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Pressefreiheit

Ein großes Wort. Heute ist der Tag, an dem sie gefeiert wird. In den Ländern, in denen sie nicht gewährt wird, erfordert die Berufsausübung eines Journalisten, der es mit der Wahrheit hält, nicht nur die Beherrschung des Handwerkszeugs, sondern auch eine gehörige Portion Courage. Wer die besitzt, muss immer wissen, wie hoch der Preis ist, wenn er sich den Maximen eines freien Journalismus verpflichtet fühlt. Die Länder, in denen es eine Gefahr darstellt, sind Legion. Die staatliche Reglementierung, Zensur und Sanktion finden sich in den Journalen der Verbände, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Obskurantismus anzuprangern. Ihnen ein Chapeau!

Was ich allerdings, leider wieder einmal, als einen von langer Hand geplanten Selbstbetrug oder auch eine inszenierte Täuschung nenne, ist die Gleichsetzung der formalen mit der tatsächlichen Pressefreiheit. Der Journalist Peter Scholl-Latour, der die Preise und Gefahren für einen freien Journalismus aus allen möglichen Ländern, in denen er recherchierte, zur Genüge kannte, und dem heute die Ehre zufällt, von untertänigen Schreibern rezensiert zu werden, ohne dass man sich die Mühe machte, seine Werke zu lesen, legte den Finger, wie so oft, in die Wunde. 

Er formulierte es so: Die Pressefreiheit in unseren Sphären ist das Recht von ungefähr 200 Personen, ihre Meinung und Sicht der Dinge einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Was er damit meinte? Dass die Besitzverhältnisse über die Wahrnehmung oder Nicht-Wahrnehmung von Fakten entscheiden und die Konzentration letzterer so weit fortgeschritten ist, dass von einer freien Presse beim besten Willen nicht mehr gesprochen werden kann. Und, um Missverständnissen vorzubeugen: diese Tendenz gab es schon immer, seitdem das Privateigentum an Produktionsmitteln gewährt wurde und damit auch alles, was man braucht, um eine Zeitung zu machen. Das pfiffen bereits die Spatzen im Paris des 19. Jahrhunderts von den Dächern. Nur hier, im aufgeklärten, aktuellen Westen, der mit seinem vom Narzissmus verklebten Augen nicht mehr bis zum nächsten Zeitungskiosk schauen kann, ist man ob einer derartigen Bemerkung befremdet, obwohl ein bis zu den Atmungsorganen monopolisiertes Pressewesen existiert, das längst auch das gedachte Gegengewicht, die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten, infiziert hat.  

Wer in einer Zeit der kollektiv kommunizierten uniformen Meinung und Weltanschauung von freier Presse spricht, verwechselt, um es zivilisiert auszudrücken, Form mit Inhalt. Und wer dann noch in die Kerbe schlägt, dass es sich bei einem Journalismus, der sich weder an das Wording noch die Weltsicht des korporierten Meinungswesens hält, um eine anti-demokratische Variante handelt, macht genau das, was eine freie Presse verhindern sollte. Er macht sich zum Fürsprecher der Propaganda. 

Aber vielleicht ist das auch alles zu viel verlangt. Vielleicht ist die gesellschaftliche Fähigkeit, sich mit Positionen auseinanderzusetzen, und nicht mit Etiketten, längst geschwunden. Und vielleicht ist die psychische Verfassung in dieser so musterhaften Gesellschaft derartig ramponiert, dass bestimmte Informationen, die nicht in die täglich propagierte Gewissheit passen, dem breiten Publikum nicht zugemutet werden dürfen.

Wenn Uniformität und Intoleranz die Debatten des öffentlichen Raumes dominieren, dann kann es mit der freien Presse nicht weit her sein. Dass alle, die in diesem System ihr Geld verdienen, da anderer Meinung sind, gehört zu den allerweltlichsten Befindlichkeiten. Und das gravierende Geschehnisse, die die Welt bewegen, in der allgemeinen Betrachtung nicht stattfinden, ist ein starkes Indiz für die These, dass es mit der Pressefreiheit nicht so weit her sein kann.  

