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Ein kaltes Herz ist tot

Nichts, was den durch die Weltfinanzkrise ausgelösten neuen Krieg der ökonomischen Interessen zügeln könnte. Dieser Krieg tobt. Das Gefährliche daran ist, dass hier in Deutschland noch nicht viel davon zu verspüren ist. So etwas endet meistens mit einem bösen Erwachen. Garant für eine zunehmende Isolation Deutschlands ist der Dogmatismus eines Wolfgang Schäuble und die hirnrissige Selbstüberhöhung von Ökonomen vom Schlage eines Hans-Werner Sinn, die meinen, sie könnten mit ihren beschränkten monodisziplinären Theoremen die Welt erklären. Hier bietet ihnen niemand die Stirn, weder dem schnarrenden Politiker noch den anmaßenden Ökonomen. Astronomische Außenhandelsüberschüsse hier, eine markante Schere zwischen Arm und Reich dort, die Totalverschuldung auf der einen Seite, die soweit reicht, dass sich viele Menschen keine Herztabletten mehr leisten können und auf der anderen Seite die Schwarze Null, die den grenzenlosen Reichtum ziert.

Es wäre die Zeit für eine politische Bewegung, die sich diesem Irrsinn entgegenstellt. In den USA wie in Großbritannien hat sich gezeigt, was passieren kann, wenn die Politik die Hegemonie verliert. Der Brexit war ein Sieg der ökonomischen Bellizisten in Großbritannien, die Wahl in den USA war die Rote Karte für die wirtschaftsliberalistischen Globalisierer und Macrons Durchmarsch in Frankreich die Insolvenz eines ganzen politischen Systems. Die einzige Hoffnung, die sich in allen drei Fällen von ihrer charmanten Seite gezeigt hat, waren die Achtungserfolge der Herren Corbyn, Sanders und Melenchon. Sie hatte die Courage, das von den Finazphantasten als unzeitgemäß belächelte und abgetane Programm sozialer Demokratie aktiv und aggressiv zu bewerben: Primat der Politik, gesellschaftliche Leistungen für alle, die sich auf dem Markt nicht bedienen können, vernünftige Löhne, gute Bildung, die Zivilisation beflügelnde Kultur und eine moderne Infrastruktur.

Gegen dieses Programm der sozialen Demokratie steht nur die Maxime des absoluten Gewinns. Der Rest spielt keine Rolle. Wer sich profilieren will, ist gierig. Das hat auf viele einen solchen Charme, dass es sich sogar in die Kollektivsymbolik eingeschlichen hat. Wen man als gierig beschreibt, der ist zielstrebig und ein richtiger Profi. Es ist die Vergötterung des Egoismus, die Verherrlichung der Ellenbogengesellschaft und die vermeintliche Schönheit des kalten Herzens. Doch wenn das Herz kalt ist, dann ist es auch tot.

Die Courage des Labourmannes Corbyn, des Demokraten Sanders und des Sozialisten Melenchon ist ein großartiger Hinweis auf die Optionen, die immer noch bleiben. Von wegen alternativlos. Diejenigen, die so reden, haben den Boden unter den Füßen längst verloren und halluzinieren ihrem eigenen Ende entgegen. Das einzige, was die Gemeinwesen noch retten kann, ist die Abwahl der Alternativlosen. Sie haben es nicht gebracht, sie haben herum laviert in den verschiedenen, teilweise teuflischen Koalitionen des Beutezugs, aber sie haben den Ländern keinen Kurs verschafft, der Gewissheiten darüber geben könnte, wie Krieg, Umweltzerstörung und Verwerfung aufzuhalten wäre. Besoffen von einer sie bis zum Exitus zitierenden Propagandamaschine, sediert von demoskopischen Tranquilizern, sind sie auf den Punkt zugetrieben, der jetzt nach Entscheidung ruft.

Ließe man sie weiter machen, wie sie es bisher getan haben, dann würde weiter aufgerüstet, ganze Landstriche und Nationen würden weiter verwüstet, die kulturelle Öde, die heute bereits herrscht, würde zum Normalzustand. Es ist an der Zeit, den Wechsel wie den Wandel vorzubereiten. Wer jetzt auf Zeit spielt, der hat nichts Gutes mehr im Sinn. Der hat sich bereits entschieden für das Weitermachen nach der alten Weise.

