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Russische Spione auf dem Leidse Plein

Vor den Zeiten jener brausigen Hysterie, die diejenigen ereilt hat, die für den Transport von Informationen zuständig sind, hatten Generationen von Journalisten eines gelernt: Betrachte die Sache kalt. Eiskalt! Es hieß, beschreibe erst einmal den Sachverhalt, distanziert und ohne wertende Attribute, einfach nur den Sachverhalt. Dann versuche, Wirkungszusammenhänge zu verstehen. Warum folgert aus dem einen etwas anderes, wo liegen die Gründe, existieren vernünftige Erklärungen? Und wenn das Geschehen ist, dann stelle Fragen, die genau in die Richtung gehen, die nur schlecht erklärbar sind. Aber bitte, beantworte sie nicht! Das ist die Sache der Leserinnen und Leser!

Und wieder einmal hat ein Großteil der schreibenden Zunft alles verhunzt und damit zur immer schrecklicher werdenden Erosion des Vertrauens beigetragen. Was ist passiert? In den Niederlanden hat ein Referendum stattgefunden. Dieses ist verfassungsgemäß möglich und hat den Sinn, in strittigen Fragen die Regierenden zu beraten. In diesem Referendum haben sich die Niederländer gegen das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ausgesprochen. 62 Prozent waren dagegen, 32 dafür, das Quorum des Referendums von 30 Prozent wurde erreicht und überschritten.

Die Diskussion in den Niederlanden ging vor allem um die Frage, dass es verhängnisvoll für die EU sei, die normalen Vorgänge einer Mitgliedsaufnahme mit einem NATO-Beitritt zu verbinden. Angesichts der militärischen Auseinandersetzungen, die dem Ukraine-Konflikt folgten, da es weniger um einen neuen Lidl in der Provinz, sondern um NATO-Raketen auf der Krim ging, was ein No Go für Russland bedeutete, ist das Räsonnement der Niederländer eine sehr nachvollziehbare und auch vernünftige Sache. Es sei bemerkt, dass die Nachbarn der Bundesrepublik sehr gut über die Befindlichkeiten hierzulande, einem der Big Player in der EU, informiert sind und gesehen haben, dass die Interessen der NATO hier seitens der Regierung wie der Presse als kongruent mit denen der EU kommuniziert wurden. Das ist tatsächlich ein Verhängnis, und sich dagegen auszusprechen ist ein Akt der Vernunft.

Eine Berichterstattung über diesen einfachen Sachverhalt fand schlichtweg nicht statt. Im Vorfeld wurde über dieses Referendum so gut wie gar nicht berichtet und nun, da das Votum vorliegt, wird bewertet, bevor der Sachverhalt beschrieben wird. In den propagandistischen Fieberphantasien sind die Niederländer, die sich gegen den Assoziierungsvertrag mit der Ukraine ausgesprochen haben, nicht nur der radikalen Rechten im eigenen Lande auf den Leim gegangen, sondern auch Opfer russischer Propaganda geworden. Folgt man der Berichterstattung, die keine ist, dann wimmelt der metaphorisch so bedeutungsvolle Leidse Plein zu Amsterdam von russischen Spionen, die sich nun triumphal mit Heineken Bier zum taktischen Sieg zuprosten.

Es ist ein Debakel. Mit jedem politischen Ereignis, das sich im Kraftfeld Europas abspielt, dokumentiert vor allem der öffentlich-rechtliche Sektor, der sich ohne Umschweife zu einer Marketingabteilung der Bundesregierung entwickelt hat, dass alles geschehen darf, nur eines nicht. Jede Form von Kritik an dem eingeschlagenen außenpolitischen Kurs, der auf Konfrontation mit Russland geht, muss um alles in der Welt diskreditiert werden. Eine Abkehr von dem Junktim EU-NATO scheint nicht vorgesehen, die wachsende Missbilligung seitens der europäischen Bevölkerungen dafür wird in Kauf genommen. Wer so operiert, darf sich über eine zunächst emotionale Radikalisierung der Bevölkerung nicht wundern. Wer hat es schon gerne, sehenden Auges betrogen zu werden? Ob Panama Papers oder niederländisches Referendum, in wenigen Tagen hat sich die Ideologieschmiede hierzulande selbst und wieder einmal das Testat der propagandistischen Unzurechnungsfähigkeit zugeschrieben.

