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Ein aberwitziges Synonym

Es ist seltsam. Immer wieder kursieren dieselben Zeilen in den Nachrichten. Die internationalen Geldgeber sind mit ihrer Geduld am Ende. Es werde endlich Zeit, dass Griechenland mit ernst gemeinten Reformen beginne. Vor allem der Internationale Währungsfonds betont unablässig die Notwendigkeit einer Neustrukturierung der staatlichen Verwaltung. Der deutsche Finanzminister versendet analoge Botschaften. Die griechische Regierung hingegen wird dargestellt als ein Konsortium von Verweigerern, die genau das Gegenteil von Reformen im Sinn haben und auf Zeit spielen. So entsteht der Eindruck, dass das Land der Schuldenmacher in den falschen Händen liegt und es so nicht weitergehen kann. Der Grexit, d.h. das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, wird nicht mehr als Schreckgespenst, sondern als Lösung angesehen.

Die Darstellung über die griechischen Verhältnisse, wie sie hier in der Öffentlichkeit existiert, steht in einem seltsamen Kontrast zu dem, was z.B. Vertreter der griechischen Regierung zum Besten geben, wenn man sich die Mühe macht, diese auch einmal zu fragen. Mittlerweile belegbar sind verschiedene Ersuchen seitens der griechischen Regierung an die Kreditgeber, sie bei strukturellen Reformen der Verwaltung mit Expertise und Know-how zu unterstützen. Denn tatsächlich ist sich auch Syriza bewusst, dass ineffektive Sektoren der Verwaltung ebenso existieren wie überflüssige. Das ist übrigens keine griechische Besonderheit, man sehe sich nur die jährlichen Berichte des Bundes der Steuerzahler hierzulande an.

Syriza geht allerdings davon aus, dass ein demokratisches Staatswesen, das den Namen verdient, zumindest gesellschaftlich notwendige Leistungen bereitstellt, von denen der freie Markt einen Großteil der Bevölkerung ausschließen würde. Die Leistungen, die laut der griechischen Regierung dazu gehören, sind die Versicherungssysteme bei Gesundheit und Alter, das Gesundheitssystem, Bildung und Infrastruktur. Die Regierung möchte auch diese Sektoren effektiveren und stellt den Rest der Verwaltung für weitere Reformierungen zur Disposition.

Nun sollte man meinen, dass ein derart differenzierter und vernünftiger Standpunkt von den Geldgebern honoriert werden müsse. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Antwort der Troika-Unterhändler ist auf die wiederholten Anfragen nach Unterstützung immer gleich geblieben: Reformen, wie ihr euch das vorstellt, können wir nicht. Wir kennen nur Kürzen! Damit ist die Strategie des freien Westens wieder einmal recht deutlich konturiert. Es geht darum, die essenziellen Funktionen eines demokratischen Staatswesens auszubeinen und zu filetieren, um sie danach zu privatisieren. Deregulierung, Liquidierung und Privatisierung sind die Maximen, nach denen das griechische Gemeinwesen momentan zerschlagen werden soll. Die Strategie folgt dabei einem Muster, mit dem vorher ein Großteil des alten Ostblocks saniert wurde.

Für die südeuropäischen Länder, denen momentan eine Sanierung á la Troika anempfohlen wird, ist es sinnvoll, ihren Blick auf Ökonomien wie die Polens zu werfen, um zu sehen, wie die eigene Zukunft aussehen könnte. Das Musterland des nach-kommunistischen Wirtschaftsliberalismus befindet sich längst in einer tiefen Stagnation. Es ist politisch erpressbar und nicht umsonst eines der aggressivsten Elemente hinsichtlich der NATO-Osterweiterung. Große Teile der Bevölkerung fristen ihr Dasein unter prekären Arbeitsverhältnissen und ohne gesellschaftliche Teilhabe, die Trennung zwischen Stadt und Land, Arm und Reich ist so brutal wie noch nie. Die Sanierungsprogramme der Troika folgen diesem Muster, eine Reform im Sinne einer positiven Gestaltung des Gemeinwesens ist von ihr nicht zu erwarten. Es wird höchste Zeit, die Täuschungsmanöver zu kompromittieren, in denen die Begriffe Reform und Zerschlagung synonym gebraucht werden.