Kobolde erklären die Welt

Die Szene von Friedrich Dürrenmatt beschrieb das Problem in der wohl eindrücklichsten Weise. Da sitzt der Wissenschaftler, der monatelang nach der Formel für die H-Bombe geforscht hatte, letztendlich mit Erfolg, erschöpft und glücklich an seinem Schreibtisch und lässt den Blick schweifen. Dabei sieht er seine Blumen, welk und verdorrt, er hatte sie völlig vergessen in seinem Eifer. Nun betrachtet er sie und weint, weil sie nicht mehr sind.

Die Spezialisierung und die Verfleißigung der Disziplinen sind das Ergebnis einer Revolution des Geistes. Nur durch die Aufklärung konnte der Weg frei gemacht werden für die bedingungslose Verfolgung des Details. Dass damit der Blick für das Ganze, vor allen von den größten Spezialisten, verloren gehen und sich dadurch eine fatale Wahrnehmung der Welt ergeben kann, gehört zu den Gefahren, die die Aufklärung mit sich brachte.

Der Blick für das Ganze ist in unseren Tagen, die eine Rückschau auf das Weltgeschehen bieten, die ermutigt und schockiert zugleich, in der die Irrtümer der Aufklärung mehr Opfer nach sich zogen als die Inquisition des Mittelalters, der Blick auf dieses Ganze ist die einzige Möglichkeit, gegen weitere Destruktionswellen ungeahnten Ausmaßes gefeit zu sein. Der Blick auf das Ganze außerhalb der rein privaten Lebenswelt ist das Metier der Politik. Ohne Politik existiert der Blick aufs Ganze nicht.

In diesen Tagen erleben wir jedoch eine andere Entwicklung. Im Zustand der Krise, die immer ein konzentrierter Ausdruck systemischer Spannungsfelder ist, kommen außer den Parteitrommlern kaum noch Menschen zu Wort, die durch ihre Fähigkeit zu politischem Denken und politischer Analyse bestechen. Selbstverständlich gibt es sie im Land, aber die offizielle Politik, d.h. die Regierung, sie besteht aus einem Personalkörper, der sich paradoxerweise des politischen Denkens entledigt hat.

Stattdessen, um dem Volk nicht die Politik, sondern den Weg der Regierung zu erklären, tauchen Vertreter genau der Gewerke auf, die Dürrenmatt in ihrer Weltverfremdung so treffend beschrieben hatte. Es sind immer dieselben, die sich aufdrängen, weil auch im Metier der Wissenschaften zuweilen noch ein Kodex herrscht, der verbietet, in fremden Wassern zu fischen. Diejenigen allerdings, die sich da medienwirksam verdingen, haben sich aller Kodizes entledigt. Wie der Ökonom mit dem merkwürdig verfremdenden Namen Sinn, der die Welt seinen Theorien anzupassen sucht. Was herauskommt ist eine Karikatur des Captain Ahab, einem Markenzeichen traniger Schuldentheorien. Oder jener Historiker Winkler, dem man wünschte, er verbrächte seine ganze Zeit beim Studium schwer zugänglicher Quellen, denn sein Predigerton bei der Erklärung der Welt macht auch ihn zu einer Karikatur. Absurdere historische Analogieschlüsse als er kann man nicht konstruieren, die Klügeren werden es sich sparen, seine als Standardwerke gepriesenen Bücher nach diesen Auftritten auch noch zu lesen.

Aber wollen wir gerecht sein! Letztendlich ist es nicht den erwähnten Zünften, der Ökonomie wie der historischen Wissenschaft, anzulasten, dass sie auch Kobolde hervorbringen, die sich im Besitz der Weltformel glauben. Die Kritik muss sich gegen die wenden, die keine politische Vorstellung besitzen, obwohl sie die Ämter von Politikern bekleiden. Sie sind es, die dabei sind, res publica, die Sache der Öffentlichkeit, aufgrund ihrer eigenen Phantasielosigkeit an Hasardeure und Scharlatane zu verschleudern. Die Hasardeure sind die Finanzoligarchen, die Scharlatane jene Wissenschaftler, die deren Spielerei auch noch als Notwendigkeit zu erklären suchen.