Schlagwort-Archive: Populismus

Populismus und seichte Kumpanei

Ein weiterer Begriff, der sich in den letzten Jahren im politischen Diskurs durchgesetzt hat und der als so unzweifelhaft gilt, dass er bei der Bezeichnung bestimmter Kräfte in den Nachrichten nicht mehr fehlen darf, ist der des Populismus. Die massenhafte Anwendung in Bezug auf das, was als die neue oder radikale Rechte bezeichnet wird, täuscht über die eigentliche Definition hinweg. Analog zu den Oligarchen sollen Populisten nur in Lagern zu finden sein, die als feindlich angesehen werden. Ein Blick auf Nachschlagewerke vom Duden bis hin zur Encyclopaedia of Democracy zeigt jedoch, dass die massenhafte Verwendung des Begriffs auf eine politische Richtung seinem genuinen Sinn nicht entspricht. 

Im Duden wird Populismus beschrieben als eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (…) zu gewinnen.“ Und in der Encyclopaedia of Democracy wird Populismus charakterisiert als eine „politische Bewegung, die die Interessen, kulturellen Wesenszüge und spontane Empfindungen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite“. Beide Definitionen sollten für sich schon einer Betrachtung unterzogen werden, weil sie die Existenz einer Demokratie-unmündigen Kohorte voraussetzen. Darüber zu streiten ist insofern müßig, als dass die Lexika, die in einer gewissen Zeit entstehen, nie von denen geschrieben werden, die dem „Plebs“ zuzurechnen sind.

Bevor der allgegenwärtige Wokismus die allgemeine Begriffsfähigkeit noch nicht verdunkelt hatte, hätte man sich nicht eines neuen Terminus bedienen müssen, um ein Phänomen zu beschreiben, das ebenso bekannt war wie beschrieben. Der schlichte Begriff der Bauernfängerei hat genau das bezeichnet, worum es bei dem Begriff des Populismus geht. Vereinfachung von Wirkungszusammenhängen, das verantwortlich Machen von bestimmten sündigen Zeitgenossen und das Vorgaukeln einfacher Lösungen. Genau betrachtet ist diese Methode eine, die es seit der Existenz eines politischen Diskurses gibt. Von der Antike über Shakespeare bis zu Bert Brecht ist das Phänomen illuster verdinglicht und durchleuchtet worden. Nichts Neues unter der Sonne, es sei denn, man legt sich ein neues Besteck zu, mit dem man glaubt, sich eigene Vorteile verschaffen zu wollen.

Nicht, dass man in dem politischen Lager, das man mit dem Begriff des Populismus belegt, nicht auch den Kern der Definition träfe. Allein monothematisch vorgetragene Lösungsansätze eignen sich nicht, um globale Krisenerscheinungen ein für alle mal lösen zu können. Die Slogans sind jedoch genauso hirnrissig wie die aus dem politischen Lager, das gegen den Populismus Front macht und sich dabei seiner selbst bemächtigt. Weder Immigranten/Asylsuchende/Einwanderer sind des Übels Kollektivursache wie auf der anderen Seite Putin/der Russe. Was beide Fraktionen gemein haben, ist die die Vereinfachung, die Stigmatisierung und die Exkulpierung der eigenen Fehlbarkeit. 

Wenn wir von Populismus sprechen, so wie er in den Nachschlagewerken definiert ist, und die Auffassung teilen, dass seine Anwendung als politisches Instrument ungeeignet ist, da er die Täuschung zum System erhebt, dann sollten wir konsequent sein und ihn generell aus der Debatte verbannen. Das wäre, ja, der Hinweis ermüdet mittlerweile, ein schönes Betätigungsfeld für Journalisten, wenn sie die Vertreter der politischen Profession bei jedem populistischen Versuch damit konfrontierten. Den einseitigen Gebrauch als Beschreibung nur eines Lagers zu übernehmen, ist allenfalls ein Indiz für seichte Kumpanei.  

