Schlagwort-Archive: Robert Harris
Königsmord, Flucht und Verfolgung
Robert Harris. Königsmörder
Immer, wenn sich Robert Harris mit historischen Stoffen befasst, geht es um alles. Das, was allgemein als Universalthemen bezeichnet wird, findet Eingang in das jeweilige erzählerische Werk. Es geht um nichts weniger als Macht, Betrug, Liebe, Hass, Furcht, Ranküne, Verletzlichkeit, Krieg, Gewalt. So auch in seinem neuen Roman, der den schnörkellosen Titel „Königsmörder“ trägt. Die historische Folie bildet die Restaurationsphase nach dem Niedergang der Revolutionsbewegung eines Oliver Cromwell und dem von König Karl II. erlassenen Generalpardon. Bis auf eine Ausnahme: All jene, die noch leben, und ihrerseits durch ihre Zeichnung des Todesurteils für seinen Vater, Karl I., dingfest gemacht werden können. Ihnen droht weitere Verfolgung und eine bis ins unappetitliche Detail beschriebene Hinrichtung nach allen Regeln einer bestialischen Despotie.
Die eigentlich Geschichte befasst sich mit zwei ehemaligen Offizieren Oliver Cromwells, die das Todesurteil mit unterschrieben hatten und nun auf der Flucht vor den Häschern des neuen Königs sind. Es verschlägt sie in die neue Welt, d.h. nach Neu-England, wo sie Unterschlupf suchen und bei den Puritanern, die Cromwells Revolte unterstützt hatten, auch erhalten.
Wie immer gelingt es Harris, eine an Spannung nicht zu überbietende Geschichte zu erzählen, die als Aktionsstränge beide Seiten gleichberechtigt beinhaltet. Hier der Weg der Flüchtenden, dort die Aktionen der Verfolger, dort die provinzielle und andererseits noch wild existierende Welt jenseits der Ozeans, hier das restaurierte, satte und etwas dekadente London. Das 17. Jahrhundert breitet sich in seiner zivilisatorischen Vielschichtigkeit aus. Und es zeigt sich, dass die Vorstellung, es auf der einen Seite mit dem lupenreinen Fortschritt zu tun zu haben und andererseits mit einer homogen archaischen Restauration, ein naiver Glaube ist.
So erlebt die Leserschaft muffige, reaktionäre Milieus, die gegen den neuen König agieren, und sie sieht englische Akteure, denen Ranküne fremd ist und die mit einem wohltuenden Pragmatismus in die Zukunft blicken. Wie gesagt, das trifft auf Milieus, aber nicht auf die Protagonisten zu. Die sind, bis auf die Abnutzungserscheinungen, die Jahrzehnte in einer menschlichen Biographie ausmachen, ihrer ideologischen Weltsicht verhaftet bis zum Schluss. Gäbe es da nicht eine Ausnahme, nämlich die eines der beiden auf der Flucht befindlichen Offiziere, der nach Jahren beginnt, seine Erinnerungen aufzuschreiben und dem die eigene Verbohrtheit und Indoktrination zunehmend Zweifel auftischt.
Dass die beiden Flüchtlinge nicht gefasst werden, der eine durch seinen natürlichen Tod entkommt und der andere Zeuge der immerwährende Liebe wird, die ihn beschützt und der obsessive Häscher vor seinen Augen sein Ende findet, ist ein Konstrukt des Erzählers und historisch nicht belegt. Wie die Geschichte tatsächlich ausging, ist bis heute offen.
Robert Harris wäre nicht der geschätzte Erzähler und Enthüller, wenn nicht auch in diesem Roman Figuren aufträten, die verdeutlichen, wie zynisch die Geschichte selbst zuweilen agiert. Da werden einstige Cromwell-Rebellen in Amsterdam vom englischen Geheimdienst hochgenommen, nachdem ein dort lebender englischer Landsmann, der die Seiten gewechselt hat, seine einstigen Mitstreiter denunziert hat. Sie werden verhaftet, nach London verfrachtet und dort mit den erwähnten brachialen Methoden hingerichtet. Der Denunziant machte dann noch beträchtlich Karriere. Der Mann hieß George Downing. In der nach diesem Denunzianten benannten Straße residiert bis heute der britische Ministerpräsident.
