Schlagwort-Archive: Nord Stream 2

Kritische Infrastruktur: Widersprüche

Das Kürzel KI steht im Bundeswirtschaftsministerium nicht für Künstliche Intelligenz, sondern für Kritische Infrastruktur. Dass die Handhabung letzterer nicht im entferntesten etwas mit Intelligenz zu tun hat, haben die letzten Tage wiederum gezeigt. Dabei ist die Definition der Kritischen Infrastruktur, die auch in diesem Ministerium vorliegt, logisch und nachvollziehbar. Demnach handelt es sich um wichtige „Organisationen und Einrichtungen des staatlichen Gemeinwesens, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“

Diese allen Bundesressorts vorliegende Definition ist, sofern man von einer verantwortungsvollen Sorge um das notwendige staatliche Handeln ausgeht, vernünftig. Dass der gegenwärtige Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, zudem Vizekanzler, eine eigentümliche Selektion der Aufgaben, die sich aus dieser Definition ergeben vornimmt, war nicht anders zu erwarten. So erfuhr die Öffentlichkeit aktuell von einer Notbremse, die aus dem Ministerium gezogen wurde, um das feindliche Eindringen der chinesischen Fracht- und Handelskompanie COSCO in den Hamburger Hafen zu verhindern. Konkret geht es um eine geplante Minderheitsbeteiligung an einem Terminal. So, wie es aussieht, wäre dieser Umstand, der z.B. in keiner Relation zu den weitgehenden Beteiligungen chinesischer Gesellschaften im Rotterdamer Hafen steht, aus Sicht des Wirtschaftsministers geeignet, um die die öffentliche Sicherheit und andere dramatische Folgen hervorzurufen. Zudem hat die vor allem von den Grünen betriebene Frontstellung gegen die Volksrepublik China nichts mit negativen Erfahrungen in den bilateralen Beziehungen zu tun, sondern sie steht einzig und allein in ihrem von den USA ausgehändigten Pflichtenheft. 

Die im September letzten Jahres gesprengte Nord Stream Pipeline, die sowohl vom Investitionsvolumen als auch in Bezug auf den Verschluss von Energielieferungen ein gigantisches Ausmaß im Verhältnis zu dem einen Ladeterminal im Hamburger Hafen aufweist, hat bis heute keine Reaktion aus dem Bundeswirtschaftsministrium hervorgerufen. Nach allen Indizien, die vorliegen, wäre dieser terroristische Akt auf die Kritische Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland allerdings geeignet, das Lügengebäude einer überforderten und nicht im Interesse der Bevölkerung agierenden Bundesregierung in sich zusammenfallen zu lassen. Käme heraus, dass es sich bei dem Terroranschlag um eine mit der Bundesrepublik innerhalb der NATO verbündete Nation handelte, müsste der Bündnisfall innerhalb des Bündnisses ausgerufen werden. Wer etwas Phantasie besitzt, möge sich den Gesichtsausdruck späterer Generationen vorstellen, die in den Geschichtsbüchern diese Ausgeburt von Irrsinn und Dekadenz lesen.

Der aufmerksame Presse, den viel gerühmten Journalen der öffentlich-rechtlichen Verschleierungsanstalten ist diese logische Inkongruenz nicht aufgefallen. Nicht eines dieser renommierten Organe hat bis jetzt mit der Idee kokettiert, dass staatliche Bestimmungen und Regeln generell zu handhaben sind, und nicht nach dem Gutdünken von Politikern, denen man, will man ihnen die allgemeine Zurechnungsfähigkeit unterstellen, im Auftrag anderer Interessen handeln als dem derer, von denen sie ihr Mandat erhalten haben. Und ein Kanzler, diese Frage sei vor allem in diesem Punkt noch einmal dezidiert erlaubt, der doch so überzeugt formuliert hatte, wer bei ihm Führung bestelle, der erhalte sie auch, soll sich einen einzigen der Waschkörbe füllenden Briefe anschauen, die aus allen Ecken der Republik an ihn geschickt worden sind und in denen von ihm diese Führung verlangt wird. Oder hat er, wie so vieles andere, vergessen, wo die vielen Bestellungen für Führung hingelegt worden sind?  

