Ralf Rothmann. Im Frühling sterben
In Zeiten, in denen der Krieg näher kommt, aber kaum jemand aus eigener Anschauung weiß, was das im Detail bedeutet, ist es ratsam, mit denen zu sprechen, die selbst noch einen Krieg erlebt haben. Da wir in der glücklichen Situation waren, im Gegensatz zu anderen Regionen in dieser Welt, über Jahrzehnte weit weg von kriegerischen Handlungen zu leben, ist die Vorstellung vom Schlachthaus Krieg verblichen und diejenigen, die noch darüber erzählen könnten, sterben weg. Ein zweifelsohne exzellente Erzähler unter den zeitgenössischen Schriftstellern deutscher Sprache, Ralf Rothmann, hat, bereits im Jahr 2016, einen Roman verfasst, der die Geschichte seiner Elterngeneration als junge Leute im Krieg zum Thema hat.
In dem unter die Haut gehenden Werk mit dem Titel „Im Frühling sterben“ erzählt Rothmann die Geschichte zweier junger Männer in Deutschlands Norden, die noch an die Front gezogen werden und am Frontverlauf in Ungarn die Schrecken und den Wahnwitz eines Krieges erleben, der von den Aggressoren mit einem grausamen Zynismus und in dem Endstadium zumeist unter vielfältigem Drogenkonsum zu Ende geführt werden soll. Und obwohl Rothmann der Leserschaft die unbeschreiblichen Details der Vernichtung, des Leids und der Verstümmelung erspart, findet er Wege, um das ganze Drama plastisch werden zu lassen. Es sind eher lapidare Sätze, die ein gestochen scharfes Bild von der tatsächlichen Situation zeichnen, in der sich eine Aggressionsarmee auf dem Rückzug befand. Eine Kostprobe möge genügen:
„Dabei weiß inzwischen jeder, dass dieser Krieg nichts mehr bringt. Unsere Offiziere werfen ihren eigenen Leuten Handgranaten in die Hacken, damit sie überhaupt noch angreifen.“
Der Abgleich zwischen Propaganda und den tatsächlichen Verhältnissen ist grotesk und entpuppt sich mit dem heutigen Wissen als eine Stereotype des Krieges. Folgerichtig wird einem der beiden Hauptfiguren die innere Ablehnung des Kriegs zum Verhängnis und der andere repräsentiert das Gros derer, die davon gekommen sind. Manche Erlebnisse haben sie in ihrem Inneren verschlossen und bis zu ihrem Ende Jahrzehnte später niemandem erzählt. Es sind die nie gesichteten Kassiber des Grauens, die ein Krieg hervorbringt.
In einem Epilog schildert Rothmann den vergeblichen Versuch seinerseits, das Grab der Figuren, von denen er erzählt, noch zu finden. Es gelingt ihm nicht und was bleibt, ist die Stille. Es drängt sich der Begriff auf, den diejenigen, die zu den Augenzeugen des Massakers wurden, so oft benutzten und der aus der Mode gekommen ist: das Unsägliche.
Angesichts der Kriegsgeilheit, mit der wir täglich konfrontiert sind und der Leichtigkeit, wie zu einem Angriff geblasen wird in einem Land, von dem aus die größten Verbrechen der Neuzeit ausgegangen sind, sei diese schlichte, einfach erzählte und unter die Haut gehende Geschichte zur Lektüre empfohlen. Allen, die in ihrer Kriegsgegnerschaft Bestätigung brauchen und allen, deren Phantasie nicht ausreicht, um sich auszumalen, was der Krieg in der Lage ist anzurichten.
- Herausgeber : Suhrkamp Verlag; 7. Edition (8. August 2016)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 233 Seiten
- ISBN-10 : 3518466801
- ISBN-13 : 978-3518466803
- Abmessungen : 11.8 x 2 x 19 cm