Ein Panoptikum der Katastrophe

Eugen Ruge. Pompeji

Die Idee ist gut! Man nehme eine historische Naturkatastrophe und schildere die Situation an ihrem Vorabend. Hinsichtlich aller Zeichen und der damit verbundenen menschlichen Reaktionen. Und schon scheint das ganze Panoptikum von Defätismus, Eskapismus, Populismus, Hysterie, wilden Geschichten und Geschäftemacherei auf, welches mit derartigen Ereignissen einhergeht. Eugen Ruge hat sich den Vorabend des historischen Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus vorgenommen und eine Geschichte erzählt, die aktueller nicht sein könnte. In seinem Roman „Pompeji“ tauchen historische Figuren wie fiktive Charaktere auf, und es wird die Geschichte erzählt, wie sie tatsächlich rekonstruiert werden kann, allerdings auch mit Figuren, die es so nie gegeben hat. Sie beginnt mit den ersten Vorzeichen eines Vulkanausbruchs und verläuft bis hin zu dem Moment der Zerstörung der blühenden Stadt Pompeji und Herculaneum. 

Erzählt wird aber auch von Handlungen und Karrieren von gerissenen Demagogen, die mal auf die eine, mal auf die andere politische Strömung setzen, von Politikern, die, bleiben sie bei ihren Routinen und streben sie nach Stabilität, von den Emotionsschüben der hysterisierten Massen an den Rand gespült werden, von Mystikern, die ihre Stunde als gekommen sehen, von Spekulanten, die sich mit Bau- und Grundstücksgeschäften bereichern und natürlich von Gerüchten, die alle Dimensionen des bisher Wahrscheinlichen sprengen und dennoch Gehör finden.

Eugen Ruge gelingt es, eine gut lesbare, durchaus unterhaltende und spannende Lektüre zu gestalten, die als eine Typologie gesellschaftlicher Reaktionen auf eine drohende Katastrophe bezeichnet werden kann. Ganz im Sinne des Brecht´schen Verfremdungseffekts spielt die Handlung im historischen Rom und ist weit genug weg, um nicht in der Hitze unserer Gegenwart missverstanden zu werden. Und dennoch ist das alles brandaktuell. Wir leben in einer Abfolge von natürlichen und menschengemachten Katastrophen, wir sehen die Versuche, die Verhältnisse zu stabilisieren, wir sehen die Populisten, die wie Pilze aus dem Boden schießen und wir sehen die Katastrophengewinnler, die sich jenseits jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung die Hände reiben und ihren Geschäften nachgehen und wir spüren das drohende Unheil, das sich in Wellen von Angst und Aggression ankündigt.

Und dennoch: die teils historisch belegte, teils fiktive Handlung spielt im Jahr 79 und erlebt die Kaiser Vespasian und seinen nachfolgenden Sohn Titus, und die Leserschaft bekommt zu der Gesellschaftsanalyse noch ein kulturelles Panorama vermittelt, das sonst nur in Dokumentationen verfügbar ist. Vor dem Auge entsteht eine Sozialtypologie der damaligen Gesellschaft, die Lebensweise von Beamten, sozialen Outcasts, saturierten Kaufleuten und Adeligen wird lebendig, man erfährt wie die Menschen wohnten, wie sie sich kleideten und wie sie speisten. Es ist, neben dem politisch-pädagogischen Clou, auch eine Sittengeschichte des Römischen Reiches. Das ist viel, das ist mehr, als man im Hinblick auf viele zeitgenössische historische Romane erwarten kann, das ist komponiert und geschrieben in der Dimension eines Lion Feuchtwanger. Eugen Ruge hat einen Roman geblieben, der auch in Schulen gelesen werden sollte! Spannender und lehrreicher kann Literatur nicht sein! 

