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Die richtige Seite? Gegen den Krieg!

Einige kommen zur Besinnung, andere nicht. Seit dem Beginn dessen, was mittlerweile zunehmend als Ukraine-Krieg bezeichnet wird, sammeln sich die Lager. Die einen sind entsetzt über die russische Invasion, verurteilen diese scharf und fordern den sofortigen Rückzug der russischen Streitkräfte. Die anderen versuchen, das russische Handeln mit einem jahrzehntelangen diplomatischen Versagen und einer kontinuierlichen Aufrüstung des Westens an der russischen Grenze zu erklären. Wollte man bösartig sein – und was, bitte schön, wäre in diesen Zeiten nicht passender? – dann könnte man der einen Seite ihre Geschichtsvergessenheit vorwerfen und der anderen, dass sie das schreckliche Jetzt ausblendet. 

Beiden Seiten ist gemeinsam, dass sie das System der vorherrschenden Logik nicht durchbrechen. Die Eskalation hat Hochkonjunktur und es fällt auf, dass dort,  wo man von den Kampfhandlungen am weitesten entfernt ist, das Kriegsgeschrei am lautesten zu vernehmen ist. Betrachtet man das Ausmaß der Sanktionen gegen Russland, so muss man nur bis Drei zählen, um sich ausrechnen zu können, wann die nächste Eskalation von russischer Seite kommt. Wer meint, durch diese Spirale das gegenüberstehende System destabilisieren zu können, ist naiv, wer diese Schimäre öffentlich verbreitet, ist ein Verbrecher. Und wer auf den Tyrannenmord setzt, sollte vorher noch einmal genau in den Spiegel schauen.

So deprimierend die Ereignisse auch sind, die gegenseitige Kriegshetze hat auch dazu geführt, dass sich zunehmend mehr Menschen aus der täglich verbreiteten Lügenwelt, die ein Krieg hervorbringt, verabschieden und sich die Ereignisse aus einer Art mentalen Distanz noch einmal ansehen. Und da entsteht ein differenziertes Bild, dass dazu führt, die Loyalität zu den Denkstrukturen der beteiligten Kriegsparteien aufzugeben und den wahren Charakter des erneuten, immer wiederholten und durch keinerlei der reklamierten Werte zu rechtfertigenden Blutbades zu erkennen. Es geht um Macht, Einfluss, Zugriff auf Ressourcen und Geld. Und wenn man sich ansieht, wer letztendlich von diesem konkreten Fall, dem Ukraine-Krieg, profitiert, dann hat man das System erkannt. Es sind die Rüstungsindustrien, es sind die Militärstrategen, die mal in Echtzeit die Gelegenheit haben, die eigenen Kräfte auszurechnen und die feindlichen zu beobachten. Es sind die Dogs of War, denen das Schicksal der Bevölkerung in der Ukraine, seien es ethnische Ukrainer oder Russen, unter dem Strich egal ist. Man freut sich über gigantische Waffenverkaufszahlen, man kann die eigenen Militärbestände modernisieren und den Schrott in die Ukraine liefern und man freut sich auf frische, gut ausgebildete Arbeitskräfte, die helfen, den hiesigen Mangel beheben und das Gehaltsniveau weiter drücken zu können. Wie nannte es noch Bill Clinton? It´s the economy, stupid!

Es mehren sich die Kräfte, die dieses durchschauen und es ist an der Zeit, die wohlmeinenden, reinen Herzen dabei zu unterstützen, zu erkennen, vor welchen Karren sie sich spannen lassen und dass denen, die ihnen suggerieren, sie setzten sich für Werte ein, die ihnen heilig sind, genau diese Werte völlig egal sind. Dutzende Kriege, zu denen das jetzt so laute politische Personal geschwiegen hat wie ein Grab, Tausende Menschenrechtsverletzungen, bei denen es desinteressiert aus dem Fenster geschaut hat und Abertausende von Täuschungen, bei denen es präsent waren, zählt plötzlich nicht mehr, wenn dazu aufgerufen wird, sich zu erheben über den bösen russischen Bären im Osten? 

Und allen, die reinen Glaubens sind, sei noch ein Hinweis gegeben: der Krieg in der Ukraine beunruhigt mehr, weil die Kriegsgefahr geographisch näher rückt, wir reden nicht über Afghanistan, Libyen, Syrien, den Irak oder den Jemen. Und der Mut, auf der richtigen Seite zu stehen, kostet noch nichts. Aber je näher er rückt, desto besser erkennt man das Preisschild, auf dem das eigene Leben steht. Die richtige Seite? Gegen den Krieg! Egal, von welcher Seite!

Wie wird die Zukunft aussehen?