Nr. 14

Raum und Zeit. Um nichts anderes geht und ging es im Fußball. Und um Schönheit. Das, was sehr abstrakt als höchste Weisheit des Fußballs herüberkommt, wird selten beherzigt. Manche Trainer, natürlich die sehr erfolgreichen, beherzigen dieses. Wenige Spieler vermögen es, die gesamte Philosophie durch die Art und Weise, wie sie spielen, zu erklären. Ein Name jedoch ist mit dieser Quintessenz verbunden wie kein anderer. Es ist Johan Cruyff. Er verkörperte wie kein anderer als Spieler diese Philosophie. Wenn Johan Cruyff am Ball war, dann vermittelte sich diese Philosophie. Er war der, der das höchste Konzept nicht nur materialisierte, sondern auch zum Erfolg führte.

Einmal, im Jahr 1974, war das nicht der Fall. Da spielte Holland, das jener Johan Cruyff aus dem Dornröschenschlaf gerissen hatte und das kleine Land für immer zu einem Fußballgiganten gemacht hatte, den besten Fußball und wurde dennoch nur Zweiter. In diesem Turnier zauberte die niederländische Mannschaft alles weg, was sich ihr in den Weg stellte und unterlag im Finale gegen Deutschland. Der Spieler des Turniers war dennoch Johann Cruyff. Dort, wo Oranje auftauchte, verwandelten sich die ansonsten von dumpfen Kampfgesängen beherrschten Stadien in ein Volksfest. Tausende Niederländer erschienen ganz in Orange, sie tanzten, sie sangen und brachten die Blaskapelle von Ajax Amsterdam gleich mit. Die begleitete jedes Spiel mit Swing und es entstand eine Choreographie der guten Stimmung, der Lebensfreude und des Geschwindigkeitsrausches. Nichts hat jemals wieder soviel gute Laune in die Stadien gebracht, wie diese Anwandlung von Lebensästhetik.

Johan Cruyff ging von Amsterdam nach Barcelona, wo er nach seiner aktiven Laufbahn als Spieler mit seiner Philosophie den Grundstein legte für die Vision des modernen Fußballs, die bis heute herrscht und nur von ganz wenigen erreicht wird. Mit der Zeit jonglieren und den Raum als unbegrenzte Möglichkeit zelebrierend hat er den Weltfußball revolutioniert. Als Trainer war er so erfolgreich wie als Spieler und er war es, der das Talent der Jungen immer wieder entdeckte und förderte. Wenn ein Attribut auf diesen Ausnahmespieler und diese Persönlichkeit zutrifft, dann ist es die des Begnadeten. So etwas kommt selten vor und vielleicht ist das auch gut so.

In den Niederlanden nannten sie ihn König Johan. Ihnen reichte der König, sie brauchten keinen Kaiser, um seine Superlative zu beschreiben. Wer in den Jahren, als er bei Ajax Amsterdam und Barcelona spielte, oder beide Teams später trainierte einmal mitbekommen hat, was dieser Mann in seinem Land bedeutete, der wird das nicht vergessen. Da wurde, als handelte es sich um einen die Welt beherrschenden Geist nur von Johan gesprochen. Wenn sein Name viel, dann würde es ruhig, regelrecht andächtig, in den Kneipen, auf den Rängen oder den großen Plätzen. Johan war eine Instanz, die mehr galt als alle Größen aus Politik oder Wirtschaft.

Johan Cruyff war unbequem, kämpferisch und suchte den Konflikt. Er und sein Entdecker, Rinus Michels, genannt der General, hatten kein einfaches Verhältnis, aber produktiv war es und es schuf den Fußball, der mit allen Attributen verbunden wird, die das Schöne beschreiben. Johan Cruyff trug die Rückennummer 14. Sie ist seitdem Legende. Sie wird es bleiben. Mit seinem Tod gehört sie ins Museum. Soviel Schönheit, Innovation und Esprit wird nie wieder von ihr ausgehen.

Europa schaut nicht in den Spiegel!