  • Herausgeber  :  dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2. Edition (20. April 2023)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Gebundene Ausgabe  :  368 Seiten
  • ISBN-10  :  3423283327
  • ISBN-13  :  978-3423283328
  • Abmessungen  :  13.4 x 3 x 20.8 cm

Irrpfade

In der Spiegel Online-Ausgabe vom 25. März findet sich eine Kolumne, die in das Journal einer an Selbstüberschätzung leidenden Auffassung in die dokumentierte Geschichte eingehen wird. Titel wie Inhalt dieser Kolumne sind in jeder Hinsicht aufschlussreich, der Autor sei hier nicht namentlich erwähnt, die Leserschaft möge das als eine Art humanitären Akt betrachten. Das „Brexit-Debakel“ wird im Titel konkretisiert: „Unfähig, aus Fehlern zu lernen…“ 

Nach der Lektüre des Textes fragte ich mich, ob es bei der titularen Feststellung nicht um die Position des Autors ginge, und dieser stellvertretend für eine Nation oder eine Klasse, die vorgibt, diese Nation zu vertreten. Wer so wie der Autor die Welt betrachtet, hat Maß und Mitte verloren und bestätigt alles, was der Größenwahn der eigenen Kritik vorwirft: Respektlosigkeit, Verschwörungstheorie und den Unwillen, andere Auffassungen zu verstehen.

Der Inhalt der Kolumne ist sehr schnell zusammengefasst: Diejenigen, die den Brexit in Großbritannien betrieben oder unterstützt haben, sind hirnkrank und/oder russische Agenten. Das ist weder kaschiert noch geschickt verpackt, es steht da so in einem Organ, das sich einmal als Korrektiv der Demokratie verstand und in dem sich nun schäbiger Journalismus weidet, der selbst diesen Namen nicht verdient hat. 

Eine Kolumne im Spiegel hat nun nicht mehr die Wirkung, wie sie noch bei einer anderen Qualität des Mediums selbst und bei einer schlichteren Medienlandschaft insgesamt gehabt hätte. Was dieser Kolumne Gewicht verleiht, ist der Konnex zu der in Politik wie Medien weit verbreiteten gleichen Auffassung. Wer es wagt, an den bestehenden Verhältnissen in der EU Kritik zu üben, wer mit den Taten und Absichten der Bundesregierung nicht übereinstimmt und wer die außenpolitischen Schachzüge derselben als unangemessen erachtet, der muss, so die gängige Meinung, entweder massive Probleme mit dem eigenen Denkapparat haben, oder er ist das Opfer eines dämlichen Populismus oder, Gott bewahre, gleich ein gekaufter Agent von Putin.

Vieles dieser grausam schlichten Logik verleitet zu einer Retourkutsche. Doch das bringt natürlich keine Lösung. Wer allerdings mit einer solchen Logik unterwegs ist, mit dem ist im Sinne einer positiven Gestaltung nicht mehr viel anzufangen. Umgangssprachlich wird das, was als Massenphänomen in Regierung wie Medien an Haltung anzutreffen ist, als „verrannt sein“ bezeichnet. Das heißt, die Verfechter dieser Weltsicht haben sich mit hohem Tempo auf einen Ab- oder Sonderweg begeben, aus dem sie nicht mehr herausfinden. Von dieser Art von Sonderweg, den man in diesem Falle auch getrost den Irrpfad nennen könnte, war eigentlich immer die Rede, wenn von einem deutschen Sonderweg gesprochen wurde. Der ist seit einiger Zeit eingeschlagen, alternativlos, versteht sich.

In seiner Abhandlung über einen zeitgenössischen Ökonomen, Eugen Dühring, der der Sozialdemokratie große Sorgen bereitete, setzte sich Friedrich Engels mit den Thesen des Genannten auseinander. In seinem Schlusswort jedoch sprach er davon, neben der vielen Politik und Wissenschaft müsse auch einmal ein menschliches Urteil erlaubt sein. Seine Quintessenz hieß: Unzurechnungsfähigkeit aus Größenwahn. 

Warum mir diese Geschichte einfiel? Ich weiß es nicht. Die Haltung, die die erwähnte Kolumne verrät, ist jedoch dazu geeignet, andere, die sich erlauben, eine andere Sicht der Dinge zu haben, deutlich zu maßregeln. Der gegenwärtige Zustand der Bundeswehr ist wohl das einzige Hindernis.