Ein typischer Harris. Spannend, zum Denken anregend, und trotz der historischen Ferne stets aktuell.
- Herausgeber : Heyne Verlag (2. November 2022)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 544 Seiten
- ISBN-10 : 3453273710
- ISBN-13 : 978-3453273719
- Originaltitel : Act of Oblivion
Wenn sich die irdische Macht einschleicht
Robert Harris. Conclave
Und wieder ein Thriller, der über den reinen Spannungsbogen hinausgeht. Robert Harris steht an der Schwelle zum Vielschreiber, was allerdings der Auswahl der Themen keine andere, kommerziell überbewertete Richtung gegeben hätte. Seine Ausflüge in die römische Geschichte waren sehr dem Thema zuträglich, genauso wie die unterschiedlichen Romane über den Faschismus in Deutschland und Europa. Meistens ist es Robert Harris gelungen, historisch-kritische Themen in das Gewebe einer spannenden Erzählung einzuflechten und somit einem größeren, nicht notwendig bildungsbürgerlich sozialisiertem Publikum zugänglich zu machen. Dass dabei die kritischen Aspekte nicht untergehen, gehört zu den besonderen Qualitätsmerkmalen des Autors.
Mit dem 2017 erschienenen Roman Conclave befasst sich Robert Harris mit dem jedes Mal weltweit beachteten Ritual der Papstwahl zu Rom. Die Leserschaft wird in diesem Buch Zeugin einer solchen Papstwahl. Letztere findet in der Jetzt-Zeit statt, bezieht sich in der Rückbetrachtung auf reale Figuren der Geschichte, ist aber auf der aktuellen Erzählfolie fiktiv. Das ist geschickt komponiert und vermittelt den Eindruck, einer tatsächlichen Papstwahl beizuwohnen und mitzubekommen, wie dieses Ritual vollzogen wird.
Neben der tatsächlichen, in einem festen Kodex vorgeschriebenen Chronologie erfährt das literarische Publikum aus den Augen des Zeremonienmeisters der Konklave, wie sehr plötzlich die irdischen Dimensionen der Macht eine zunehmend Bedeutung in diesem Prozess einnehmen. Die zur Wahl zugelassenen 118 Kardinäle aus aller Welt haben teils eine kontinentale, teils eine soziale Brille. Es existieren Traditionalisten wie Erneuerer, status- und machtorientierte Motivationslagen wie die Vorstellung programmatischer Verbesserung. Es wird fraktioniert, es wird intrigiert, es werden Konkurrenten ausgestochen, es werden Ablenkungsmanöver gestartet und es wird fraternisiert. Nichts, was bei den Kämpfen um die säkulare Macht eine Rolle spielt, wird in den Stunden und Tagen der päpstlichen Neuwahl ausgelassen.
Wie immer ist auch in diesem Roman die Erzählung stringent und Spannung erzeugend. Wie immer malt der Autor weder Schwarz noch Weiß. Und wie immer wird beim Lesen vieles deutlich, manches auch erschreckend deutlich, aber das dilettantische Instrument der moralischen Empörung findet keine Anwendung. Auch das ist positiv, weil vor allem hierzulande die moralische Indoktrination oft die einfachen Wege des Verstandes verstellt.
Stattdessen wird bei der Lektüre von Conclave nicht nur deutlich, dass die Protagonisten bei der Papstwahl, dem wohl wichtigsten Ritual in der Institution der katholischen Kirche, alle von dieser Welt kommen und ein fester Bestandteil derselben sind. Das mag für den einen oder anderen ernüchternd wirken, auf der anderen Seite ist es aber auch erlösend. Es erklärt, warum die menschlichen Gelüste und Schwächen etwas sind, das die gesamte Gattung anbetrifft und nicht vor denen, die spirituell oder real politisch etwas verändern wollen haltmacht.
Gerade dieser Aspekt trägt dazu bei, dass Conclave eben nicht zu den Dutzenden Büchern zählt, die einen Standpunkt an einem solchen Ereignis abarbeiten und kein klares Urteil suggerieren. In Conclave geht es um Schwierigkeiten, die entstehen, wenn eine spirituelle Idee sich in einer materiell existierenden Organisation widerfindet, in der die Gesetze herrschen, die alle sozialen Systeme durchdringen. Wem das gefällt, der sollte sich die Lektüre genehmigen.

Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.