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Afghanistan, Ukraine: Lesen Sie die politische Bilanz!

Es häufen sich die Berichte über die aus westlicher Sicht untragbaren Zustände in Afghanistan. Hauptaugenmerk gilt dabei dem Schicksal der Frauen, die unter der Herrschaft der Taliban und ihrer Auslegung der Scharia besonders zu leiden haben. Daran gibt es nichts zu relativieren. Und dennoch muten diese journalistischen Beiträge verwegen an. Sie gleichen denen, die vor zwanzig Jahren platziert wurden, als man dabei war, dem Land ohne völkerrechtliches Mandat und auf einen bloßen Verdacht hin mit einer Allianz der Willigen den Krieg zu erklären. Konkret ging es um eine Gruppe von Personen, denen die USA die Planung und Beteiligung an den Anschlägen auf das World Trade Center anlasteten. Vor allem der Anführer dieser Gruppe, Osama Bin Laden, war weder Afghane noch von der afghanischen Regierung zu einer solchen Tat autorisiert, aber das spielte keine Rolle. Man erklärte dem Land kurzerhand den Krieg, weil man vermutete, dass sich Teile von Al Quaida dort versteckten. 

Irgendwie musste man es der jeweiligen Bevölkerung schmackhaft machen. Der damalige Verteidigungsminister der Bundesrepublik erhöhte die kriegerische Verbrecherjagd zu einer Verteidigung der Demokratie am Hindukusch und die bereits vor zwanzig Jahren zahnlosen Medien erzählten von den untragbaren Verhältnissen im Land und vor allem von der Rechtlosigkeit der Frauen. Das sollte die emotionale Unterstützung durch die hiesige Bevölkerung sichern. Mit den tatsächlichen Motiven hatte es nichts zu tun. Als Beleg sollte die unbedachte Äußerung des damaligen Bundespräsidenten Köhler gelten, der davon sprach, in Afghanistan ginge es auch um Seltene Erden. Wenige Tage später musste er zurücktreten.

Und nun, nach zwanzig Jahren kriegerischer Präsenz, die selbstverständlich der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge als eine Periode der Demokratiebildung dargestellt werden, wiederholt sich die Geschichte. Dem Land geht es immer noch schlecht, die Frauen werden weiterhin unterdrückt und die Auslegung der Scharia durch die Taliban ist immer noch ein Fiasko. Aus historischer Perspektive betrachtet, ähneln sich die Zustandsbeschreibungen sehr und man könnte den Versuch machen, die historischen Reportagen heute noch einmal zu senden und darauf zu achten, ob das dem Gros der Konsumenten überhaupt auffällt.

Die letzte Verteidigungsministerin der Bundesrepublik hatte ihrerseits kurz nach ihrer Vereidigung angekündigt, dass es erforderlich sei, den 20jährigen Einsatz der Bundeswehr nach dem überstürzten Abzug aus Afghanistan zu evaluieren. Doch dann kam, wie immer in den letzten Jahrzehnten, sehr viel dazwischen. Russland marschierte in die Ukraine ein, die Ministerin entsprach nicht mehr der erneuten folgsamen Politik gegenüber der Führungsmacht USA und erlaubte sich die eine oder andere Unzulänglichkeit und wurde durch einen nassforschen Mann ersetzt, der am liebsten selbst die Panzer an die Front bringen würde. 

Und auch dieses Mal geht es um die Demokratie, genauer gesagt die liberale Demokratie, die am Donbas und vor der Insel Krim verteidigt wird. Und wieder haben die USA und die von ihr administrierte NATO die Finger im Spiel gehabt und, so wie es aussieht, wird es wieder zu einem Ausgang kommen, bei dem die verheerenden Opfer in keiner auch nur rechnerischen Relation zu dem stehen werden, was erreicht worden ist.

Wenn etwas aus den militärischen Konflikten, die in der nibelungentreuen Folgsamkeit gegenüber den amerikanischen Bellizisten mitgetragen wurden, gelernt werden sollte, dann ist es das Lesen der politischen Bilanz dieser Kampagnen. Und liest man diese Bilanz, dann verbietet sich jede Art der Wiederholung, weil die eigene Existenz auf dem Spiel steht. 

