Schlagwort-Archive: Russland

Gute und schlechte Oligarchen?

Bei der Verwendung von Begriffen ist einiges ins Wanken geraten. Immer wieder drängt sich der Eindruck auf, dass ein falsch verwendetes Wort in der Geschwindigkeit eines Hurricanes mit einer neuen, der Etymologie nicht entsprechenden Bedeutung ein großes Publikum erobert. Davon existieren unzählige, sodass der geübte Rezipient auf den Verdacht stoßen muss, dass die Umdeutung von Begriffen zu einem System gehört, dass einen gewissen Zweck verfolgt. Letzterer kann nicht auf Sympathie stoßen, da massenhafte Fälschung noch nie als ein Indiz für Redlichkeit gegolten hat. Demzufolge ist es ratsam, die gebräuchlichsten Begriffe, mit denen der politische Diskurs bestückt ist, noch einmal unter die Lupe zu nehmen und auf ihre Wertigkeit zu überprüfen.

Wie es in dem einzigartigen Amtsdeutsch so schön heißt, soll aus gegebenem Anlass der Terminus des Oligarchen noch einmal beleuchtet werden. Die zentrale Bedeutung stammt von dem Substantiv der Oligarchie, welche nichts anderes bedeutet als die Herrschaft der Wenigen. Oligarchen wiederum sind, streng genommen, entweder Anhänger der beschriebenen Herrschafts- oder Regierungsform oder sie gehören selbst dem kleinen Kreis, der alles bestimmt, an. Schon bei dieser Herleitung wird deutlich, dass die kurrente Verwendung damit wenig zu tun hat.

Zum einen wird insinuiert, dass Oligarchen per se steinreich sein müssen, was in der ursprünglichen Definition nicht als Voraussetzung genannt wird. Zum anderen wird die formale Regierungsform eines Landes als Bedingung genannt, ob es überhaupt Oligarchen geben kann oder nicht. Sprich, in formalen bürgerlichen Demokratien ist, selbstredend, die Oligarchie keine offizielle Staatsform und folgerichtig gibt es auch keine Oligarchen. Dass allerdings in bürgerlichen Demokratien Menschen gibt, die offiziell keine politische Institution darstellen oder Funktion innehaben, die aber aufgrund ihrer materiellen und funktionalen Möglichkeiten große Machtfülle besitzen, um die Geschicke eines Landes maßgeblich zu beeinflussen, steht außer Frage. In Ländern wie der Bundesrepublik bevorzugen diese überaus einflussreichen Menschen, die durchaus in der Lage sind, Regierungen scheitern zu lassen, dass sie aus gesicherter Diskretion agieren, während sie in den USA dies offen machen. 

Dass in der hiesigen Wahrnehmung dabei sehr gute Exemplare und verabscheuungswürdige unterschieden werden müssen, passt zu der Verwirrung, die systematisch um den demokratischen Gedanken gestiftet wurde. Besonders der Präsidentschaftswahlkampf in den USA hat dieses manifestiert. Bei Figuren wie Bill Gates oder Taylor Swift lösten horrende Spenden für die Demokraten allgemeines Entzücken aus, bei Elon Musk auf der anderen Seite ist es gelungen, dass er mittlerweile als eine Inkarnation aus dem Reich des Bösen gilt. Letztendlich, wenn wir von Oligarchen reden, d.h. von einflussreichen Menschen, die die Politik maßgeblich bestimmen, unabhängig von abgehaltenen Wahlen, dann sind sie sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik vorhanden, nennen wir einmal, quasi als didaktischen Hinweis, Namen wie Liz Mohn oder Friede Springer. 

Das Absurde bei dem Diskurs, der um ein wie auch immer geartetes Phänomen wie das von Oligarchen kreist, ist die Tatsache, dass die russischen Oligarchen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion während des Zustandes der Anarchie zu ihrem Reichtum kamen, in dem sie sich teilweise ehemaliges Volkseigentum mit Mafia-Methoden unter den Nagel rissen, von dem späteren Präsidenten Putin an die Kette gelegt wurden. Den meisten wurde zwar der Reichtum belassen, ihr politischer Einfluss wurde konsequent unterbunden. 

