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Komplexität und Strategie

Nicht umsonst kam der Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der als renommierter Soziologieprofessor endete, aber in der Verwaltung sozialisiert wurde, zu dem verblüffenden Schluss, dass der Antrieb zu steigender Gesamtkomplexität aus dem tiefen Bedürfnis ihrer Reduktion entsteht. Immer, wenn die Varietät eines Bezugsfeldes steigt, so Luhmann, dann sondert sie relativ autonome Teile aus dem System ab und schafft ein neues Subsystem, das seinerseits damit beginnt, sich nach dem Muster eines übergeordneten Systems auszurichten. Dadurch werden die Beziehungen der mit einander verwobenen Systeme nicht nur komplizierter, sondern auch komplexer, was wiederum den Wunsch nach ihrer Reduktion hervorruft, weil die Handlungsfähigkeit mit wachsender Komplexität immer mehr eingeschränkt wird.

Natürlich wusste er, wovon er sprach. Legt man die Historie von Verwaltungen zugrunde, so hatte er richtig beobachtet. Aufgrund von Spezialisierung und Größe wurde es immer schwieriger, zu eindeutigen Entscheidungen zu kommen. Dieser Zustand wurde durch die Bildung eigener Facheinheiten beseitigt, die dann allerdings bei einer eigenen, neuen und kritischen Größe dazu gezwungen waren, sich die Strukturen eigener Autonome zuzulegen. Jeder, dem Verwaltung nicht ein Buch mit sieben Siegeln ist, kennt das organisatorische Dilemma. Die allgemeine Verwaltung, unter die Funktionen wie Organisation, Personal, Finanzen oder IT fallen und die zuständig ist für die ungeheure Varietät der Fachkompetenzen, die vom Archiv bis zur Jugend- und Familienpolitik, von der Bildung bis zur Gesundheit oder von der Stadtentwicklung bis zum Sport, entfernt sich nicht selten zu weit von den spezifischen Erfordernissen der jeweiligen Fachlichkeit. Daher existieren ab einer bestimmten Größe eigene Verwaltungen, die sich um Organisation, Personal und Finanzen kümmern und die der Separierung geschuldet sind.

Jedes System, wiederum, so heißt es nicht umsonst, entwickelt seine eigene Dynamik. Das hat etwas zu tun mit den fachlichen Besonderheiten, mit denen es sich auseinandersetzt und den unterschiedlichen Hintergründen, die die Individuen mitbringen, die es in das System treibt. In Deutschland ist man sehr schnell dabei, so etwas mit dem Begriff der Kultur zu beschreiben. Das ist sakrosankt, daran darf man nicht rühren. Zutreffend ist hingegen, dass es, je höher die Varietät der einzelnen Subsysteme ist, umso schwieriger wird, den systemischen Gesamtkomplex zu steuern.

Ein Fehler unserer Tage scheint zu sein, dieser diffizilen Aufgabe mit einem Arsenal an ebenso diffizilen wie unnützen Instrumenten begegnen zu wollen. Das beschäftigt die Leute, führt aber in der Regel nicht zu einer besseren Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt. Die Instrumentierung der Komplexität spielt eher noch eine sehr destruktive Rolle: Da sie die Akteure nicht entlastet, sondern sogar steuert und ihnen die Autonomie raubt und ihnen zudem keinen Sinn vermittelt, erschöpft es die Betroffenen und treibt sie in die Depression.

Das einzige Ordnungsprinzip, das in der ausufernden Komplexität in der Lage zu sein scheint, eine Ordnung wieder herzustellen ist die Strategie. Sie vermag Sinn zu stiften, sie vermag Maßstäbe zu liefern, nach denen es plausibel wird, zu priorisieren und sie beurteilt, ob die Werkzeuge, derer wir uns bemächtigen, zu dem Zweck führen, den uns die Strategie vorgibt. Insofern ist die Strategie kein nice to have, sondern eine conditio sine qua non. Man kann die Betrachtung sogar noch weiter treiben und auf eine Zuspitzung hinauslaufen lassen: Diejenigen, die am Kopf einer Organisation stehen oder in komplexen Systemen Führungsaufgaben wahrnehmen und nicht in der Lage sind, eine Strategie zu formulieren und zu kommunizieren sind deplaziert.