Nord Stream 2: Gefracktes Gas und ideologische Armenspeisung

Oh, welch ein Malheur, ich hab meine Unschuld nicht mehr! Mit den Zeilen eines Gassenhauers aus der großen Weltwirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts könnten die politischen Ereignisse unserer Tage ebenfalls bestens karikiert werden. Die jüngste, „fürsorgliche“ Maßnahme des „Verbündeten“ USA gegen das Projekt Nord Stream 2 ist so ein Anlass, der die klaffende Wunde zwischen knallharter Machtpolitik und ideologischer Verpackung auf den hell erleuchteten Seziertisch der Analyse legt. In Anbetracht dessen, was die USA als Ziel verfolgen, gleicht das  alte Narrativ vom Bündnispartner einer ideologischen Armenspeisung.

Um die Faktenlage kurz zu erläutern: Das Projekt Nord Stream 2, durch das russisches Erdgas durch Pipelines in der Ostsee an Deutschland geliefert werden soll, ist technisch kurz vor dem erfolgreichen Abschluss. Russland, respektive die Sowjetunion hat selbst in den sehr angespannten Lagen des Kalten Krieges Energielieferungen nie als Druckmittel genutzt. Die Trennung von Geschäft und ideologisch-politischer Befindlichkeit war immer gewährleistet. Die US-Regierung unterstellt nun gerade dieses und sieht die Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Zudem litte die Ukraine unter der Realisierung des Projektes, da die Transiteinnahmen für Energielieferungen durch die Ukraine entfielen.

Eine Bilanzierung des bundesrepublikanischen Energiebedarfs zeigt jedoch, dass die unterstellte Abhängigkeit keinesfalls bei einer Realisierung von Nord Stream 2 eintreten wird. Hinzu kommt eine in diesen Tagen erzielt Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland über Garantien für Transiteinnahmen. Die trotz aller argumentativen Schwächen seitens der USA gemachte Offerte, statt des russischen Erdgases gefracktes amerikanisches Gas zu importieren, offenbart, dass die Schamgrenze der US-Administration konsequent nach unten verschoben worden ist. Es wird deutlich, worum es geht. Russland zu schaden, Deutschland zu schaden, Europa zu spalten und dabei noch ein Geschäft zu machen.

Es ist, wie es immer ist in Zeiten, in denen alte Ordnungen zerfallen. Niemand weiß so richtig, in welche Richtung sich alles entwickelt. Wer wird sich aus dem altvertrauten Ensemble wohin bewegen? Wo sind neue Bündnispartner oder neue Bündnisse? Das Beste in einer solchen Situation ist, sich der eigenen Interessen bewusst zu sein und diese als Orientierung für die Umschau nach neuen Partnerschaften fest im Blick zu haben. Verheerend dagegen ist das Lamento über den Verlust und die nostalgische Rückschau auf die guten alten Zeiten. Die Zeit, die beim Weinen vergeht, ist verlorene Zeit. 

Nord Stream 2 und die dieses Projekt arrondierende Politik ist deshalb so interessant, weil es genau diesen Prozess des Zerfalls der alten Ordnung und den Umgang der verschiedenen Akteure mit den eignen Interessen und denen der anderen agierenden Partner sehr anschaulich illustriert und zeigt, wer seine Ziele bündelt. Da sind die USA in einer herausgehobenen Position: Sie wollen gleich, um in ihrer Metaphorik zu bleiben, eine ganze Schar von Vögeln mit einem einzigen Schuss vom Himmel herunterholen, indem sie Deutschland und Russland wirtschaftlich schaden, verschiedene Staaten in Europa spalten und zudem ihr eigenes Frack-Gas zu saftigen Preisen verkaufen. Dagegen steht das deutsche Interesse nach nach diversifizierter Energieversorgung, das europäische Interesse nach vernünftigen zwischenstaatlichen Beziehungen, auch und eben mit Russland und eine ökologisch orientierte Energiepolitik.

Dass ausgerechnet die Grünen der amerikanischen Argumentation gegen Nord Stream 2 folgen, mag viele verwirren, ist allerdings so ungewöhnlich nicht. Manche sagen, warum sie das machen, weiß nur der liebe Gott. Den zu fragen geht allerdings im Moment schlecht. Denn der liegt, wie meist in diesen Tagen, leicht beschwipst vorm Backofen.