Die Skandalisierung der Schulden und die Verbrennung öffentlicher Werte

Die Thematisierung von Schulden öffentlicher Haushalte ist so alt wie das Gemeinwesen selbst. Interessant ist die Tatsache, dass seit Bestehen von im Namen der Öffentlichkeit geschaffenen Institutionen die Tendenz zum Defizitären inhärent ist. Unabhängig, bei welcher Staatsform, unabhängig in welcher Epoche. Verwundern muss das nicht, denn es versteht sich nahezu von selbst, dass Dienste, die eine Gemeinschaft in Auftrag gibt, preislich so zu gestalten sind, dass alle Mitglieder derselben eine Chance haben, diese in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zu privaten Waren und Dienstleistungen, wo der Absatz durchaus interessant sein kann, wenn nur ein Teil der Gesellschaft über die notwendige Liquidität verfügt.

Dennoch neigen öffentliche Institutionen zu systemisch bedingter Ausschweifung, wenn die beauftragende Politik nicht ein scharfes Auge darauf wirft. Systeme, die einen Auftrag haben, achten trotzdem zuerst darauf, dass ihre Existenz gesichert ist. Erst wenn das gewährleistet ist, machen sie sich an die Erfüllung ihrer Aufgaben. Auch das war immer so und ist nicht abhängig von den verschiedenen Formen des Zeitgeistes. Was Fortschritt ist, bestimmen nie die Zeitgenossen, sondern immer erst die Generationen, die genügend Abstand haben, um verschiedene Phasen der Geschichte vergleichen zu können. Und es sollte sich herumgesprochen haben, dass zwischen Selbst- und Fremdbild nicht selten Abgründe klaffen.

Und obwohl die Mahnung angebracht ist, bei den Schulden öffentlicher Haushalte genau hinzuschauen und sie nicht ins Maßlose wachsen zu lassen, sollte nicht vergessen werden, dass es immer so war. Nun, seit einem Vierteljahrhundert, als die alte, bipolare Welt mit ihrer Systemkonkurrenz zusammengebrochen war, tanzt der ganzen Welt eine Ideologie auf dem Kopf herum, die die Schulden öffentlicher Haushalte skandalisiert. Es ist die Ideologie des Wirtschaftsliberalismus, die unterstellt, dass alles, was eine Gesellschaft braucht, auf dem freien Warenmarkt entsteht, sobald ein tatsächlicher Bedarf vorhanden ist. Ausgehend von diesem ideologischen Axiom wird unterstellt, dass der öffentliche Dienst, der in der Regel defizitär operiert, weil er die Leistung allen zugänglich machen muss, nicht in der Lage sei, ordentlich zu wirtschaften.

Die Forderung, die daraus resultiert, ist die nach einer radikalen Privatisierung der bisher erbrachten öffentlichen Leistungen. Damit wird das, was im politischen Willensbildungsprozess einer Gesellschaft als allgemein zugängliches soziales Gut definiert wird, auf den ordinären Warenmarkt geworfen und zwangsprostituiert. Leider, so das zu ziehende Fazit, hat diese Ideologie Einzug genommen in die meisten europäischen Regierungen und in die EU. Der deutsche Finanzminister zählt zu den triebgesteuertsten Vertretern dieser Ideologie und genau dort, wo es darum geht, Gemeinwesen systematisch zu zerstören, wie momentan im Falle Griechenlands, bläst er am kräftigsten das Horn der Attacke.

Leistungen, die aufgrund eines politischen Willensbildungsprozesses von den politischen Organen einer Gesellschaft in Auftrag gegeben werden, um gemäß ihrem Selbstverständnis das Dasein für alle zu gestalten, gehören zu den höchsten Gütern der Zivilisation. Und genau diese Leistungen sind es, gegen die momentan seitens der gewählten Regierungen hier in Zentraleuropa zu Felde gezogen wird. Das Ganze ist ein Widerspruch in sich: gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Regierungen negieren den Sinn ihre Auftrages und propagieren die Zerstörung des gesellschaftlichen Zivilisationsgrades. Der Feldzug des Wirtschaftsliberalismus gegen die Gemeinwesen wird momentan geführt durch Funktionäre, die sich für die Sabotage ihres eigenen Auftrages entschieden haben. Und der Aufschrei gegen die öffentlichen Schulden ist die Aufforderung, alle gesellschaftlichen Werte öffentlich zu verbrennen.