Der Kampf gegen die Institutionen

Wer den Schutz der demokratischen Institutionen für sich reklamiert, bewegt sich bereits auf dünnem Eis. Denn es existiert ein selbsternanntes Monopol, das alle in die Schranken verweist, die nicht zum erlauchten Kreis der erleuchteten Sektierer gehören. Das Frivole und gleichzeitig Witzige daran ist die Tatsache, dass genau diejenigen, die mit Argusaugen über gesellschaftliche Vorgänge wachen, seit einiger Zeit selbst einen radikalen Kampf gegen die demokratischen Institutionen führen. Sie pfeifen auf gesellschaftliche Konventionen und missachten Gesetze und treiben es schamlos in aller Öffentlichkeit. Der Kampf gegen die Grundfesten der Demokratie tobt und die Instanzen, die einmal dazu gedacht waren, genau darüber zu wachen, wenn demokratische Institutionen gestürmt werden, spenden johlend Beifall.

Nicht, dass das alles über Nacht und auf einmal gekommen wäre. Nein, so etwas findet schleichend statt. Da beginnen die Sprecher von Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eine Sprache zu verwenden, die dem Ethos des journalistischen Gewerbes widersprechen. Es sind Worte der Vorverurteilung, der Diskriminierung und der Insinuierung. Sie benutzen zudem zum Teil eine Sprache, die allein den formalen Richtlinien der deutschen Sprache entgegenlaufen und grinsen dabei selbstbewusst in die Kamera. Und anstatt dass sie dafür gerügt würden, bekommen sie Lob und Anerkennung für ihr mutiges Auftreten.

Oder, das mittlerweile ein Massenphänomen, Menschen werden von wem auch immer eines Vergehens bezichtigt, und alles, was im großen Strom des zivilgesellschaftlichen Wohlbehagens dabei sein will, fällt über die Bezichtigten her und arbeitet eifrig an der Irreversibilität eines Urteils, das von den dafür vorgesehenen Institutionen noch gefällt werden müsste. Da ist noch keine Anzeige erstattet, da ist noch keine Ermittlung eingeleitet, da hat noch keine Staatsanwaltschaft angeklagt, und schon ist das Beil der öffentlichen Meinung bereits gefallen. Und nicht nur das. Auch die, die auf die Unschuldsvermutung und ein notwendiges rechtliches Verfahren verweisen, stehen gleich mit am Pranger. Wer sich die Frage stellt, wie das Plündern der Demokratie geht, der sehe sich diese Prozesse genau an.

Das Beunruhigende für alle, die glauben, sie lebten in einem Rechtsstaat, sind Quantität die Qualität derer, die sich an dieser Form des Kulturkampfes beteiligen. Es ist das Gros der Presse, es sind Politiker jeglicher Couleur und es sind die staatlichen Institutionen, die eingeschüchtert sind und sich mittlerweile hüten, gegen die Angriff auf sie selbst mit Konsequenz vorzugehen. 

Der Sprachmissbrauch und die kontinuierliche Parteilichkeit im Öffentlich-Rechtlichen müsste von den Kontrollräten unterbunden werden. Aber dort hütet man sich ebenfalls, weil sonst die Hatz durch die geölte Propaganda- und Kampagnenmaschine drohen würde. Und Staatsanwälte, die gegen die Vorverurteilung ohne gesetzliches Verfahren durch Presse und Politik vorgehen würden, sind bis dato nicht in Sicht. Stattdessen wird die mediale Hinrichtung als eine Errungenschaft der Pressefreiheit gefeiert!

Und, wie es so ist, wenn der Kampf tobt, sind alle Blicke verschleiert und die gravierenden Verstöße gegen den Rechtsstaat werden gar nicht mehr wahrgenommen. Da lodern die Scheiterhaufen der öffentlichen Hinrichtung gegen Individuen, während eine Ministerin Gesetzespläne ankündigt, die aufgrund von Sippenhaft jeglicher Rechtsstaatlichkeit widersprechen. Oder eine komplette Regierung weigert sich kollektiv, mit Konsequenz die Zerstörung der eigenen kritischen Infrastruktur aufzuklären, was einem Akt des Landesverrat gleichkommt.

Anfangs sieht es immer harmlos aus, aber es endet im Desaster. Die Attacken auf die demokratischen Institutionen, wie wir sie erleben, unterscheidet sich von seinen historischen Vorbildern. Aber geführt wird er, dieser Kampf, und die demokratischen Institutionen werden dabei systematisch zerstört.   