9/11 und das Schicksal der Zivilisation

Leon de Winter, Geronimo

Kein Wunder, dass es ein Ereignis wie 9/11 in die Literatur geschafft hat. Während bis heute auf dem Sachbuch-Sektor ein Faktenkrieg zwischen der offiziellen amerikanischen Darstellung und anderen Ansätzen ausgetragen wird, sind im Bereich der fiktionalen Verarbeitung vor allem die Aspekte derer im Fokus, die entweder zu den Opfern, den Helfern oder den Zaungästen gehören. Dass da ein Autor wie Leon de Winter ausschert, wenn er sich diesem Thema widmet, war nahezu zu erwarten. Unter dem Titel „Geronimo“ erschien bereits 2016 ein Roman, der sich mit einem Ende dieser Geschichte befasst, nämlich mit der Liquidierung Osama bin Ladens in seinem Versteck in Pakistan durch amerikanische Spezialkräfte.

Die Aspekte, die dieser Thriller verwebt, sind komplex. Es geht um die innere Dynamik derer, die den deklarierten Hauptfeind der USA ausschalten sollen, es geht um die Interessen des amerikanischen Präsidenten Obama, es geht um verschiedene Geheimdienste, es geht um die Dynastie der Saudis, aus der Osama bin Laden stammte, es geht um afghanische Helfer, es geht um Christen und Muslime. Es sind nicht nur die Schicksale der weltpolitisch wirksamen Protagonisten, sondern auch die Opfer und Täter auf allen Seiten. Die armen Schlucker, die an den amerikanischen Traum geglaubt haben, die Abkocher, die  am Rande jeder Operation auftauchen, es geht um die Fanatiker, die auf allen Seiten ins Gras beißen und um die Gewinner. 

Leon de Winter ist es eigen, dass er mit einem besonderen Coup eine Handlung in eine Richtung lenken kann, mit der niemand gerechnet hat. Im Falle von Geronimo, dem Namen eines berühmten Häuptlings, der den Codenamen für Osama bin Laden bei den Mitgliedern der Spezialeinheit liefert, setzt de Winter einen besonderen Plot. Alles dreht sich um den durch den Präsidenten formulierten Auftrag „kill or capture“, der durch einen Emissär des Präsidenten unmissverständlich präzisiert wird: Kill! Dass stösst bei den Patrioten des Sonderkommandos nicht auf Begeisterung, weil sie die Ressource Osama bin Laden gerne noch nutzen wollen. Um Informationen zu bekommen und um der Welt zu zeigen, wie ein Staatsfeind zu enden hat. Sie beschließen eine eigene Vorgehensweise, die das ganze Karussell in heftige Bewegung bringt und aus dem Roman einen Markt der politisch durchaus denkbaren Möglichkeiten macht.

Das alles ist durchsetzt mit einem irrwitzigen Konsortium aus Akteuren, das die Abstrusitäten aller Geheimen Dienste genauso zur Schau stellt wie die Skrupellosigkeit einer weltumspannenden Geschäftswelt. Wer das erwartet, wird mit dem Roman reichlich belohnt. Aber auch die Beobachtung der Welt der kleinen Leute, die an die Zivilisation glauben, die nach Wahrheit und Schönheit streben und die in dieser Welt zum Scheitern verurteilt sind. Übrigens genauso bewegend wie die Sezierung des Monsters, das neben der Bestialität auch die feinen Züge des Menschseins zulässt. 

Der Roman bietet alle Klischees, die das Thema zu bieten hat, ohne selbst zum billigen Klischee zu werden. Er ist ein Gedankenspiel in einer Welt, in der die Bestien aus allen Richtungen über die Zivilisation herfallen und die trotz aller Attacken in der Lage ist, sich einen Kern zu bewahren, der das Wort Hoffnung erlaubt. Leon de Winter beherrscht as Handwerk des Schreibens und er verfügt über ein rares Gut. Es heißt Menschenbildung.  