Die gebändigten „Oligarchen“ Russlands nun aufzuteilen in Exemplare der despotischen Dekadenz oder Kämpfer für die liberale Demokratie ist genauso unsinnig wie die Aufteilung in Gut und Böse in der eigenen Sphäre. Verrate doch jemand derer, die sich in dieser begriffstrunkenen Wanne baden, was der Unfug mit dem Wesen von Demokratie zu tun hat. Außer dass ihr Diskurs ein Indiz dafür ist, dass vieles im Argen liegt.    

Weltmachtspiele: Geduld ist das große Pfund.

Je lauter das Geschrei, desto schwächer die Position. Alle, die sich im Metier des Aushandelns unterschiedlicher Interessen auskennen, vertrauen auf diese Erkenntnis. Und dort, wo die wahren Meister des Verhandelns sitzen, in Asien, zeigt ein Blick auf eine solche Runde, in der es um vieles, wenn nicht gar um alles geht, wo die Mächtigen und Starken sitzen. Da herrscht Ruhe, Bedeckheit und man ergreift selten das Wort. Alle, die am Tisch sitzen, wissen um diese Gravitationskräfte und man achtet sehr genau auf jede Geste, auf jeden Blickwechsel und zuweilen sogar auf das Führen der Teetasse. Und entschieden wird zum Schluss, dann, wenn sich die ersten erheben, quasi beim Verlassen des Raumes. Geduld ist das große Pfund. 

Betrachtet man die politischen Diskurse dagegen in unserer Hemisphäre, dann wird schnell deutlich, wie verworren und schwach die Protagonisten zu Werke gehen. Es wäre eine wunderbare Einsicht, zu erfahren, wie ein Xi oder ein Putin das Geschrei und sich gegenseitige Überbieten von Maßnahmen, Zielen und Schuldzuweisungen aufnähmen. Die Konsequenz ist denkbar einfach. Sie wissen um die Schwächen der Gegenseite, ohne ihre auf Irrationalität basierende Unzurechnungsfähigkeit zu unterschätzen. Da sitzen Feuerteufel mit am Tisch und man muss nur auf den einen Augenblick warten, um mit einer kleinen Geste oder Note dem wirren Spiel vielleicht doch noch eine Wende zu geben.

Ein weiterer Faktor bei dem Poker um Macht, Ressourcen und Kontinente ist die Angst. Sie ist vor allem im Westen zuhause. Kürzlich lief im Deutschlandfunk eine Reportage über die Gräuel der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia. Im Resümee hieß es, dort vergäße bis heute niemand, was den Menschen dort unter deutschem Namen angetan worden ist. Daran zu zweifeln ist nicht, aber warum glauben im politischen Geschäft gleich ganze Kohorten, die sich demnächst zur Wahl stellen, dass dort, wo alles weitaus schlimmer zugegangen ist als im bemitleidenswerten Namibia, sei bereits alles vergessen? In Russland, in China, in Indien? Wie verblendet muss man sein, um das anzunehmen? Und wie verroht, um daraus nicht die richtigen Schlüsse zu ziehen. Mit den Positionen, die heute vertreten und tausendfach herausgeblasen werden, wird das Bild des blutsaugenden Imperialismus und Kolonialismus aus dem Okzident runderneuert und erhärtet. Und sie wissen es, aber es wir aus monumentaler Angst verdrängt. Wer da noch vor sich her stammelt, „nie wieder“, kann nur die Niederlagen meinen, die der britische Kolonialismus in China und Indien und der deutsche Imperialismus in Russland erlitten hat. Aber, das zur Beruhigung, diese Niederlagen werden sich wiederholen, weil die strategische Einfalt das Krönchen trägt.

Zu allem Geschrei kommt noch die eigene militärische Inkompetenz. Die große Hoffnung ruht auf dem taumelnden Weltpolizisten, dessen Ruf ebenso besudelt ist wie der unter seiner Protektion stehenden Vorgänger und dessen Inneres auf einen revolutionären Zustand zusteuert. Und gerade deshalb sind die Schergen so auf Krawall gebürstet. Sie schreien nicht minder wie die hiesigen Mitspieler. Und auch das ist kein Indiz für Stärke. 