Momentan gibt es keinen Guten Morgen mehr. Weder in der Ukraine, noch in Deutschland, noch in Russland. Die Beschränkung auf diese drei Länder soll nicht alle Regionen ausgrenzen, in denen sich Menschen Sorgen machen, wenn ein heißer Krieg geführt wird. Aber die drei von mir genannten Länder sind die eigentlichen Verlierer. Sie werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen, um sich von diesem Desaster zu erholen. Noch wird diese Perspektive ausgeblendet, weil das Spiel noch heiß ist und man auf der einen oder anderen Position glaubt, man könne das Spiel noch gewinnen. Kann man nicht. Keiner.

Die Ukraine, das Opfer, wurde vollumfänglich angegriffen. Auch wenn dort, sofern man im Moment irgendwelchen Medien Glauben schenken kann, entschlossen gekämpft wird und die russischen Invasoren auf einen Widerstand stoßen, mit dem sie nicht gerechnet haben, werden sie nicht standhalten können. Zu groß ist die Übermacht. Die Ukraine in ihrem jetzigen Zustand wägte sich in einer falschen Sicherheit. Sie wird nicht militärisch, sondern nur semi-militärisch und diplomatisch unterstützt und sie ist zum Objekt der Betrachtung geworden, wie schlagkräftig und durchsetzungsfähig die russischen Streitkräfte tatsächlich sind. Das Schicksal des Landes ist düster und es hängt von der Dauer bis zur Kapitulation ab, in welchem traurigen Ton die Zukunft gestaltet wird.

Russland, der Aggressor, hat sich bei der Einschätzung der Lage gewaltig geirrt. Die eigenen Schäden, d.h. die Anzahl der eigenen Toten und der vernichteten Kriegsmaschinerie wird weitaus höher sein als veranschlagt. Noch größeren Schaden wird jedoch die internationale Ächtung auslösen, ökonomisch, politisch und kulturell. Russland ist für Jahrzehnte aus Europa verschwunden. Nichts, keine Verträge mit China oder Indien, werden diesen Verlust wettzumachen imstande sein. Russland ist für Europa verloren und es wird eine tiefe Depression folgen. In Russland, aber auch im Rest Europas, auch wenn das im Moment kaum jemand wahrhaben will.

Und Deutschland? Deutschland hat in diesem heißen Konflikt gesehen, wo es wirklich steht. Ja, fest im Bündnis, werden viele sagen, aber wohl nur deshalb, weil es auf die Artikulation der eigenen Interessen verzichtet hat. Wenn die Mitgliedschaft in der Gemeinde der Freien darin besteht, die eigenen Positionen nicht mehr vertreten zu dürfen, dann ist etwas gehörig schief gegangen. Unter dem Strich werden die Kosten der Sanktionen für Deutschland am größten sein, die Lieferung von Waffen an einen Kriegsgegner Russlands ist bereits de facto heikel, in Bezug auf die Kriegsparteien des II. Weltkrieges wahrscheinlich auch de jure. Einmal  abgesehen von dem alles ausdrückenden Bild, auf dem ein amerikanischer Präsident dem Bundeskanzler mitteilt, wann das Aus für Nord-Stream II besiegelt sei, wo eine Widerrede angebracht gewesen wäre, aber ein Schweigen nur demütigend war, hat die Zurückweisung der ursprünglichen deutschen Position durch die NATO, intensiv auf Verhandlungen zu setzen, die wahren Kräfteverhältnisse aufgezeigt.

Und ein weiterer Verlierer ist die deutsche Gesellschaft, der nach der bereits gravierenden Spaltung durch Corona nun eine zweite Entzweiung folgt. Und die Gesellschaft dokumentiert, dass sie nicht in Form eines demokratischen Diskurses damit umgehen kann, sondern in einer verhärteten, totalitären Logik nur noch in der Lage ist, den Hammer der Ausgrenzung zu schwingen. Freundschaften gehen zu Bruch, Ehen sind in der Krise, die Zahl derer, die dem Land den Rücken kehren wollen, nimmt dramatisch zu. Und eine große Mehrheit fühlt sich wie immer auf der Seite des exklusiv Guten. Sie verbietet es, nach Ursachen im eigenen Handeln zu suchen, das womöglich zu dem zweiten Desaster in kurzer Zeit geführt hat. 

Der Westfälische Frieden war das Dokument all derer, die sich nach dem langen, zehrenden Dreißigjährigen Krieg als Verlierer fühlten. In dem Dokument war zum ersten Mal die Denkweise zu erkennen, dass man bei der Interaktion mit anderen Staaten die Souveränität des anderen respektiere und auf den Versuch einer Intervention verzichte, auch wenn die inneren Angelegenheiten des Gegenübers widerstrebten. Der Westfälische Frieden war die Geburtsstunde der internationalen Diplomatie. Die Verletzung seiner Prinzipien ist seit langem zum Prinzip geworden. Und, leider muss so etwas auch und besonders in traurigen Momenten gesagt werden, einer der schlimmsten Elefanten im Porzellanladen war dabei das westliche Bündnis.