  • Herausgeber  :  Diogenes; 1. Edition (25. Oktober 2017)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Taschenbuch  :  448 Seiten
  • ISBN-10  :  3257244223
  • ISBN-13  :  978-3257244229
  • Originaltitel  :  Geronimo

Das große Rom und die Integration

Wie einst im sprichwörtlich Alten Rom ähneln sich die Zustände. Auch dort, nachdem das Imperium militärisch gesichert war, versicherte man sich der Stabilität durch Normierung. Egal,  wohin der Reisende kam, überall galten die gleichen Gesetze, überall war vorgeschrieben, unter welchen Bedingungen man Handel treiben durfte, es gab Normen, wie die Schulen auszusehen hatten, wie Besitz erworben und veräußert werden konnte etc. etc.. Was die römischen Herrscher nicht taten, das war eine Normierung des Glaubens. Jeder Mensch unter der römischen Sonne konnte sich bekennen, zu was er wollte, sofern es nicht mit der weltlichen Gesetzgebung kollidierte. 

Hatte die römische Vorherrschaft mit den alteingesessenen Patrizier-Familien begonnen, so erforderte die Expansion, die heutige Historiker auch als die erste ernst zunehmende Phase der Globalisierung nennen, mehr Personal, als aus dieser Quelle zu versorgen war. Ergo begannen die Pragmatiker, die ihrerseits immer die entscheidenden Weichen in diesem Weltreich gestellt hatten, mit der Rekrutierung von Menschen, die aus allen Regionen des Reiches kamen, unabhängig von ihrer Ethnie oder Religion. Wurden Talente entdeckt, so erfuhren sie Förderung. Und, glaubte man, dass sie dem Reich gegenüber loyal waren, dann standen ihnen die Tore offen für Karrieren in Politik, Verwaltung und Militär. Auch da gab es Irrungen, wie im Falle Cheruskers Arminius, der in Rom alles gelernt hatte, bevor er sich mit seinen Kenntnissen und den barbarischen Stämmen seiner Heimat gegen die Legionen des Varus stellte und sie vernichtend schlug. Der Vergleich seiner Biographie mit der des Osama Bin Laden ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich.

Die neuen, erfolgreichen Karrieren der Adaptierten aus den Provinzen galten dennoch nicht, wie manche aus dem Patrizier-Lager anfangs befürchtet hatten, als eine Erscheinung, die das System der Macht destabilisiert hätte. Ganz im Gegenteil: durch die Möglichkeit, unter dem Titel Rom zu Reichtum, Macht und Ansehen zu gelangen, führte bis auf wenige Ausnahmen dazu, auch in den befriedeten Provinzen, wie es damals so aufschlussreich formuliert wurde, die Identifikation mit dem Imperium zu fördern. Wenn, so dachten viele von den Jungen und Talentierten, man aus der provinziellen Enge herauskommen konnte und dabei noch ein auskömmliches Leben führen, so konnte die Idee des Imperiums so schlecht nicht sein.

Und nicht nur die Identifikation der Talente mit dm Reich wurde gesteigert, sondern auch die Autonomie der Provinzen, oder das, was von ihnen noch übrig bleib, wurde in Bezug auf die Zukunft noch mehr geschwächt. Die Kreativen zog es nach Rom, die Soliden bleiben zurück und hatten sich zu unterwerfen.

Einer Versuchung, die aus heutiger Sicht vielleicht naheliegend wäre, unterlag Rom allerdings nicht. Wenn weder Talent noch Leistung stimmte, gelangte niemand zu Amt und Würden. Zwar gab es Vetternwirtschaft bei den Alteingesessenen, da wusch eine Hand die andere, wer aber von außen, aus den Provinzen, sein Glück in Rom finden wollte, der musste Leistung vorweisen und erbringen. Der bloße Verweis auf Ethnie, Kultur oder Religion hätte die Meister der weltlichen Macht allenfalls amüsiert, jedoch nie dazu bewogen, jemanden zu rekrutieren. 

Und, und das ist ein weiteres Argument für den gelegentlichen Exkurs in die Geschichte, obwohl das große Rom so klug war bei der Erhaltung seiner Macht, und obwohl es bei der Integration nie den Gedanken der Leistung über Bord geworfen hatte, ging es irgendwann unter. Das große Reich. Im Zeitalter der Globalisierung.