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Seren und Narkotika

Wer kennt sie nicht, die mahnenden Ratschläge der Ärzte oder den Gesundheitsdiskurs in der Politik. Figuren wie der Sozialdemokrat Lauterbach sind sogar dazu angetan, die durchaus wichtigen Fragen der Gesundheitserhaltung mit dem Kabarett zu verwechseln. Gut im Gedächtnis geblieben ist eine TV-Diskussion mit Lauterbach und der grünen Politikerin Künast, die gefragt wurden, ob es zu viele Vorschriften und mahnende Hinweise und vor allem zu viele Dekrete seitens der EU gebe, die das Thema zu würdigen hätten. Das Fazit beider war, dass nicht zu viele Paragraphen zum Gesundheitsschutz, sondern zu wenige existierten.

Die Diskussion war, um im Bild zu bleiben, symptomatisch für eine gesellschaftliche Entwicklung und sie sollte nicht fest gemacht werden an den beiden Protagonisten dieses Gespräches. Wichtig ist jedoch die Tatsache, dass es für beide anscheinend sonnenklar ist, dass das Gros der Menschen nicht selbst beurteilen kann, was gesund ist und was krank macht. Natürlich existieren Bevölkerungsgruppen, die selbst nicht mehr kochen können und sich nur noch von Junk Food ernähren, natürlich gibt es Menschen, die sich zu wenig bewegen und natürlich gibt es Menschen, die zu Rausch- und Arzneimitteln greifen, um ihre Alltagsprobleme in den Griff zu bekommen.

Das Phänomen ist nicht neu, jedoch durch den aggressivsten Lobbyismus in der Geschichte der Pharmaindustrie zu einer Dimension gereift, die zu großer Skepsis veranlasst. Das nach-industrielle Zeitalter, das durch die Digitalisierung der Kommunikation beschrieben wird, hat es zu einer Dichte geschafft, die es vorher so nicht gab. Mit der Abnahme unmittelbarer Erfahrung und einer exorbitanten Entfremdung der Welt ist der Homo sapiens einer massiven Krise seiner sozialen Stabilität und einer wachsenden Diffusion der eigenen Identität ausgesetzt. Das, was er braucht, sind mögliche Orientierung, soziale Bindung, Solidarität und eine eigene Entscheidung. Die Objektivierung des Subjektes ist wahrscheinlich der größte Krisengenerator überhaupt.

In diesem Kontext mit Geboten und Verboten arbeiten zu wollen, wäre nur dann plausibel und verzeihlich, wenn sie einher gingen mit einem Plan zum Kompetenzerwerb und der eigenen Befähigung, die richtigen Entscheidungen zu fällen und richtig zu handeln. Aber gerade weil es nur um die Reglementierung derer geht, die zunehmend zu erkranken drohen, muss leider davon ausgegangen werden, dass wir es mit Brokern des Elends zu tun haben, die alles, was das Leben lebenswert macht zu den Störfaktoren rechnen und kriminalisieren, während die Arbeit und die damit einher gehende Form der Zivilisation in ihrer Generierung von Dysfunktionalität und Unglück tabuisiert werden.

Wir sind zeugen einer der großen Paradoxien dieser Moderne, betriebswirtschaftliche Modelle vollbringen das Kunststück, den Zweck der menschlichen Existenz, nämlich Leistung, Freiheit und Glück, in ein dissonantes System zu verwandeln. Die Leistung wird wie ein tödliches Serum isoliert und als Zweck verabsolutiert, während Freiheit und Glück als psychedelische Narkotika auf den Index gesetzt und gesellschaftlich verbannt werden. Da wundert es kaum, dass der Begriff von Gesundheit so kompliziert geworden zu sein scheint. Denn das, was sie immer war, zu leisten und das Leben in vollen Zügen zu genießen, wird ihr seit langem nicht mehr zugesprochen. Klapperdürr steht sie da, im Zustand der Askese! Und sie wundert sich, dass ihre Attraktivität so gelitten hat!