Die Geschehnisse lassen sich nicht bremsen, ein politisch gewichtiges Ereignis wird bereits durch das nächste abgelöst. Zeit für eine Rast existiert nicht und die notwendige Reflexion über Ereignisse bleibt wegen des Tempos aus. So ist in vielem der Lauf der Dinge, es sei denn, man hätte einen gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeit der Reflexion. So ist es aber nicht. Und so ist es normal, dass die Chance, aus den Prozessen, die uns beherrschen auch noch zu lernen, vergeben wird. Und so geht das Leben weiter, von Verhängnis zu Verhängnis, von Blackout zu Blackout, von Fehleinschätzung zu Fehleinschätzung. Herrschen Defizite im Innern, so ist der Blick auf das Außen gerichtet, das von einem schärferen Blick wahrgenommen wird als das Innere.

So wird deutlich, warum die Verhältnisse von Afghanistan bis in den Sudan, vom Jemen bis nach Syrien und von Mali bis Nigeria, von der Ukraine bis zum Kosovo immer wieder die Gemüter der Gazetten erregen, aber die Mordanschläge im eigenen Land irgendwie bagatellisiert werden und der Zustand im Bündniseuropa so langsam registriert werden. Dabei wäre es, zur eigenen Positionierung, von großem Nutzen, den Zustand Europas zu analysieren, bevor dasselbe auf hohem Thron zu Gericht über die Restwelt sitzt.

Im Norden, in Skandinavien, wo die Welt in normalen Zeiten in Ordnung zu sein scheint, ist die wirtschaftliche wie politische Lage im Großen und Ganzen stabil, aber wegen konkreter Anschläge auf ihre demokratischen Traditionen mental destabilisiert, existieren Anzeichen einer Abschottungspolitik. In den Niederlanden, einst Blaupause für eine multi-kulturelle Gesellschaftsorganisation, haben sich die Fronten verhärtet und ist die Sanftheit aus dem Alltag gewichen. In Belgien, dem Land ohne Regierung, wird deutlich, wie lange dort bereits eine nicht staatliche, im Schattendasein existierende Parallelgesellschaft auf den Countdown mit der formalen Demokratie wartet. In Frankreich kämpft eine alte Kolonialmacht mit der Moderne einen Kampf, der durch großen Strukturkonservatismus ebenso geprägt ist wie durch die Nach-Generationen des Ancien Regime. In Spanien, Portugal und in Griechenland versuchen die Finanzmagnaten des modernisierten Nordens die Gemeinwesen zu auktionieren und es formen sich Gegenbewegungen, die politisch noch eine große Rolle spielen werden.

Italien ist vielleicht der Staat, der, wäre er nicht traditionell mit einem Krisenmanagement behaftet, die Rolle des Moderators spielen könnte, nämlich durch den eigenen Pragmatismus und die fehlenden Mittel, um von der Schwäche der anderen profitieren zu können. Mehr als 2000 Jahre der Erfahrung von heikler politischer Gestaltung liegen dort quasi auf der Straße. Rational wäre dieses Management nicht, aber es ließe sich mit ihm leben, außer im Zentrum, wo die Dogmatiker derweilen ihr Unwesen treiben.

Im Osten hingegen, vom Süden bis in den hohen Norden, musste als Eintrittspreis der Offenbarungseid geleistet und danach die harte Schule der liberalen Wirtschaftstheorie durchlaufen werden. Sie haben ihren Preis bezahlt, sie haben vieles verloren von dem Wenigen, das lebenswert war vermutlich sogar alles. Nun, nach der Radikalkur für ihr Gemeinwesen und dem Verlust letzter Sicherheiten, sollen sie sich Experimenten aussetzen, die im fetten, butterhaltigen Norden bereits für Aufsehen sorgen. Dass sich dort der Widerstand regt und dass dieser recht spröde und provinziell vor der Tür erscheint, ist alles andere als überraschend.

Angesichts der sehr spärlich beschriebenen Zustände in den einzelnen europäischen Staaten wäre es in hohem Maße verdienstvoll, sich dieser Probleme anzunehmen, bevor der Blick in der großen Welt herumschweift und Lösungsmodelle entworfen werden, die allenfalls aus dem Offizierscasino stammen könnten.