Wie wäre es, wenn der Rauch verzogen ist und die Akteure durch andere ersetzt sind, daran zu denken, dass die Verlierer dieses Krieges, Ukrainer, Russen und Deutsche, sich an einen Tisch setzten und versuchten, Regeln des friedlichen Zusammenlebens für die Zukunft zu entwickeln? Das klingt wie die Vision eines Phantasten. Dass allerdings in diesen Tagen gar nicht an die Zukunft gedacht wird, ist alles andere als phantastisch.

Nur das falsche Personal?

Der Kompass steht! Bundesaußenminister Maas, mit dem sein Amtskollege Lawrow nicht einmal mehr spricht, forderte, dass Europa gegenüber Russland Muskeln zeigt, Stoltenberg, der NATO-Generalsekretär, stellte fest, dass Gespräche mit Russland keine Verbesserung des Verhältnisses bewirken und Cem Özdemir, seinerseits ebenfalls voll auf Kurs, kam zu der Erkenntnis, dass das verschlechterte Bild seiner Partei im Internet auf Aktivitäten russischer Trolle zurückzuführen sei. Letzteres ist eine wunderbare Erklärung, wenn es mit dem grünen Höhenflug doch nicht so klappt wie erhofft. Parteiübergreifend hat sich anscheinend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die eigene, wachsende internationale Isolation wie die sich manifestierenden inneren Krisen nur eine Ursache haben. Russland ist die Erklärung für alles. 

Es ist müßig, auf die einzelnen Anlässe einzugehen, denn die Entschlüsselung der jeweiligen Virulenzen führt zu keiner Besserung. Liest man die einzelnen Äußerungen im Kompendium, dann liegt nur ein Schluss auf der Hand: Die Verhältnisse in Russland müssen geändert werden, und zwar nicht durch diplomatische Verhandlungen und kooperative Beziehungen, sondern durch massive, letztendlich militärische Konfrontation. Das ist, betrachtet man eine bestimmte Fraktion innerhalb der us-amerikanischen Administration, eine sehr zufrieden stellende Entwicklung, nur nützt sie weder Deutschland noch Europa. Sollte es zu einer heißen Konfrontation kommen, wird es nur verbrannte Erde geben. Von der norddeutschen Tiefebene bis nach Kamtschatka. Welche Werte dann über die verqualmten und verseuchten Ebenen schweben, ist letztendlich unerheblich, denn genießen wird sie niemand mehr.

In Russland, so ganz nebenbei, werden sich die Verhältnisse in nicht ganz so ferner Zeit verändern. Auch der dortige Präsident, der nach gemeinsamem Vernehmen hinter jeder Panne im Westen persönlich zu stecken scheint, ist ein biologisches Wesen, das wie wir alle ein Verfallsdatum trägt. Entscheidender ist da wohl der Wille der in Russland lebenden Völker, und ob diese sich mit Verhältnissen anfreunden würden, wie sie im Westen zelebriert werden, ist letztendlich fraglich. Auch wenn der globalisierte Supermarkt den Anschein erweckt, als seien die Bedürfnisse der Menschen auf der ganzen Welt gleich: alle Länder haben ihre eigne Geschichte, ihre eigene Kultur und ihre eigenen Werte. Wer den Irrglauben teilt, die existierenden Unterschiede seinen Zwangskonstruktionen, die darauf warteten, dass sie von den angenommenen, individualisierten Freiheitsvorstellungen des standardisierten Westens zerschlagen würden, hat zu lange intensive Bäder in der eigenen Befindlichkeitsblase genossen.

Doch wie ist es möglich, aus diesem Circulus vitiosus auszubrechen? Vielleicht mit der einfachen Erkenntnis, dass man sich darauf verständigt, die unterschiedlichen Autonomien als solche anzuerkennen und auf dieser Basis zu etwas zu kommen, was die den Unterschied der Spezies des Homo sapiens zu anderen Lebewesen ausmacht: die Kooperation. Möglichkeiten gäbe es genug, von militärischer Abrüstung über die Nutzung der natürlichen Ressourcen, Ursachen des Klimawandels, demographische Entwicklung, faire Handelsbeziehungen, Armutsbekämpfung, Bildung, Wohnverhältnisse, Mobilität. Heißt es nicht, nur wer nicht in Armut lebt und in einer intakten Umwelt zuhause ist, kommt dem Anspruch, Mensch zu sein sehr nahe?

Mit dem anfangs erwähnten Personal und seiner Haltung ist in dieser Hinsicht jedoch nichts zu machen. Der Eindruck wird täglich bestärkt, es mit egomanischen Kesseltreibern zu tun zu haben, die letztendlich nicht die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den eignen Ländern, geschweige denn dort, wohin sie mit ihren Aggressionen weisen, bewirken wollen und können. Wer ausschließlich vor dem Spiegel steht und seine Muskeln zeigen will, wer im Reden keinen Sinn mehr sieht und wer schon im Voraus weiß, wer letztendlich die Schuld trägt, wenn es schief geht, der kann in diesen Zeiten keinen positiven Beitrag leisten.