Unter Freunden

So kann es kommen. Auch und gerade unter Freunden. Im Augenblick der Hochstimmung schwört man sich einen Pakt für das ganze Leben. Es geht gut an, der Weg ist lang. Schwierigkeiten werden gemeinsam gemeistert, der Erfolg kommt irgendwann und man schaut sich tief in die Augen und ist stolz auf den Schwur. Mit dem Erfolg kommt die Macht und mit der Macht Verhältnisse, die nicht mehr so sind, wie sie waren. Und nicht selten ist das die Sollbruchstelle. Bleibt man seinen alten Idealen treu und versucht, sie zu verwirklichen, oder gewinnt die Macht einen solchen Charme, dass sie alles überstrahlt.

Die Erfolgsgeschichte der türkischen AKP ist von einer solchen Freundschaft geprägt gewesen. Es ist, es war die Freundschaft zwischen den Politikern um Tayyip Erdogan und der geistig-religiösen Bewegung um Fetullah Gülen. Das große Ziel, das ihnen vorschwebte, war die Modernisierung der Türkei, untermauert von einem Ethos, der in der Lage war, den großen Massen des Landes jenseits der Metropolen vor allem Istanbul und Ankara die Angst zu nehmen, alles an Traditionen und Werten zu nehmen, was ihnen wichtig war. Nahezu eine Dekade hielt die Erfolgsgeschichte dieses Bündnisses, dem immer eine Arbeitsteilung zugrunde lag. Die Elite und Erdogan sorgte für die harten politischen Fakten, die Bewegung um Gülen kümmerte sich um soziale und kulturelle Teilhabe für diejenigen, die sui generis mit der Modernisierung Verluste zu fürchten hatten.

Dann, als es darum ging, die Macht zu sichern, wurde sie der AKP um Erdogan wichtiger als die ursprünglichen Ziele. Die politisch herrschende Klasse verwandelte sich in eine Gruppe, die sich nach und nach in nichts mehr Unterschied von dem, was man einst bekämpft hatte. Korruption und Ämterkauf machten sich breit und der Umgang mit Andersdenkenden wurde zu einem Beispiel für den drakonischen Umgang mit der Opposition im Stile einer wachsenden Diktatur. Die Gülen-Bewegung mochte diesen Weg nicht mitgehen. Sie wehrte sich, durch ihre Mitglieder in Justiz, Bildung und der Presse. Die Mitglieder aus Justiz und Bildung sind längst entmachtet und sitzen teilweise hinter Gittern. Und nun, gleich einem kalten Plan, folgt die Presse.

Zaman, zu Deutsch die Zeit, oder das Zeitalter, ist die auflagenstärkste Zeitung der Türkei. Sie betrachtete die Entwicklung aus der Perspektive derer, die sich einst eine neue Ordnung geschworen hatten. Da waren Korruption und Verfolgung noch kein Thema. Zaman, ein konservatives Blatt, blieb dieser Sicht treu. Das wurde ihr nun zum Verhängnis. Seit heute ist Zaman militärisch besetzt und wird von einem Erdogan treuen Tross weiter betrieben. In Deutschland existiert ein Begriff aus finsteren Zeiten, der hier ohne Polemik trifft: Zaman, und das ist auch eine treffende Metapher, Zaman ist seit heute gleichgeschaltet. Die Diktatur geht ihren Weg.

Aus den USA kam der offizielle, warnende Kommentar, die Türkei solle an der Pressefreiheit festhalten. Das ist Trug. Sie existiert bereits seit einiger Zeit nicht mehr. Nur trifft sie nun auch das bürgerliche, gemäßigte Lager. Bösartig gesprochen, und diese Regung ist hier angebracht, hat es die NATO wieder einmal fertig gebracht, einen Diktator in den eigenen Reihen zu haben und die EU sitzt nun mit einem solchen am Tisch, um die Flüchtlingsursachen zu bekämpfen. Der Bruch alter Freundschaften ist tragisch, die Suche neuer Freunde, obwohl deutlich ist, dass es gar keine sein können, ist schlichtweg Irrsinn.