Die Rendite des Washington Consensus

Das Kalkül ist so kalt wie der Schwanz einer Natter. Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrtausends, als die Chicago School of Economics die geistige Herrschaft im Internationalen Währungsfond (IWF) übernahm, wurden verschiedene Kontinente und deren Länder von einer Doktrin überzogen, die mittlerweile auch in der Literatur mit dem Begriff des Schocks bezeichnet wird. Das, was als eine Ideologie von puristischen Marktwirtschaftlern bezeichnet werden muss, trug seitdem den irreführenden Namen des Washington Consensus. Mit dem unterstellten Konsens waren nicht die Länder gemeint, deren Schicksal mit der Doktrin bestimmt wurde. Konsens herrschte lediglich in den Kreisen der Designer der Rezeptur.

In den achtziger Jahren wurde diese Rezeptur vor allem Staaten in Südamerika verabreicht. Staaten, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren, mussten die bitteren Pillen schlucken, die auf dem Zettel des Washington Consensus standen. Heute kennt sie jeder: Geldverknappung, Liberalisierung des Marktes, Deregulierung und Privatisierung. Unabhängig von der spezifischen Struktur der Länder, die in die Krise geraten waren, das Rezept blieb das gleiche. Aus der Krise, die bestand, wurde ein Strukturwandel abgeleitet, der in der Regel Schlimmeres bereit stellte. Alles, was zur nationalen Identität beigetragen hatte, wurde eliminiert. Infrastrukturen zerschlagen, Sozialsysteme abgeräumt und Bildungsinstitutionen, wie armselig sie auch sein mochten, wurden dem Erdboden gleichgemacht. Das Resultat war eine Umverteilung des Reichtums: Wohlstand für Wenige, Armut für die Massen.

Lateinamerika folgten in den neunziger Jahren viele Staaten des ehemaligen Ostblocks und zur Jahrtausendwende Teile Asiens, vor allem deren Tigerstaaten. Und seit der ersten Dekade des neuen Jahrtausends sind es die Staaten, in denen die Arabellion für kurze Zeit Hoffnung auf neue Wege aufkeimen ließ. Ein Spezifikum sollte bei der Auflistung nicht außer Acht gelassen werden: Nach dem Niedergang des so genannten sozialistischen Lagers und der Marktliberalisierung in vielen dieser Staaten war es auch im europäischen Westen zumindest teilweise mit der Vorstellung eines eigenen Weges, der unter der Chiffre Soziale Marktwirtschaft lief, vorbei. Alles, was hierzulande als Demontage dieser Architektur zu beobachten ist, läuft nach der Rezeptur des Washington Consensus. Die Art und Weise, mit der die südeuropäischen Staaten bei den laufenden Krisen-Programmen unter der aktiven Mitwirkung des IWF traktiert werden, entspricht dem alt bekannten Dreischritt: Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung. Jetzt ist die Rosskur auch vor der europäischen Haustür angelangt.

Trotz der verheerenden Wirkungen dieser Programme spricht nichts für eine Kurskorrektur. Die Bundesregierung, federführend der deutsche Finanzminister, sind vehemente Verfechter der Ideologie des freien Marktes, der alles richten wird. Nur den Bedürfnissen der jeweiligen Nationen, denen entspricht er nicht. Dass nun, ausgerechnet aus Staaten, die bewusst seit der Jahrtausendwende destabilisiert und dann mit den Radikalkuren des IWF überzogen wurden und dessen Kredite dazu genutzt wurden, u.a. in deutschen Waffenschmieden großzügig einzukaufen, um die Gewinner in diesen Ländern an der Macht zu halten, dass nun aus diesen Ländern die Ärmsten der Armen die letzte Hoffnung in den wirtschaftlich prosperierenden Zentren suchen und sich in Nussschalen werfen, um dem Elend über das Mittelmeer zu entfliehen, ist nur folgerichtig.

Nun wird darüber nachgesonnen, wie man das menschliche Strandgut in den Ländern, aus denen sie fliehen, halten könne. Es ist eine rhetorische Frage, die an Zynismus nicht mehr zu überbieten ist. Jede Kreatur, die in den Wogen des Mare Nostrum ersäuft, ist eine Rendite auf den Washington Consensus.