Es empfiehlt sich wirklich, sich die gegenwärtige Lage auf der Welt wie eine Verhandlung an einem großen Tisch vorzustellen und genau zuzuhören, was die einzelnen Parteien vorbringen. Dann wir schnell klar, wer die Trümpfe in der Hand hält. Wahrhaben will das niemand, hat man doch so oft gewonnen, ohne lange zu reden. Die Zeiten haben sich wirklich geändert. 

Fundstück, 30.04.2016

Ran an die russische Grenze

Das ging schnell. US Präsident Obama bekam, weil er so nett gefragt hat, schon bei seinem Besuch in Hannover grünes Licht von der Kanzlerin. Und es wird darüber berichtet, als handele es sich um eine kaum erwähnbare Prolongierung der Nutzung von Glühbirnen. Und entsprechend wird es auch in den Nachrichten verarbeitet. Diese Art, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen ist es, die die Radikalisierung zur Folge hat. Wer dabei meint, noch schlau zu sein, dem möge das gerne attestiert werden. Nur ist schlau leider nicht weise.

Worum geht es? Es geht um ein Gefühl! Ja, richtig gehört, und es geht nicht um das Gefühl, mit dem die Stadt Köln einst eine Marketingkampagne startete, welches den unerklärbaren Charme der Stadt beschreiben sollte, sondern es geht um das Gefühl einer Bedrohung. Namentlich aus Polen und aus den baltischen Staaten wird immer wieder formuliert, sich von Russland bedroht zu fühlen. Historisch ist das verständlich, allerdings gehen diese Erfahrungen zurück in das zaristische Russland und die Sowjetunion. Weder Polen noch die baltischen Staaten haben seit Gründung der russischen Föderation solche Erfahrungen gemacht. Sie begründen die Bedrohungsangst mit den jüngsten Ereignissen in der Ukraine. Und dann kommt wieder die Besetzung der Krim durch Russland. Ja, der Traum von NATO-Raketen auf der Krim, quasi im russischen Hausflur, der war sehr groß. Und wenn es so ist, wenn aus Träumen nichts wird, dann herrscht ein knurriger Kater.

Die Bundesregierung jedenfalls hat dem amerikanischen Ansinnen nachgegeben und sich bereit erklärt, aufgrund des subjektiven Bedrohungsgefühls erstmal 1000 Soldaten mit an die litauisch-russische Grenze zu schicken. Das ist, abgesehen davon, ob die Begründung dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entspricht, was bezweifelt werden kann, eine völlig neue Qualität. Mit dieser Perspektive hätte es nie eine Wiedervereinigung gegeben und so verhalten sich unzuverlässige Akteure, mit denen Verhandlungen unsinnig sind. Im Grundgesetz wurde recht eindeutig formuliert, dass die Streitkräfte nur einen Zweck haben dürfen, und zwar den der Landesverteidigung. Ob sich dritte, territorial woanders befindliche Bündnispartner bedroht fühlen, hat damit nichts zu tun.

Und natürlich fällt die Fassade einer nonchalanten Aktion sehr schnell in sich zusammen, wenn bekannt wird, dass es mit dieser erweiterten Maßnahme, die der direkten Verlegung einer weiteren kompletten amerikanischen Panzerdivision direkt an die russische Grenze folgt, vornehmlich der Abschreckung diene. Es gilt also viel zu lernen in Bezug auf Deutschlands neue Rolle, die zum Teil von preisgekrönten Historikern als das beschreiten des normativen Wegs in den Westen beschrieben wird. Das ist ideologische Akrobatik in einem hoch aggressiven Kontext und stellt alles in den Schatten, was ansonsten als Richtungsstreit in der Politik bezeichnet werden kann.

Es war zu lernen, dass die deutsche Demokratie am Hindukusch mit verteidigt werden müsse. Dabei ging und geht es um den Zugriff auf strategische Rohstoffe, was als kleine Hauswahrheit selbst zum Scheitern eines Bundespräsidenten beitrug. Und es ist zu lernen, dass die EU sich direkt an die NATO gebunden hat, um Märkte im Osten zu erschließen und den militärischen Griff direkt an die russische Grenze zu legen. Wer da noch meint, es ginge um Philanthropie gegenüber den angstschlotternden ehemaligen Opfern zaristischer oder sowjetischer Expansionspolitik, der darf für sich ein sonniges Gemüt reklamieren, sollte sich aber aus politischen Analysen mit Brisanz konsequenterweise heraushalten.