das bewusst wird und es auch noch laut sagen. Aber Vorsicht! Da sei noch einmal Monsieur Voltaire zitiert:

„Alles was du sagst, sollte wahr sein, aber nicht alles, was wahr ist, solltest du auch sagen.“

Deutsche Einheit: Right to be wrong?

Gerade läuft, ganz ohne Inszenierung, Right to be Wrong von Joss Stone und erfüllt den Raum mit einer gar nicht so verbreiteten Einsicht. Bei der Überlegung, was wohl nach drei Jahrzehnten nach der deutschen Vereinigung/Wiedervereinigung/Restvereinigung/Restanschluss und wie es auch immer genannt wird fehlt, drängt sich genau die Botschaft dieses Musikstücks auf. Nach allem, was nach dem großen imperialen Plan und seinem Desaster gefolgt ist, hatte die Möglichkeit, sich auch irren zu können, nie eine Chance. Zunächst durch die Teilung und die Existenz zweier Systeme unmöglich gemacht und dann fortgesetzt durch die Epoche, die unter der Überschrift „Alternativlos“ in die Geschichte eingehen wird, kam nie die Unbefangenheit auf, die herrscht, wenn man weiß, dass Fehler nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich sind. Und sein dürfen!

Und immer wieder herrschte das Mantra „Kein deutscher Sonderweg!“ Wenn es sich auf das Spezifikum eines mystischen, tief aus den dunklen Wäldern Germaniens stammenden anti-zivilisatorischen Impuls handelte, dann und ist diese Warnung sicherlich berechtigt. Wenn es sich aber darum handelt, wie man eine Nation zusammenfügt, wieviel Souveränität dazu erforderlich ist, wie eine Verfassung auszusehen hat, die eine Autonomie sichert, die nicht auf Kosten Anderer zustande kommt, dann muss das nicht der Weg sein, der ins Verderben führt. Und genau das gehört zu dem Kapitel, das immer dann aufgeschlagen wird, wenn es um die ureigensten Angelegenheit derer angeht, die unter der Bezeichnung eines Staatsvolkes in der juristischen Literatur zu finden sind.

Irgend etwas ist schief gelaufen. Und das, was seit den Tagen der Tyrannei, des Überfalls auf andere Länder und der schmutzigen Bündnisse geblieben ist, ist das Dogma. Das Dogma, bei allem, was getan wird, immer auf der richtigen Seite zu sein und allen, die eine andere Auffassung vertreten, zum inneren wie äußeren Feind zu erklären. Wer sich dieses inquisitorischen Instrumentariums bedient, darf sich nicht wundern, wenn aus der Trauer, die aus dem Unverstandensein erwächst, irgendwann Wut wird, die dann zur Arroganz gerinnt und in eiskalter Berechnung endet. 

Hört man die heutigen Reden, dann wird immer wieder die Spaltung der Gesellschaft geleugnet, um sie umgehend mit neuem Material zu befeuern. Das ist die Logik derer, die meinen, sie machten nie Fehler, sie hätten immer Oberwasser und alles bliebe immer so, wie es zur Zeit ist. Dass dem nicht so ist, kann jeden Tag den Nachrichten entnommen werden. Und dass daraus gesellschaftlich nichts gelernt wird, steht ebenfalls täglich in den Zeitungen. Aus dem mit so vielen Hoffnungen behafteten Akteur, der sich vor dreißig Jahren auf der europäischen Bühne zurückmeldete, wurde durch die Logik derer, die die Geschicke getrieben haben, ein Kranker.

Wie kann man diejenigen, die glaubten, zu neuen Ufern aufzubrechen, das Trauma nehmen, das sie erlebten, als sie begannen zu glauben, in der alten Welt wieder aufzuwachen? Und wie kann man denen, die längst geglaubt hatten, auf der Himmelsleiter bereits zu wandeln, das Entsetzen entreißen, dass sich bei einem tatsächlichen Abstieg einstellte? 

Es sind zwei Dinge, die vielleicht Heilung versprechen könnten: Tatsächliche Souveränität und das Recht, Fehler machen zu dürfen. Beides ist teuer, sehr teuer. Doch wer den Preis nicht zahlen will, der hat auch nichts zu beklagen.